Giacomo Puccini: »Turandot«
Wiener Staatsoper
Von Thomas Prochazka
II.
Roberto Alagna gibt mit dieser Vorstellungsserie sein Wiener Rollen-Debut als Calaf. Und singt die Partie mit ungeheurem Krafteinsatz. (Als gälte es das Leben.)
Alagna ist kein Stilist à la Björling oder Pavarotti, entwickelt die Höhen nicht so organisch wie Marcello Giordani im September 2016. Alagna ahnt vielleicht auch, daß seine Stimme zur lyrischen Zurücknahme, zum durchgehenden legato nicht mehr fähig ist. (Die Zeiten, als Sänger, unterstützt von ihren Dirigenten, die lyrischen Momente dieser Partie betonten: Sie scheinen uns verloren.) Aber Alagna punktet mit kraftvoller Mittellage und sicheren — wiewohl »ausgestellten« — Spitzentönen. Und darf sich nach »Nessun dorma« des Applauses gewiß sein. Eine durchaus beeindruckende Leistung.
III.
Lise Lindstrom enttäuscht als Turandot (wiederum): Wann immer Puccini mezzoforte oder lauter vorschreibt, verliert die Stimme der Amerikanerin den Fokus, wird über die Maßen schrill, klingt angestrengt. In den tiefen Regionen hingegen klingt Lindstroms Stimme flach, resonanzlos. Da gebricht es ihr an Volumen, wechselt die Darbietung ein-, zweimal sogar in den Sprechgesang. Eine unbefriedigende Leistung.
IV.
Nämliches muß auch von Aleksandra Kurzak bei ihrem Wiener Rollen-Debut berichtet werden. Kurzak kämpfte den ganzen Abend hindurch mit der Partie der Liù. Und unterlag bereits bei »Signore, ascolta«… Immer wieder gab es Intonationsprobleme zu verzeichnen, klang Kurzaks Stimme unsauber, erschien breit geführt. Kurzum, Kurzaks Darbietung entkleidete die Figur der Liù all dessen, was sie ausmacht: dem Reinen. — Selbst wer zuletzt über Anita Hartigs Leistung klagte, wird zugeben müssen, daß die Rumänin in einer anderen Klasse sang als die gebürtige Polin.
V.
Ryan Speedo Green war wieder als Timur aufgeboten, vermochte aber an seine Leistung als Fasolt im Rheingold nicht anzuschließen. Auch spielte Green keinen blinden alten Mann, wie es Giuseppe Adami und Renato Simoni vorgesehen hatten. (Daß ihn die Damen das Staatsopernchores im dritten Akt einfach stehenließen, anstatt ihn, wie vorgesehen, von der Bühne zu geleiten: ein weiteres Indiz für die Qualität des Abends.)
VI.
Der Altoum des Wolfram Igor Derntl schien noch ausnehmend rüstig zu sein. Was von den drei Ministern Ping (Boaz Daniel), Pang (Jinxu Xiahou) und Pong (Leonardo Navarro) angesichts der gebotenen Leistungen nicht behauptet werden kann… »Eine verschenkte Scene«, schrieb ich seinerseits über das erste Bild des zweiten Aktes. Nämliches galt auch für die Darbietungen in dieser 13. Vorstellung am Freitag, den 13. Keiner der drei Sänger wußte stimmlich den Zauber und die Größe des alten China zu evozieren, die Zerrissenheit zwischen Amt und Privatem erfühlbar zu machen. Zu sehr war man damit beschäftigt, die richtigen Töne zu treffen. Aber zu selten gelang dies, zu wenig schienen die Szenen geprobt. Wie mit solchen Leistungen Partien wie ein Nemorino oder Klingsor achtbar bewältigt werden sollen: An diesem Abend erschloß es sich nicht.
Paolo Rumetz stand als Mandarin auf der Bühne. Wie er das Institut in der Partie des Rigoletto in der für den 10. Juni 2018 in Aussicht genommenen, zeitversetzten Live-Übertragung auf ORF III achtbar repräsentieren soll, erscheint angesichts der gestern gebotenen Leistung ein Rätsel. Da wurden Töne produziert, nicht Phrasen gesungen.
VII.
Frédéric Chaslin trat mit dieser Serie erstmals für Turandot ans Pult des Staatsopernorchesters. Bemühte sich um eine differenzierte Lesart, welche das Orchester oftmals zur Zurücknahme des Klangs einlud, die Sänger unterstützen wollte. »Zwangvolle Plage! Müh’ ohne Zweck« angesichts eines Staatsopernchores, der seinen Einsätzen wenig Aufmerksamkeit zu widmen schien: So oft wie gestern waren die einzelnen Stimmen des Chores lange mehr nicht auseinander. Auch kann ich mich nicht entsinnen, den »Mondchor« schon einmal so oberflächlich und wie nebenbei gesungen gehört zu haben.
VIII.
Marco Arturo Marellis Inszenierung — obwohl in Graz, Bregenz und Wien realisiert — ist falsch, erweist sich aber als prophetisch. Und damit als wichtig.
Marelli zeigt uns Turandot mit dem Blick von der Bühne in den besetzten Zuschauerraum. Fordert auf, hinter die Kulissen zu sehen. Auf die Verführbarkeit der Menge, die Manipulation der Massen durch öffentliche Inszenierungen. Der weiße Clown (animiert: Josef Borbely): Er ist nicht immer der lustige Kerl, der er zu sein scheint.
Vielleicht lohnt es ja, einmal darüber nachzudenken.