Giacomo Puccini: » Tosca «
Wiener Staatsoper
Von Thomas Prochazka
II.
Es war eine jener » Nicht-Vorstellungen «, wie sie so häufig anzutreffen sind: Alle Beteiligten bemühen sich, und dennoch will es nichts rechtes werden; fügt sich nicht zu einem Ganzen. Das liegt auch an der lieblosen szenischen Betreuung des Abends. Weckt Verständnis für die Rufe jener, die eine Neuproduktion fordern. … Doch ist dies nicht die Lösung. Sondern Probieren; — und Einfühlen in die dargestellten Zeiten. Denn Leidenschaft ist auch heute noch Leidenschaft, Macht Macht. In der Oper
, formulierte William Kentrige einmal, darf Liebe einfach nur Liebe und Wut einfach nur Wut sein.
Lieblosigkeiten: Die Schweizer Garde trottete vor dem Te Deum auf die Bühne, als gelte es, einem Faschingszug den Weg zu bahnen. Tosca erschien zu ihrem Duett mit Scarpia in Sant’Andrea Della Valle ohne Schleier. Im zweiten Akt trat sie ohne (lange) Handschuhe auf, welche sie doch beim Aktschluß zu vergessen hat, damit Scarpias Schergen vermuten können, wer ihren Herrn ermordete.
Das Soldatenquartett im dritten Akt, rotberockt und goldbeknöpft, ließ Cavaradossi irgendwo stehen, anstatt ihn zu eskortieren. Wäre nicht noch E lucevan le stelle
mit einiger Aussicht auf wohlwollende Bezeugungen seitens des Publikums — diesfalls unbeschadet der Qualität der Darbietung — zu absolvieren gewesen, der Maler hätte sich unbemerkt aus dem Staub machen können. (So aber stellte er sich folgsam zwischen die vier Rotberockten.) Und setzten die Mitglieder des Staatsopernorchesters so synchron ein wie an diesem Abend des Erschießungskommandos Schüsse fielen, man engagierte flugs die Blasmusikkapelle von Unterkikeritspatschen zur Hebung der musikalischen Qualität.
Kleinigkeiten? Details? Ja und nein. Denn Derartiges weist darauf hin, daß es um die sängerische Qualität des Abends nicht zum besten bestellt war. Wie beeindruckend singt ein Scarpia, wenn uns solches auffällt?
III.
Während den Wiener Philharmonikern in New York Entscheidungen abverlangt werden, die auch erfahrene Vorstandsvorsitzende der größten Unternehmen weltweit in Bedrängnis brächten, erwiesen sich die Daheimgebliebenen (mit verstärkenden Kräften) als Orchester der Wiener Staatsoper einmal mehr als die Stütze des Instituts. Gewiß, man schätzt sich heute als Opernfreund schon glücklich, wenn das Solo-Cello » nur « marcato erklingt und nicht wie in einem universitären Klassenabend kratzt. Doch erfreut man sich an den feinen Kommentaren des Kontrafagotts, an den weich angeblasenen Kantilenen der Solo-Klarinette im dritten Akt … Und an der zwar langsamen, aber dynamisch abgestuften Interpretation von Marco Armiliato mit ihren unzähligen, kleinen Temporückungen. Und des Dirigenten Bemühen, den Sängern die Arbeit nicht unnötig zu erschweren.
IV.
Über die gesangliche Qualität des Abends ist vieles gesagt, wenn ich mitteile, daß sich trotz Maestro Armiliatos Zögern weder nach Cavaradossis Recondita armonia
noch nach dem Liebesduett im ersten Akt eine Hand im Rund hob.
Dan Paul Dumitrescu, der Sagrestano, klang mir nicht wieder vollständig genesen: So flach, so klein, hatte ich die Stimme nicht in Erinnerung. Zurückhaltend auch sein Spiel. Da hinterließ der Cesare Angelotti des Clemens Unterreiner den weitaus günstigeren Eindruck.
Roberto Frontali sang erstmals in Wien den Barone Scarpia. Eine (auch stimmlich) unspektakuläre Angelegenheit: Weder konnte (oder wollte) sich Frontali zu jener doch immer etwas Nobles an sich habenden, wollüstigen Grausamkeit eines Bryn Terfel entschließen noch zu der vordergründig freundlichen, im Grunde jedoch kalten Bösartigkeit eines Thomas Hampson. Insgesamt war mir Frontali ein zu gut erzogener, zu nobler Scarpia, als daß das Böse seiner Musik in Spiel und Stimme entsprechenden Widerhall gefunden hätte. Gesanglich bot Frontali, nehmt nur alles in allem, die beste Leistung des Abends.
V.
Vittorio Grigolo wurde von der Wiener Staatsoper unter Verwendung jenes Genetivs, der alles und nichts aussagt, als einer der führenden italienischen Tenöre unserer Zeit
beworben. In den forte-Passagen ließ Grigolo eine unruhige, angestrengt klingende Stimme hören. Gewiß, dieser Mario Cavaradossi servierte alle Spitzentöne (manche auf halber Spitze), auf welche seine Anhängerschaft gewartet hatte. Doch » schön «, in die jeweiligen Phrasen eingebettet, klangen sie nicht. An einigen Stellen stimmlich forsch zupackend, stellte sich die große Linie selten ein. An anderen Stellen (wie z.B. in O dolci mani
) herrschte stimmloses, ohne Mitwirkung der unteren Stimmfamilie produziertes Säuseln vor. Solches wird heute vielerorts als » Piano-Kultur « gepriesen. Es bleibt dennoch Ausdruck eines gesangstechnischen Mangels. (Man glaube nicht mir. Man höre sich die » Alten « an.) Im Vergleich zu Grigolo scheinen mir Luciano Ganci und Jonathan Tetelman über die besser ausgebildeten, technisch kompletteren, interessanteren Stimmen zu verfügen.
VI.
Das Tun von Elena Stikhina als Flora Tosca erhob sich bei ihrem Haus-Debut selten über darstellerisch wie gesangliches Mittelmaß. Stikhinas Stimme fühlte sich in der oberen Mittellage am wohlsten. Die Höhen klangen oft scharf und schneidend. Dem Bereich knapp über und unter dem passaggio mangelte es oft an Volumen. Ein, zwei unter Einsatz der Bruststimme deklamierte Passagen, über dem hingemeuchelten Scarpia stehend, stellen einen nicht in auf die Stufe der großen Interpretinnen. (Es ist das alte Thema des Ungleichgewichts in heutigen Stimmen.) Anstelle eines Liebesduetts im ersten Akt wurden wir Zeugen eines Nebeneinanderhersingens; ohne durch den Gesang ausgedrückte Liebkosungen; ohne Leidenschaft. Mein Eindruck: viel Mühe, wenig Freude.
VII.
Dieser Abend: Er war. (Man lese den Anfang …)