»Don Giovanni«, 1. Akt: Don Giovanni (Ludovic Tézier) mit Donna Anna (Hanna-Elisabeth Müller bei ihrem Haus-Debut) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Don Giovanni«, 1. Akt: Don Giovanni (Ludovic Tézier) mit Donna Anna (Hanna-Elisabeth Müller bei ihrem Haus-Debut)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Wolfgang Amadeus Mozart: »Don Giovanni«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Nun also: Don Giovanni live im Haus am Ring. Entzaubert durch Jean-Louis Martinotys mit einem Ablaufdatum versehener Szene und zum Teil unzureichender Gesangsleistungen.

II.
Ausgenommen eine Erstbegegnung, ist es sinnlos, an seit Jahren im Repertoire befindliche Inszenierungen viele Worte zu verschwenden. So mag an dieser Stelle der Hinweis genügen, daß sich Franz Welser-Möst, der ehemalige Generalmusikdirektor des Hauses, seinerzeit mit seiner Weigerung behauptete, auch noch Così fan tutte vom selben Spielvogt inszenieren zu lassen.

III.
Zum Musikalischen also: Adam Fischer am Pult des Dienst versehenden Staats­opern­orchesters waren diesmal mit Hanna-Elisabeth Müller als Donna Anna und Federica Lombardi als Donna Elvira zwei Haus-Debutantinnen anvertraut. Hinzu kam Peter Kellner, erstmals als Leporello auf der Staatsopernbühne. Der erste Akt war vor allem von Inflexibilität geprägt. Als wäre Fischer bemüht, den »Neuen« Sicherheit zu bieten, einen Rahmen. Doch klang’s schon in der Ouverture zu bestimmt; — und ja, auch zu laut. Zuviel dramma, zuwenig giocoso. Erst im zweiten Akt, schien’s, hatte sich die Aufregung soweit gelegt, daß die Musik in den Arien und Ensembles auch atmen durfte.

IV.
Ludovic Tézier bemühte sich um die Gesangslinie; erfolgreicher als die Kollegen. Seine Stimme klingt oft nasal; unfrei. Trotzdem gelang es dem in Marseille Geborenen über weite Strecken, legato zu singen. Sein Organ klang weicher, geschmeidiger als jene der anderen. (Man richtet sich eben ein.) Tézier versuchte sich nicht nur als Lebemann, sondern auch als polternder Herr. Doch Don Giovanni, den großen Verführer, nahm ich ihm nicht ab. Dazu fehlt es der Stimme an Erotik, an grandezza.

Da stimmten bei Peter Kellner als Don Giovannis Diener Leporello gesangliches und schauspielerische Tun besser überein. Seine Aufregung zu Beginn des Abends allerdings — war unüberhörbar: Bei »Madamina, il catalogo è questo« galt es zu improvisieren… Am legato und der Aussprache (»gorina« anstelle von »carina«, etc.) wäre dringend zu arbeiten; auch, um der zahlreich auftretenden Vokalverfärbungen Herr zu werden. Dieser Abend: eine gelungene Talentprobe. Für eine Mozarts Partitur entsprechende Gestaltung des Leporello an einer Bühne, die sich ein »erstes Haus« nennt, bedarf es mehr.

V.
Dan Paul Dumitrescu stellte einen teddybärhaften Il Commendatore vor: bereits im ersten Akt, als er Lehrer Lämpel gleich im Schlafrock und langen Nachthemd die Bühne betrat. Warum wird uns Donna Annas Vater so … lächerlich vorgestellt?

Über die Duell-Szene legte Martinoty ja  — Gott sei Dank — den Schleier der Bühnen­finsternis. Doch das Erscheinen des steinernen Gastes zum Mahl findet bei ausreichender Bühnenbeleuchtung statt. Und da bedürfte es dann doch zuvörderst der überzeugenden stimmlichen Durchschlagskraft, um uns das Grauen der Hölle erlebbar zu machen. Dumitrescus Il Commendatore aber bleibt zu sehr im Beliebigen, Ungefähren. Es waren Tézier und Fischer, die die Szene »retteten«.

»Don Giovanni«, 1. Akt: Leporello (Peter Kellner bei seinem Rollen-Debut an der Wiener Staatsoper) mit Masetto (Clemens Unterreiner) am Ball im Schloß Don Giovannis © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Don Giovanni«, 1. Akt: Leporello (Peter Kellner bei seinem Rollen-Debut an der Wiener Staatsoper) mit Masetto (Clemens Unterreiner) am Ball im Schloß Don Giovannis

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

VI.
Der Masetto des Clemens Unterreiner ist ein besonderer Fall. Und doch wieder nicht. Unterreiner ist zu intelligent für den Bauernburschen; auch im Spiel. Dieser Masetto klang mir zu vornehm; zu schlank. In der Tiefe zuwenig durchschlagskräftig. Außerdem: Ist die Partie des Masetto nicht dem allgemeinen Verständnis nach für einen Baß gedacht? Trat hier ein Ensemble-Mitglied im falschen Stimmfach auf? (Sowas soll’s geben.)

Andrea Carroll sang wieder die Zerlina. Auch sie benötigte einige Zeit, bis die Stimme warm wurde. »La ci darem la mano« kam an diesem Abend jedenfalls zu früh: Die Stimme klang flach, die tiefe Stimmfamilie kraftlos. Kein Zögern war zu hören, kein In-der-Schwebe-sein (© Hugo von Hofmannsthal), kein langsames Gefallenfinden an der Idee, sich an der Seite Don Giovannis zu zeigen. Die heute allgegenwärtige Krankheit der Vernachlässigung des stimmlichen Fundaments scheint auch Carroll ergriffen zu haben. Doch »Vedrai, carino«, diese kleine aria del sorbetto, an Masetto gerichtet, gefiel. Manchen im Publikum galt Carroll als die beste Dame des Abends.

VII.
Die beste Dame des Abends… Denn die Haus-Debutantinnen, Hanna-Elisabeth Müller als Donna Anna und Federica Lombardi als Donna Elvira, enttäuschten. (Der entschuldigende Einwand, es handle sich um Haus-Debuts, muß verpuffen angesichts der Tatsache, daß man dem Publikum keinen Preisabschlag gewährte.)

Hanna-Elisabeth Müller sang die Donna Anna mit oftmals gequetschtem Ton in der Mittellage und scharfer Höhe, doch wenig stimmlichem Fundament. Länger zu haltende Töne offenbarten ein langsames Vibrato: in der Regel ein Zeichen für bereits länger andauernde, stimmliche Überforderung. Die Koloraturen in »Non mi dir«: unsauber, verschliffen. Müller stellte uns mehr die Tochter denn eine trauernde, hochgestellte Dame vor. (Heulsuse.)

Das verbindet. Zumindest Müllers Donna Anna mit Jinxu Xiahous Darstellung des Don Ottavio: stimmlich kein Zoll ein Edelmann. Xiahou mischte sich mit gaumig klingender und breit geführter Stimme ins Geschehen. (Ich berichtete bereits. Diesfalls: keine Wendung zum Besseren.)

VIII.
Federica Lombardi schlug sich als Donna Elvira nur wenig besser. Sie begann den Abend mit einigen schön geformten Phrasen, setzte beide Stimmfamilien ein, ließ bruchlose Registerwechsel hören… — um im nächsten Augenblick den eben gewonnenen, guten Eindruck mit flachem Ton in der Höhe oder unsicherer Tongebung (vor allem in den abwärts führenden Phrasen) wieder zunichte zu machen. Das ist schade, denn in Lombardis Stimme scheint mir Potential zu schlummern. So aber…

IX.
Es war.

63 ms