»La Bohème«, 2. Akt: Jongmin Park (Colline), Igor Onishchenko (Schaunard), Anita Hartig (Mimì), Jean-François Borras (Rodolfo) und Alessio Arduini (Marcello) im Café Momus © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»La Bohème«, 2. Akt: Jongmin Park (Colline), Igor Onishchenko (Schaunard), Anita Hartig (Mimì), Jean-François Borras (Rodolfo) und Alessio Arduini (Marcello) im Café Momus

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Giacomo Puccini: »La Bohème«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Ein vorwiegend junges Sänger-Ensemble erweckte Puccinis Meisterwerk mit ungeahnter Meisterschaft zum Leben. Speranza Scappucci begleitete differenziert und bereitete den Melodien des Mannes aus Lucca jenes Fundament, darüber sich die Gesangsstimmen optimal entfalten konnten.
Ein Fest…

II.
Wenn‘s denn so gewesen wäre… Denn leider — der Rezensent, er sei ein Wahrheitssager — muß von vielfacher Überforderung berichtet werden. (Auch des Parketts.)

Zwar konnte Speranza Scappucci bei ihrem Debut-Dirigat von La Bohème auf ein wiedererstarktes Staatsopernorchester zählen, wußte damit aber wenig anzufangen. Große, ausgreifende Dirigierbewegungen laden jedes Orchester ein zur Verdoppelung der Lautstärke. Und der Graben gab ihr, wonach sie verlangte. Klangschön zwar, aber… Dazu mangelte es der Aufführung an innerer Spannung, wirkte alles lähmend langsam musiziert. Und blieb doch realiter in den angegebenen Zeiten. (Sowas gibt’s.)

Die Aufführung insgesamt: oberflächlich, bar jener Lebenfreude, welche Giuseppe Giacosa und Luigi Illica doch ebenfalls ins Libretto gossen. (Mochte die Realität im Paris des 19. Jahrhunderts auch eine andere sein.) Der fehlende innere Zusammenhalt der einzelnen Nummern: Er erleichterte den Sängern ihre Aufgaben nicht.

Und das Zusammenspiel mit dem Staatsopernchor? Das war von zahlreichen verschleppten Einsätzen und Mißverständnissen gekennzeichnet. Ergebnis des Wirkens am Pult?

III.
Auf der Bühne mühte man sich nach Kräften. Das Ergebnis war ein bescheidenes. … Anita Hartig vermochte als Mimì nicht an frühere Leistungen anzuschließen: Ihre Stimme klang den ganzen Abend hindurch angestrengt, unfrei. Ab dem passaggio mischte sich ein merklich vernehmbares Vibrato zum metallischen Kern. Zeichen stimmlicher Überforderung? Das Lyrische, Verletzliche, welches einer Mimì doch intrinsisch eingeschrieben ist — es machte einer oberflächliche stimmliche Gestaltung Platz. Auch im vierten Akt kam nicht jene Rührung auf, welche uns die Taschentücher zücken läßt.

Wie überhaupt die ersten beiden Akte von einer erschreckenden Belanglosigkeit gezeichnet waren: Hartigs Darbietung von »Mi chiamano Mimì« beispielsweise mangelte es an innerer Spannung und Linie.

IV.
Gleiches muß auch vom Rodolfo des Jean-François Borras berichtet werden: »Che gelida manina« legte Borras’ Schwächen im legato offen. Man geizte nicht mit stark forcierten Spitzentönen. Die Eröffnungsphrase beispielsweise ist nur auf dem as notiert, die Modulation erfolgt einzig durch die Sprache. Da macht sich fehlendes legato umso stärker bemerkbar. (Daß Borras einen besseren Eindruck als in den Faust-Vorstellungen im Jänner hinterließ, war da nur wenig Trost.) Kennzeichnend für den ganzen Abend vielleicht, daß Borras das finale »Amor!« des ersten Aktes nach unten sang, die Stimme vom f zum e führte. Gewiß, Puccini hat das so notiert. Aber kaum ein Tenor läßt es sich nehmen, mit dem Sopran im Oktavabstand das hohe c zu erklimmen…

»Addio dolce svegliare alla mattina«, das durch Einwürfe des Buffo-Paares erweiterte Duett von Mimì und Rodolfo im dritten Akt: mehr Neben- denn Miteinander. Als ob man sich, unsicher, gegenseitig abwartend, belauerte und immer wieder nach dem maestro suggeritore (sehr hilfreich: Mario Pasquariello) schielte um Hilfe…

V.
Alessio Arduini und Valentina Naforniţa waren als Marcello und Musetta aufgeboten. Daß dies keine Rollen-Debuts waren, offenbart nach den gezeigten Leistungen mehr über die Zustand des Hauses, als dem Besetzungsbüro lieb sein kann.

Arduinis Marcello: ein ungehobelter Klotz (stimmlich), sowohl in den Duetten mit Rodolfo und Mimì als auch in seiner großen Szene mit Musetta im Café Momus. Wie delikat könnte, nein, müßte die Partie des Malers gesungen werden; — und wie grob ging Arduini zu Werke. (Ich schrieb dies bereits.)

Valentina Naforniţa, welche von einem an Stimmen längst nicht mehr interessierten Feuilleton sicher gelobt werden wird, hinterließ mit ihrer Version von »Quando me’n vo’« den Eindruck, daß auch schon die Partie der Musetta zu groß für sie ist: schrille, ungedeckte Spitzentöne, fehlende Tiefe und »Nachdrücken« im unteren Register waren zuhauf im Angebot.

Vielleicht wird ihr auch einmal ein Mitleid fühlender Abendspielleiter verraten, daß eine Dame im 19. Jahrhundert niemals die Beine übereinander schlug. (Nämliches gilt auch für die Statisterie.) Und daß Mädchen wie Musetta, um von den Pariser Alcindoros (rollendeckend, leider nicht mehr: Marcus Pelz) ausgehalten zu werden, selbstverständlich diese gesellschaftlichen »Spielregeln« beherrschten.

VI.
Der Schaunard von Igor Onishchenko verstärkte bei seinem Rollen-Debut, wenn man ihn denn in den Orchesterfluten vernahm, den anläßlich seines Debuts als Masetto gewonnenen Eindruck: ein sympathischer, großgewachsener, schlanker junger Mann. Aber kein Sänger. Vielleicht — nein, höchstwahrscheinlich — machte er an einem kleinen Haus eher sein Glück. Ich gönnte es ihm.

VII.
Jongmin Park ergänzte als Colline das Quartett der bohèmes und wußte sicher vielen zu gefallen mit seiner frei strömenden Baßstimme. Ich erhalte meine Vorbehalte trotzdem aufrecht: Parks Tongebung klingt mir gaumig, das Italienisch nicht hell und offen. Aber: Echte Bässe sind rar, das sichert einem auch so das Fortkommen.

VIII.
Mancher wird in bester Absicht argumentieren, es sei die erste Vorstellung einer Serie gewesen; und es hätte dafür keine Orchester- oder Bühnenprobe gegeben. Mit Verlaub: Dem den geforderten Preis zahlenden Publikum können diese Umstände gleichgültig sein. Was zählt, ist das Ergebnis.

»Ein Fest« also? Nun — eines, von welchem man leichten Herzens schied. »Senza rancor«, quasi.

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