»Parsifal«, 3. Aufzug: Jonas Kaufmann als zurückgebliebener Gralskönig Parsifal © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Parsifal«, 3. Aufzug: Jonas Kaufmann als zurückgebliebener Gralskönig Parsifal

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Richard Wagner:
»Parsifal« (Radio-Übertragung)

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Hätte es noch eines Nachweises bedurft, daß dieser Staatsoperndirektion die Musik nichts, die Szene jedoch alles gilt: Diese Produktion gibt schon die rechte Antwort drauf. Größere Widersprüche zwischen der Szene und dem gesungenen Text sind kaum denkbar.
Schöne neue Opernwelt.

II.
Warum sich also nicht zur Abwechslung einmal an der Radio-Übertragung von Ö1 orientieren, die das Wesentliche — die Musik — in den Mittelpunkt stellt?

Philippe Jordan, der Musikdirektor des Hauses, waltete am Pult. Und dehnte den Abend, daß ich an manchen Stellen dachte, jetzt und jetzt versiege der musikalische Strom, in seiner Zurückgenommenheit eher an ein Rinnsal gemahnend. Wer Semyon Bychkovs Tun 2017 und 2018 als Prüfung empfand, weiß seit gestern, daß eine Steigerung möglich ist: Selten lauschte ich einem uninteressanteren Parsifal-Dirigat, einem derart im dynamischen Einerlei versinkenden Vorspiel. (Wo blieb die Steigerung vom piano ins fortissimo und wiederum die Zurücknahme ins piano?) Säuseln im Orchester.

In einem blendend disponierten Orchester der Wiener Staatsoper übrigens, das, fein abgestimmt, willig den Direktionen des Musikdirektors zu folgen schien. Diese kaum von einem anderen Opernorchester erreichte Flexibilität ist, wie sich zeigte, nicht immer ein Gewinn. Denn es besteht ein Unterschied zwischen äußerem und innerem Tempo: Was, in Minuten gezählt, uns langsam erscheint, kann dennoch packenden Inhalts sein. Und umgekehrt. An diesem 11. April allerdings, von dem der Ö1-Mitschnitt stammt, hemmte Jordan den musikalischen Fluß immer wieder, als müsse er sich durch das Dickicht um Klingsors Zauberschloß und den Gralsbezirk tasten. Gleichgültig, ob es sich um das Vorspiel, den Einzug Amfortas‘ oder die Enthüllungsszene handelte: Ein packenderer Zugriff hätte einem, soviel sei festgestellt, szenisch irrenden Abend gut getan.

»Parsifal«, 2. Aufzug: In der Redaktion des von Klingsor herausgegebenen Magazins: Elīna Garanča (Kundry) erwehrt sich der Annäherungen Wolfgang Kochs (Klingsor) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Parsifal«, 2. Aufzug: In der Redaktion des von Klingsor herausgegebenen Magazins: Elīna Garanča (Kundry) erwehrt sich der Annäherungen Wolfgang Kochs (Klingsor)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

III.
Elīna Garanča gab ihr Rollen-Debut als Kundry. Und enttäuschte ab dem ersten Aufzug mit schlankem, fast ausdruckslosen Ton und wenig resonierender Tiefe. Daß sie — wie fast alle ihre Kollegen an diesem Abend — fast weitgehend die doch grundlegende Kunst des legato aussparte, war für Beobachter der Szene wenig überraschend. Garanča machte kaum Gebrauch von der unteren Stimmfamilie, in der Höhe (ab dem ›f‹) war eine unruhige Tongebung eher die Regel denn die Ausnahme. Die Spitzentöne klangen durchwegs »ausgestellt«, anstatt sich in die Phrasen einzufügen (»Und lachte!«). Die Radioübertragung präsentierte Garančas Stimme wenig ausdrucksstark.

»Parsifal«, 3. Aufzug: Ludovic Tézier als Amfortas und dem Wiener Staatsopernchor © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Parsifal«, 3. Aufzug: Ludovic Tézier als Amfortas und dem Wiener Staatsopernchor

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IV.
Amfortas wurde von Ludovic Tézier gesungen; in überraschend gutem, doch immer wieder überakzentuiertem Deutsch, doch fortgesetztem Bemühen um legato. (Dietrich Fischer-Dieskau, vielen der Erfinder solcher Art zu singen, läßt grüßen.) Allerdings: Die Stimme dieses Gralskönigs klang immer wieder nasal, vor allem in absteigenden Phrasen. Und eng, wenn die Gesangslinie ins passaggio führte.

Der Klingsor des Wolfgang Koch präsentierte sich zu Beginn des zweiten Aufzuges kräftiger bei Stimme als der Amfortas des Ludovic Tézier. Allerdings ließ Kochs Stimme im weiteren Verlauf des Abends einige Unsicherheiten hören, klang des öfteren angestrengt, unruhig. Folgt man der Inhaltsangabe von Kirill Serebrennikov, sind die Blumenmädchen Redaktionsassistentinnen in Klingsors Redaktion. Sei dem, wie es sei (der Hörfunk ist in dieser Hinsicht nachsichtig), so manche Phrase klang im Chorgesang in der Höhe scharf bzw. unrein. Wortdeutlichkeit der Blumenmädchen war vor allem in der unteren Mittellage Trumpf. (Sehr akkurat klang übrigens der Staatsopernchor.)

V.
Jonas Kaufmann sang den Parsifal mit nicht zu überhörender Vorsicht. Sein Tenor fühlte sich in der Mittellage am wohlsten. Dort funktionierte auch das legato, selbst wenn diese Stimme längst nicht mehr blüht. Längst fern davon ist, beim Hörer jugendlichen Überschwang zu evozieren. Auch Kaufmann stellte Spitzentöne aus; — z.B. das hohe ›as‹ in »Die Wunde seh‘ ich bluten, nun blutet sie in mir!«. Mußte sich die Stimme für eine Phrase im oder um das passaggio aufhalten, klang sie oftmals gequetscht, nasal, mitunter eng. 

»Parsifal«, 3. Aufzug: Georg Zeppenfeld als Gurnemanz, in Kirill Serebrennikovs Version die graue Eminenz einer Häftlings-Bruderschaft, mit Elīna Garanča bei ihrem Rollen-Debut als Kundry (bei Serebrennikov eine Photo-Journalistin) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Parsifal«, 3. Aufzug: Georg Zeppenfeld als Gurnemanz, in Kirill Serebrennikovs Version die graue Eminenz einer Häftlings-Bruderschaft, mit Elīna Garanča bei ihrem Rollen-Debut als Kundry (bei Serebrennikov eine Photo-Journalistin)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

VI.
Eigentlich — eigentlich müßte Wagners Bühnen-Weihefestspiel ja »Gurnemanz« heißen. Georg Zeppenfeld war diesmal für den Gurnemanz aufgeboten. Er lieferte die beste sängerische Leistung des Abends. Zeppenfeld gebietet über kein allzu kräftiges Organ. Allerdings weiß er seine Kräfte klug einzuteilen (wie schon 2019 als Hans Sachs bei den Salzburger Osterfestspielen), um im dritten Aufzug noch über genügend stimmliche Reserven zu verfügen. Zeppenfeld gründet sein Tun auf gutem, heute selten gewordenen stimmlichen Fundament; beherrscht die Kunst des legato. Das hörte man mit Freuden, und manche gelungene Phrase klang mir nach.

VII.
Die szenische Umsetzung durch Kiril Serebrennikov erachte ich nach Ansicht der TV-Fassung für falsch. Sie läuft sowohl der Partitur als auch dem Geist Richard Wagners zuwider. Erlösung muß mehr sein als körperliche Freiheit.

Wie wohl das zahlende Publikum diese Produktion beurteilen wird, wenn im Dezember 2021 die nächsten Vorstellungen anstehen?

Nachbemerkung: Wer die Streams auf arte.tv oder orf.at sah, wird unter Umständen zu einem anderen Urteil gelangen. Er sei daran erinnert, daß der TV-Fassung auf drei Vorstellungen als Material zurückgreifen konnte: die siebenstündige(!) Hauptprobe, die Generalprobe und die eigentliche »Première«; während der Ö1-Übertragung nur der 11. April als Quelle diente.

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