»Madama Butterfly«: Sae Kyung Rim als Cio-Cio-San (Madama Butterfly) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Madama Butterfly«: Sae Kyung Rim als Cio-Cio-San (Madama Butterfly)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Giacomo Puccini:
»Madama Butterfly«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Der Oma hätte es gefallen. Obwohl sie nicht taub gewesen wäre gegenüber den vokalen Unzulänglichkeiten des Abends. Aber sie liebte die »Butterfly«. Und — sie liebte die Oper im allgemeinen: die wohl höchste musikalische Kunstform.

II.
Oma hätte Graeme Jenkins wahrscheinlich für seine schwelgerische Lesart der Partitur gedankt. Für das immer wieder groß aufrauschende, dabei jedoch niemals lärmende Staatsopernorchester. Für die intimen Stellen wie dem »Summ-Chor«, ihrem Lieblingsstück. Für Jenkins’ Fähigkeit, das Publikum in den Aktschlüssen soweit zu fesseln, daß die letzten Töne nicht im vorzeitigen Applaus untergingen. Denn wieder einmal erwies sich das Staatsopernorchester als größter Trumpf des Instituts, als Garant eines nur an wenigen Tagen unterschrittenen Niveaus.

III.
Zurück zu den vokalen Unzulänglichkeiten. Da wäre z.B. der Sharpless des Gabriel Bermúdez: Selbstverständlich hätte Oma gehört, daß Bermúdez’ Stimme selbst zum Sharpless nicht taugt, in dem Jahrzehnt der Direktionszeit Meyer keinerlei musikalische Entwicklung stattgefunden hat. Zu angestrengt, zu klein klingt diese Stimme, ein bißchen schnarrend, eng in der Höhe. Aber Oma hätte des Sängers Bemühen anerkannt, daß dieser Sharpless mit Pinkertons Regelung dieser »Angelegenheit« nicht einverstanden ist. Doch die Gesetze…

Nicht nur im Japan des Tenno galt die moralische Integrität nicht viel. (Darf man den Namen »Sharpless« mit »stumpf« übersetzen? Wäre dies ein weiterer Witz Puccinis und seiner Librettisten Giuseppe Giacosa und Luigi Illica? Neben dem immer wieder im Orchester auftauchenden Thema des »Star-Sprangled Banner«, damals noch lange nicht die Nationalhymne der Vereinigten Staaten von Amerika.)

IV.
Vermutlich hätte die Oma dem Besetzungsbüro auch konzediert, für fast alle Partien auf Ensemble-Mitglieder zurückzugreifen, selbst für den Sharpless: Zu sehr scheint dieses Werk auf Cio-Cio-San fokussiert, als daß sich viele dankbare Aufgaben nebenher finden. Einwände gegen einen gar nicht böse, sondern nur überfordert klingenden Onkel Bonze des Alexandru Moisiuc hätte sie demzufolge ebenso abgetan wie jene gegen den kaum hörbaren Yamadori des Peter Jelosits. Sie seien zu unwichtig — wiewohl für die Aufführung notwendig —, als daß sie ihnen zuviel Gedanken gewidmet hätte. In der Madama Butterfly geht es um anderes. Und zu Valeriia Savinskaia hätte sie, wissend um die Schwächen der Männer, vielleicht leise lächelnd bemerkt, diese Kate Pinkerton glänze doch durch Hübschheit…

V.
Den Goro des Michael Laurenz hätte die Oma gemocht. »Einmal kein ›Ohe! Ohe! Au! Au!‹ «, hätte sie festgestellt. Daß auch diese Partie durch einen Tenor mit guter Gesangstechnik, durch fortgesetzte Anwendung des legato profitierte, Pinkerton ein Pendant erhalten hätte, wußte sie freilich. Um dennoch großzügig darüber hinweg­zusehen, daß Laurenz’ Stimme eng klingt, Goros Listigkeit anderer Natur ist als Mimes.
In der Madama Butterfly geht es um anderes.

VI.
Was die Partie der Suzuki und ihre Interpretation durch Bongiwe Nakani betrifft, wäre die Oma hächstwahrscheinlich strenger gewesen. Suzuki ist Cio-Cio-San auch Gefährtin und Vertraute. Solches heischte nach einem — auch vokalen — Gegengewicht zur Titelpartie; nach sonorer Tongebung; nach gesangstechnischem Raffinement, Suzukis Ahnungen dem Publikum verständlich zu machen. Doch dafür reichten die Nakani zur Verfügung stehenden stimmlichen Mittel nicht aus.

VII.
Stefano La Colla sprang für Fabio Sartori ein und debutierte in der Partie des B. F. Pinkerton im Haus am Ring. Zu Omas Zeit hätte sie diesen Tenor mit großer Wahrscheinlichkeit auf einer ihrer Reisen an einem mittleren italienischen Haus kennengelernt. Hätte sich erfreut an seiner italienischen Art zu singen. Die Anstrengung in der Stimme oberhalb des passaggio, den Druck, mit dem La Colla tendenziell zu Werke schritt, hätte sie wohl bemerkt. Ebenso, daß ihm einige Spitzentöne zu tief gerieten (doch ohne allzu sehr zu stören). Oma hätte diesen B. F. Pinkerton als »Filou« bezeichnet. (Sie war gut erzogen worden.) Wäre er ihr im richtigen Leben begegnet, sie hätte ihn sich wohl hergenommen und kräftig die Meinung gesagt; hätte nicht geschwiegen wie der willfährige U.S.-Konsul, gesellschaftlich akzeptierte Normen hin oder her.

VIII.
Mit Sae Kyung Rim hatte die Staatsoper — selten genug! — einen Spinto-Sopran für die Partie der Cio-Cio-San engagiert. Ihrer Stimme eignet ein Kern, auch in der unteren Stimmfamilie. Dank diesem Fundament trägt diese Stimme, auch in den forte gesetzten und dramatischen Passagen. Gewiß, mancher Ton klang rauh an diesem Abend, mancher Spitzenton war zu tief angesetzt für die Stimmung im Haus am Ring. Doch die Intensität, mit der Rim die Mrs. Pinkerton sang und spielte, würde auch die Oma für sie eingenommen haben: die Naivität der 15-jährigen Braut; die nicht versiegende Liebe der jungen Mutter zu Pinkerton, selbst nach Jahren des Alleingelassenseins; die unerschütterliche Hoffnung, grundiert vom genialen musikalischen Einfall des »Summ-Chors«. 

IX.
Ja, diese Vorstellung der Madama Butterfly hätte der Oma gefallen. Nicht ihrer vokalen Güte wegen; sondern, weil sie berührte.
Denn das ist es, was Oper ausmacht.

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