Giacomo Puccini:
»Madama Butterfly«
Wiener Staatsoper
Von Thomas Prochazka
Ob sie Opas gedachte, der im großen Krieg gewesen war und dessen Heimkehr sie so sehnsüchtig erwartet hatte? Als er dann kam, war er krank — für immer. Aber er war heimgekehrt. Und das war mehr, als vielen anderen vergönnt war.
Wann immer man eine Opernreise machen wollte: Wenn Madama Butterfly am Programm stand, war Oma dabei: in Torre del Lago, in der Arena di Verona, in Wien. Hier sah sie auch Josef Gielens berührende Produktion in der Ausstattung von Tsugouharu Foujita. Mehrmals. Und Cio-Cio-San, wie sie in Erwartung ihres geliebten Mannes die Nacht durchwacht, während ihr Sohn und Suzuki vom Schlaf übermannt werden…
II.
Der B.F. Pinkerton des Ivan Magrì klang so schmierig, wie die Librettisten Luigi Illica und Giuseppe Giacosa ihn wohl in Sinne hatten: ein schwacher Charakter, der in widerwärtiger Yankee-Manier das Lebensglück einer Fünfzehnjährigen seiner Laune opfert. Der — die Zeiten ändern sich nicht — die Regeln einer fremden Kultur mit Füßen tritt; die Familie seiner Frau beleidigt und aus dem Haus wirft. Und doch zuvor dem U.S.-Konsul vertraulich mitteilt, daß für ihn nur eine amerikanische Frau in Frage komme. Kate Pinkerton wird sie heißen, und Lydia Rathkolb wird später des Abends ihr Möglichstes tun, die Grausamkeit des Plans, Cio-Cio-San nach ihrem geliebten Mann auch ihren Sohn zu nehmen, in milderem Licht erscheinen zu lassen.
Vor einen Vierteljahrhundert oder mehr hätte man Magrì als drittklassigen Tenor eingestuft, gerne engagiert, wenn Not am Mann war. Und das, obwohl er den Leutnant der U.S.-Armee nach der italienischen Schule singt: ohne abrupten Wechsel vom Brust- ins Kopfregister unter Umgehung des passaggio, ohne gesäuselte Höhe wie gefeierte Kollegen.
Heute herrscht immer tenorale Not.
Magrì begann den Abend verhalten, die Stimme sprach auch in der Mittellage nicht richtig an. Am legato mangelte es an diesem Abend im Haus am Ring an allen Ecken und Enden… Trotz einer Steigerung berührte das Liebesduett im Finale des ersten Aktes mehr Puccinis Genius wegen denn durch der Sänger Tun.
III.
Paolo Rumetz zeigte als Sharpless mehr Gefallen am amerikanischen Whisky denn daran, dem Landsmann die Konsequenzen seines Tuns aufzuzeigen. Warum auch? Als U.S.-Konsul in Nagasaki macht einem das Klima schon genug zu schaffen. Da will man sich nicht auch noch über Gebühr exponieren. Leider galt selbiges auch betreffend das gesangliche Engagement: Diesem Sharpless gebrach es an stimmlicher Fülle. Und an jener Leichtigkeit im Ton, welche Pinkertons hauptsächlicher Charakterzug zu sein scheint.
IV.
Der Goro des Herwig Pecoraro ging als fast rollendeckend durch. Das konnte man vom Onkel Bonze des Alexandru Moisiuc leider auch mit vielem guten Willen nicht behaupten. Monika Bohinec assistierte als Suzuki. Vor einem halben Jahrhundert hätte man sie als Sopran gehandelt, ohne das erforderliche Volumen in der tiefen Stimmfamilie allerdings.
V.
Kristīne Opolais ließ sich vor der Vorstellung ansagen. Damit entzieht sie sich jeder stimmlichen Beurteilung. Darf ich trotzdem festhalten, daß Opolais mit ihrem (auch stimmlichen) Tun den Mittelpunkt der Aufführung bildete? Es war mit Staunen zu sehen, wie sehr sich die gebürtige Lettin die Partie der Cio-Cio-San, genannt Madama Butterfly, zu eigen gemacht hat. Wie bedacht sie im ersten Akt ihre Gesten setzte; mit welch kleinen Schritten sie bis zuletzt durch die Szene trippelte. Mit welch kindlicher Naivität sie, die sich als »Mrs. B.F. Pinkerton« bezeichnete, an die Treue ihres Mannes glaubte…
Solches berührt.
VI.
Jonathan Darlington und dem Orchester der Wiener Staatsoper gelang eine animierte, durchaus kräftige, aber nicht zu laute Wiedergabe der Partitur. Hier blitzte La bohème herein, da Manon Lescaut, und manch musikalische Wendung wird uns Jahre später als Ausdruck von Puccinis Interesse für Asien in der Turandot wieder begegnen. Ach, schnurrten doch alle Abende im Haus am Ring auf diesem Niveau ab…
VII.
Josef Gielens und Tsugouharus Foujitas Arbeit wirkt auch noch nach 62 Jahren, die sie nun auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper steht. Es mag vielleicht Modischeres geben; mit Sicherheit gibt es viel Schlechteres. Man mag den Naturalismus und die nahe ans Original heranreichenden Kostüme als gestrig abtun. Doch sie erlauben es dem Publikum, sich in der Geschichte zurechtzufinden; mit Puccinis gleichzeitig dem Italienischen und dem Asiatischen verhafteter Musik ein japanisches Haus zu betreten. Und immer wieder klingt im Orchester der Beginn des »Star-Spangled Banner« an, zu Puccinis Zeit noch lange nicht die Hymne der Vereinigten Staaten von Amerika. (Dazu wurde die Melodie eines bekannten britischen Liedes von John Stafford Smith auf das Gedicht »Defense of Fort McHenry« von Francis Scott Key aus dem Jahr 1814 erst im Jahr 1931.)
Gielens und Foujitas Inszenierung vergrößert Cio-Cio-Sans Fall ins Bodenlose: Wie grausam geht dieser dahergelaufene amerikanische Leutnant mit dem jungen Mädchen um! Wie leichtfertig machen sich Goro und Sharpless zu Handlangern…! Jede Nachfolgeproduktion wird es schwer haben, daran anzuschließen.
Wenn sich das Bild im zweiten Akt wendet, Text und Musik schon vorausdeuten auf das einzig mögliche Ende, spielt Kristīne Opolais die Madama Butterfly immer noch mit jener kindlichen Naivität, die einem spätestens beim ersten Erklingen des ›Summ-Chors‹ die Tränen in die Augen treibt.
VIII.
Oper muß berühren; uns packen. Uns mitleben und -leiden lassen. Uns dem Alltag entreißen. Diese Madama Butterfly: Oma hätte sie, allen vokalen Einwänden zum Trotz, gefallen.