»Der Freischütz«, 2. Aufzug: Freikugelgießen im 21. Jahrhundert © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Der Freischütz«, 2. Aufzug: Freikugelgießen im 21. Jahrhundert

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Carl Maria von Weber:
»Der Freischütz«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Ach, Ihr Romantiker! Glaubt Ihr wirklich, daß Euch Der Freischütz zugeeignet ist? In Zeiten, wo Romantik und opulente Ausstattungen in unseren Lichtspielhäusern für Furore sorgen? Wo geschichtliche Begebenheiten in Dramen erzählt werden, Fernsehserien danach trachten, das kleinste Detail historisch richtig wiederzugeben?

II.
Glaubt Ihr das wirklich? — Dann laßt alle Hoffnung fahren, die Staatsoper vermöge Eure Erwartungen einzulösen: Denn sie engagierte Christian Räth und ward somit nach seiner Nicht-Deutung des Verdischen Macbeth zum Wiederholungstäter. Diesmal allerdings: mit erhöhtem Strafmaß.

Laßt Euch gesagt sein, Ihr Rückständigen und Unverständigen, daß nur in der Zertrümmerung der Stücke deren zukünftiges Heil liegt. Daß man selbst vor der Neudichtung der Dialoge nicht zurückschrecken darf, um, was nicht zusammengeht, aneinanderzuschmieden. … Kein rechtes Auge eines Wiedehopfs, kein linkes eines Luchses, keine wilde Jagd. Anstelle dessen: müder Feuer­zauber in einem offenen Flügel (Ausstattung: Gary McCann). Denn Max ist in Räths Deutung ein von Zweifeln gepeinigter Komponist und Caspar sein Agent der Hölle. … Wer außer Euch Romantikern bedarf im Freischütz des Jägerburschen?

III.
Es ist soviel falsch an diesem Abend, daß man nicht weiß wo beginnen. Etwa bei Tomáš Netopil am Pult des Staatsopernorchesters, der den volksliedhaften Ton Webers in keinem Augenblick trifft? Hier die Zügel zu stark anzieht, dort den Walzer nicht ausschwingen läßt? Im ersten Bild schleppt, daß nicht nur der Staatsopernchor, sondern auch das Orchester in seine Sektionen zu zerfallen droht? Webers Musik mit einem Mal Cerhasche Züge annimmt, sich die Stimmen flächig aneinander reiben?

»Der Freischütz«, 3. Akt: Camilla Nylund (Agathe) und Daniela Fally (Ännchen) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Der Freischütz«, 3. Akt: Camilla Nylund (Agathe) und Daniela Fally (Ännchen)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

IV.
Bei Daniela Fally, die mit der Partie des Ännchens heillos überfordert wirkt? Sich mit resonanzloser Stimme über den Abend rettet, hier und dort in (auch stimmlicher) Outrage Zuflucht sucht? Da fehlt’s an der Höhe und an der Tiefe. … Des Spielvogt krude Rollenzeichnung nimmt dem Ännchen jede Weiblichkeit. Angetan mit schwarzem Anzug steht sie in fast greif­barem Widerspruch zu Johann Friedrich Kinds und Webers Intentionen. Fallys Bereitschaft, sich darauf einzulassen, ist bewundernswert. Ansonsten allerdings: versungen und vertan.

Oder bei Camilla Nylund, deren Stimme aktuell die Ruhe und die enge Führung für die Agathe fehlen? Mehr Senta denn verliebte Erbförsterstochter… Allerdings: Nylund schienen die sofort nach dem Fallen des Schlußvorhanges lautstark einsetzenden Mißfallenskundgebungen am meisten zugesetzt zu haben.

V.
Die Herren durften Tracht tragen an diesem Abend der deutschen Nicht-Romantik: Adrian Eröds Ottokar ebenso wie Clemens Unterreiners Cuno. Beide in ihren Dialogen mit vorbildlicher Diktion, ihre gesanglichen Leistungen: tadellos. Eröd und Unterreiner in diesen Partien: verschwenderischer Luxus.

Nämliches gilt für den Eremit des Albert Dohmen und sein Erscheinen als deus ex machina. Dohmen darf aber vorher noch auf auf der Bühne aufgebauten Theatersesseln Platz nehmen. Und sich mit Samiel unterhalten, wie junge Väter im Park. In einem Dialog, welcher in seiner Belang­losigkeit jene von Kind um Längen schlägt. … Kostümmäßig scheint man im Fundus beim Mantel des König Marke aus David McVicars Wiener Produktion von Tristan und Isolde fündig geworden zu sein. (Irgendwo muß man ja sparen.)

Kein Luxus hingegen: Der Kilian von Gabriel Bermúdez, mit zum Teil gepreßter Stimme.

»Der Freischütz«, 3. Akt: Hans Peter Kammerer (Samiel) und Albert Dohmen (Ein Eremit) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Der Freischütz«, 3. Akt: Hans Peter Kammerer (Samiel) und Albert Dohmen (Ein Eremit)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

VI.
Hans Peter Kammerer als Samiel will ich hohes Lob singen. Er sprach ja »nur« … aber wie! — Im ersten Akt erscheint er im roten, bodenlangen Kleid als Personifizierung Agathes, zum Schluß steckt er vorwitzig sein Haupt durch den Vorhang, während Max komponierend am Klavier sitzt und Agathe bei ihm steht. Dazwischen, in der Wolfsschlucht-Szene, wird Kammerer vom Schnür­boden herabgelassen, als wüchse er aus der Decke. Spricht seinen Text kopfüber hängend. Hier weder die Orientierung noch die Konzentration — und schon gar nicht die Körper­spannung, z.B. in den Armen — zu verlieren: Chapeau!

VII.
»Während Max komponierend am Klavier sitzt…« Erwähnte ich bereits, daß Max in des Spielvogt Räth Umsetzung kein Jägerbursche, sondern Komponist ist? Ja? Nun, man mag dies gar nicht oft genug tun. Immerhin handelt es sich dabei um »die« Idee das Abends…

Andreas Schager war als Max aufgeboten. Und sang mit so großem Ton, als gäbe es kein Morgen. Überstrahlte (scheinbar mühelos) alle Kollegen. Allerdings: Hin und wieder wurde die Tongebung unruhig, war übergroßes Vibrato zu vernehmen. »Durch die Wälder, durch die Auen« gab’s im Haus am Ring schon nobler gesungen zu hören — und vielleicht darum intensiver. Schagers Lust am Spiel, sein Sicheinlassen auf die Partie jedoch machten ihn zum Liebling des Abends.

Da vermochte Alan Held als Caspar nicht mitzuhalten. Erst im dritten Aufzug, als es ans Sterben ging, bot Held jenen großen Ton, jene Dämonie, welche man bereits im ersten erwartet hatte. Aber wie soll man auch »Schweig, damit dich niemand warnt!« singen, wenn das ausersehene Opfer für Samiel vor einem auf der Bühne herumturnt?

»Der Freischütz«, 2. Akt: Die Wolfschlucht-Szene mit Andreas Schager (Max) und Alan Held (Caspar) in der Sichtweise von Christian Räth (Ausstattung: Gary McCann) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Der Freischütz«, 2. Akt: Die Wolfschlucht-Szene mit Andreas Schager (Max) und Alan Held (Caspar) in der Sichtweise von Christian Räth (Ausstattung: Gary McCann)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

VIII.
Räths Umdeutung geht nicht auf: Die gesungenen Verse plaudern aus, was der Spielvogt in den Dialogen verschweigt; — um sein »Konzept« zu retten. (Es kommt eben doch alles heraus.) Anstatt den Freischütz zu inszenieren, nachzuforschen, was für uns Heutige sich in diesem Stoff birgt. (Eine Menge. Doch gänzlich Anderes.)

Im Programmheft stellt die Staatsoper übrigens Carl Maria von Webers Inhaltsangabe (aus einem Brief vom 3. März 1817 an seine Braut Caroline Brandt) Räths Umsetzung gegenüber. Wer will, mag darin einen Vorbehalt gegen diese Produktion erblicken.
Sie nicht verhindert zu haben: — die Tragik des Abends.

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