Giuseppe Verdi: »Macbeth«
Wiener Staatsoper
Von Thomas Prochazka
II.
Mißt man Aufführungen an den Reaktionen des Publikums, war die zweite Vorstellung dieser Inszenierung ein sehr, sehr guter Abend. Die Kompetenz eines Publikums, welches kenntnisreich die Generalpause zwischen »Vieni, t’affretta« und der nachfolgenden cabaletta zum Applaus benützt und damit die von Tatiana Serjan mühsam aufgebaute Spannung wieder zunichtemacht, darf allerdings infrage gestellt werden.
III.
Frau Serjans Stimme entspricht den Wünschen des Komponisten wie wahrscheinlich keine andere seit Mara Zampieri: Dramatisch, attackiert sie von der ersten Phrase an und schont sich nicht. Leider trüben wiederholtes Distonieren, verpaßte Einsätze und übermäßiger Portamento-Gebrauch ihre Darbietung. Aber Frau Serjan wird den ganzen Abend lang die einzige Sängerin auf der Bühne bleiben, welche auch spielen, das Publikum mitreißen will.
IV.
George Petean, sonntäglicher Rollen-Debutant und Einspringer, wurde im Vorfeld nicht müde zu betonen, dass er die Partie des Macbeth nicht so legato singen könne wie etwa die des Marquis Posa. Irgendwann einmal wird ihm Giorgio Zancanaro, mit welchem er die Partie erarbeitete, verraten, dass Interpreten nicht nur vergangener Tage genau darin excellierten…
Leider, scheint’s, war auch die Zeit, welche sich Herr Petean für das Studium der Partie gab, nicht ausreichend: Verdis Dynamikangaben wurden nur rudimentär umgesetzt. Und ab dem dritten Akt fand Herr Petean wieder zurück zu jener Art der Produktion einzelner Töne, welche kenntnisreiche Opernfreunde bereits an der Rechtfertigung seines Engagements als Marquis Posa zweifeln ließen. Muß man wirklich darüber diskutieren, ob »Pietà, rispetto, amore« — nie schreibt Verdi hier mehr als mezzoforte vor — legato gesungen werden soll?
V.
Ferruccio Furlanetto gebührte als Banquo die Sängerkrone das Abends. Gewiß, die eindrucksvolle Karriere hinterließ auch in seiner Stimme ihre Spuren: Sie klang den ganzen Abend lang ein wenig belegt. Ein Sänger der alten Schule, wußte er sie jedoch legato zu führen und jeder Phrase die ihr zustehende Bedeutung zu geben. Mit den szenischen Ideen, so schien es allerdings, konnte er sich nur schwer identifizieren.
VI.
Jorge de León stand als Macduff auf der Bühne, einen eigenen haben wir offenbar nicht. Er legte nachhaltig Zeugnis ab davon, daß es manchmal besser ist, wenn sich Wünsche nicht erfüllen: Mit stark tremolierender Stimme wurde er den technischen Anforderungen seiner Partie nur selten gerecht. Macduffs Romanze »O figli, o figli miei« — großteils im piano bzw. pianissimo notiert — erklang im forte, zu feinerer Differenzierung ist diese Stimme nicht (mehr) fähig. So sollte an der Staatsoper nicht einmal ein comprimario klingen. À propos comprimarii: Jinxu Xiahous Tenor klang als Malcolm gesunder und wurde schlanker geführt als jener des Gastes. Donna Ellen als Kammerfrau und Jongmin Park als Spion fungierten als solide Stichwortgeber.
VII.
Die Damen des Staatsopernchors (Chorleitung: Thomas Lang) waren als Hexen so mit ihren tanzartigen Verrenkungen beschäftigt, daß wiederholt schlampige Einsätze der einzelnen Stimmgruppen zu verzeichnen waren. (Das auszumerzen war schon Riccardo Muti 2011 in Peter Steins Salzburger Inszenierung nicht gelungen.) Hatte man sich allerdings einmal mit dem Graben auf Tempo und Rhythmus geeinigt, klang die ganze Sache so übel nicht. Die Herren hatten es da mit dem Auftritt als Mörder Banquos leichter. Was den Chor betrifft, bildeten die Finali I und II sowie, ein Meisterstück der Partitur, der Flüchtlingschor »Patria oppressa!« die Höhepunkte.
VIII.
Dirigent Alain Altinoglu — auch er ein Rollen-Debutant — wußte im Vorfeld klug über Verdis Partitur zu referieren. Sie in letzter Konsequenz umzusetzen vermochte er nicht. Des öfteren vermißte man die federnd leichte, geschmeidige Führung und die Schroffheit, welche die Interpretationen eines Claudio Abbado, Riccardo Muti (Salzburg 2011!) oder Giuseppe Sinopoli auszeichneten. Die Tempi bewegten sich den ganzen Abend über auf der langsameren, ein wenig larmoyanten Seite. Da lag über allem der Schleier französischer Melancholie, wo doch italienisches Brio gefordert wäre.
Zwar lag die Letztfassung des Werkes auf den Pulten des willig folgenden und sehr gut disponierten Staatsopernorchesters (nicht zu vergessen auch das Bühnenorchester z.B. bei den apparizioni!), doch verzichtete man — wieder einmal — auf das Ballett. Dieses, so Maestro Altinoglu, »würde das Geschehen nur aufhalten. Ich denke, Verdi hätte nichts dagegen gehabt, immerhin war er selbst ein echter Theater-Pragmatiker.«
Nun, der »echte Theater-Pragmatiker« verstand die für Paris 1865 komponierte Ballettmusik als seriöse Erweiterung seines Dramas: Es handelt von der herbeigerufenen Hecate, die in ihrer Pantomime den Hexen das Erscheinen Macbeths ankündigt und sie anweist, dessen Anfrage zu beantworten — und damit in einem Aufwaschen gleich Christian Räths Regieansatz zunichte gemacht hätte, die Hexen seien »das Unterbewußtsein Macbeths, ohne Sigmund Freud geht das ja gar nicht«. Es wäre interessant zu erfahren, wie William Shakespeare es ohne Sigmund Freud zustandebrachte, 1606 Macbeth zu dichten…
IX.
Seit ein paar Jahren referieren Regisseure vor Premièren in Interviews über ihre Sichtweisen der aufzuführenden Opern, letzten Endes beredte Eingeständnisse des Unvermögens, die Werke dem Publikum verständlich zu präsentieren. Christian Räth: »[Macbeth] spielt bei uns in keiner definierten Epoche, aber dann doch in der Gegenwart, eine Zeitlosigkeit, die auf unsere Zeit verweist.« Ein Schelm, wer sich irgendetwas dabei denkt.
Der sich öffnende Vorhang gab denn auch den Blick frei auf das Innere eines Bunkers (Ausstattung: Gary McCann), häßlich und öde. Und so langweilig: Diese »Idee« taugte bereits vor 50 Jahren kaum mehr für mittelgroße deutsche Bühnen.
Der Chor stand in Reih und Glied herum oder mußte sich in allerlei angedeuteten Verrenkungen — sollten das Hip-Hop-Parodien darstellen? — ekstatisch bewegen. Gesungen wurde dann zumeist frontal zur Bühne, das Handbuch für moderne Regie verlangt das offenbar so. In der Banquet-Szene forderte Macbeth die Gäste auf, Platz zu nehmen; — allein, außer zwei Thronsesseln gab es keine Sitzgelegenheiten. Daß das brindisi mit nur einem Trinkpokal auskam, überraschte da schon gar nicht mehr…
Ebenso ausgezeichnet gelang Macbeths zweiter Besuch bei den Hexen, der praktischerweise bei ihm zuhause, im Schlafzimmer seines Bunkers, stattfand. Die Lady war allerdings gerade ausgegangen, weshalb sich Macbeth allein den die Szene flutenden Hexen stellen mußte. Herzig, wie George Petean da im Schlafanzug auf der Bühne stand und den Hexen androhte, mit seinem Schwert auf sie einzuschlagen — dabei hielt er doch gar keines in der Hand! Doch wenn die Hexen laut Christian Räth »das Unterbewußtsein Macbeths« symbolisieren, warum sollte er sie auch mit seinem Schwert zur Preisgabe weiterer Informationen zwingen? Und wieso konnte Banquo die Hexen dann in der zweiten Szene der Oper sehen?
X.
Diese Regiearbeit — die in Wirklichkeit keine ist — hätte, nähme man das 2010 selbst formulierte Ziel ernst, die Staatsoper solle das weltweit führende Haus für Verdi sein, nie das erste Konzeptionsgespräch, zumal an einem Repertoire-Haus, überleben dürfen.
Doch Abhilfe ist nahe: Ab dem 13. Oktober 2015 bietet das Music Department des Dartmouth College in New Hampshire (U.S.), einer der amerikanischen Ivy League-Universitäten, gratis einen siebenwöchigen Online-Kurs zum Thema »Introduction to Italian Opera« an. Der Kurs wird die Geschichte und die Konventionen der italienischen Oper ebenso lehren wie die musikalische Analyse und das aufmerksame Zuhören. Darf man dem Regisseur, den Verantwortlichen und einem Großteil des Publikums die Teilnahme wärmstens empfehlen?