Richard Strauss: » Capriccio «: Mika Kares (La Roche, der Theaterdirektor), Sebastian Kohlhepp (Flamand, ein Musiker), Konstantin Krimmel (Olivier, ein Dichter), Elsa Dreisig (Die Gräfin), Ève-Maud Hubeaux (Die Schauspielerin Clairon) und Bo Skovhus (Der Graf, Bruder der Gräfin) © Salzburger Festspiele/Marco Borelli

Richard Strauss: » Capriccio «: Mika Kares (La Roche, der Theaterdirektor), Sebastian Kohlhepp (Flamand, ein Musiker), Konstantin Krimmel (Olivier, ein Dichter), Elsa Dreisig (Die Gräfin), Ève-Maud Hubeaux (Die Schauspielerin Clairon) und Bo Skovhus (Der Graf, Bruder der Gräfin)

© Salzburger Festspiele/Marco Borelli

Richard Strauss: » Capriccio «

Salzburger Festspiele

Von Thomas Prochazka

Keine Frage, konzertante Aufführungen einer Oper stellen an alle Beteiligten besondere Herausforderungen.

An die Zuhörerschaft, welche, der Szene verlustig, zum Zuhören — oder einer stundenlangen Leseübung — verurteilt ist; an große Teile des Feuilletons, welche mangels intimer musikalischer Kenntnisse verzweifelnd (doch vergeblich) um Lesenswertes ringen; — und an die Sänger, welche, Kostüm und Maske entkleidet, sich einer zu oft ignorierten Wahrheit stellen müssen: Oper ist Theater durch Gesang.1

II.
Der Erkenntnisgewinn dieser Abende ist ein vielfacher: zum ersten, daß man glaubte, die Bühnenmusik — Daniel Froschauer (Violine), Raphael Flieder (Violoncello) und Jobst Schneiderat (Cembalo) — für die alten französischen Tänze verstärken zu müssen. Sollte die Akustik des Großen Festspielhauses solches wirklich erfordern? Verfährt man bei Sonatenabenden ebenso? Zum zweiten, daß es uns heute an den Sängern für eine stimmlich zufriedenstellende Bewältigung dieser Partien fehlt. Darf man, wenn der Sänger des Monsieur Taupe, Jörg Schneider, den besten gesanglichen Eindruck hinterläßt, als einziger der Kunst des legato huldigt, feststellen, daß der Niedergang des klassischen (Opern-)Gesanges nicht länger zu leugnen ist? (Der Haushofmeister des Torben Jürgens war der Gräfin und Monsieur Taupe ein verläßlicher und wortdeutlicher Stichwortgeber.) Zum dritten, daß zumindest einige der Sänger mit micro-ports ausgestattet waren und diese auch Verwendung fanden: Oft geleugnet, (sah und) hörte man’s diesmal zweifelsfrei: die zumindest zeitweise elektroakustische Verstärkung von Stimmen auf einer Opernbühne. Und zum vierten, daß es auch in der Vergangenheit wohl wenige Kombinationen aus Dirigent und Orchester gab, welche die Capriccio-Partitur in derart vielen Farben und Schattierungen zum Erklingen brachten wie Christian Thielemann und die Wiener Philharmoniker. Einmal mehr waren es — wie in Wien in den letzten Jahren fast ausschließlich — Dirigent und Orchester, welche die Aufführung über das erwartbare Mittelmaß hinaushoben: das Sextett! Die » Mondscheinmusik «! So durchhörbar und doch zusammenklingend gearbeitet und gespielt hört man sie selten. Kapellmeister Thielemann fand durchwegs die richtigen Tempi. Da schleppte nichts, da brach kein Spannungsbogen, da war der Mann am Pult den Sängern unterstützender Anwalt.

III.
Um’s Gesangliche war’s nicht so gut bestellt: Die meisten Partien waren mit Trägern zu leichtgewichtiger und unterentwickelter Stimmen besetzt. Ich weiß, viele lesen solches nicht gern, wollen nicht wahrhaben, wie es heutzutage um die Gesangsstimmen in der Oper steht (auch, wenn von Sängern privatim immer wieder Gleiches geäußert wird). Doch was nützt es, die Ohren vor dem Unleugbaren zu verschließen, anstatt die Realität anzuerkennen?

Von Trägern gut ausgebildeter Opernstimmen mag man erwarten, daß sie Textpassagen ohne elektroakustische Hilfsmittel deklamieren können. Andernfalls darf man auf eine unvollständig entwickelte Stimme schließen: Weder verfügt Ève-Maud Hubeaux, die Schauspielerin Clairon, über den von Strauss gewünschten Alt, noch ist sie nach Kloibers Handbuch der Oper der für diese Partie geforderte dramatische Mezzosopran. Hubeaux’ Stimme fehlt es an Durchschlagskraft. Ihre Clairon bleibt, ausgenommen in Solo-Einwürfen, zu blaß, zu uninteressant, als daß man ihr die große Schauspielerin auch nur einen Moment glauben würde. Und schon gar nicht entspricht sie Clemens Krauss’ in einem Brief an den Komponisten niedergelegten Anforderung an diese Partie: […] Wir dürfen nicht vergessen, dass sie diese Prosa auch ausgezeichnet deklamieren muss und dass daher jede Fremdländerin von vornherein ausgeschlossen ist.2

Wie’s geht, zeigte Bo Skovhus, dessen Deklamation der Dialogszene inklusive des Sonetts zu einem Höhepunkt des Abends ward. Ein Gustostück’l, wie Skovhus als Graf den Dilettanten hervorkehrte. Seine Stimme erzählt heute auch von der Länge seiner Karriere und manchem bewußtseinerweiternden, doch dem Stimmerhalt weniger zuträglichen Ausflug. Wo Christoph Pohl, am 31. Juli einspringend, gesanglich besser gefiel, überzeugte Skovhus alles in allem mehr.

Ihm zur Seite Mika Kares als sympathischer Theaterdirektor La Roche; der heimliche Drahtzieher der Zusammenkunft. Ihm legten Krauss und Strauss all ihre Anliegen in den Mund — von zu lauten Orchestern und schlecht gebauten Stücken bis zu seinem Eintreten für die italienische Oper (des 18. Jahrhunderts). La Roches Rede: ein Hauptstück des Abends, wenngleich ohne jene Schattierungen in Rhythmus, Diktion und großem Bogen, die eine festspielwürdige von einer guten Leistung scheiden. Immer wieder reihten sich Silben unterschiedlicher Lautstärke aneinander; nicht allein erklärbar aus dem Text, sondern auch aus Kares’ stimmlicher Disposition. Zudem machte sich dieser La Roche einige Mal Vokalverfärbungen schuldig, wo besondere Textdeutlichkeit geboten gewesen wäre.

IV.
Überhaupt, die Sache mit der » Textdeutlichkeit «: Bereits im Vorfeld der Abende konnte man davon lesen, daß Christian Thielemann viel Aufmerksamkeit darauf verwendet haben soll. Doch deutliche Textaussprache ist kein Vorzug an sich. Sie ist auch nicht — das die Wurzel allen Übels — ohne die entsprechenden gesangstechnischen Grundlagen zu erreichen, sondern im Gegenteil Ergebnis ebensolcher. Alles andere endet in der jede Linie brechenden, überstarken Betonung der Endkonsonanten (wie auch in diesen Aufführungen wiederholt zu hören).

Sebastian Kohlhepp sang bei den Osterfestspielen 2019 den David in Die Meistersinger von Nürnberg. Nun übernahm er die Partie des Musikers Flamand. Wie damals ließ Kohlhepp gutes Tenormaterial hören. Allerdings dunkelte er einmal mehr seine Stimme ab, wie um sie größer erscheinen zu lassen. So klangen die Höhen immer wieder unfrei und auch die obere Mittellage den ganzen Abend hindurch angestrengt.

Nicht nur Strauss’ Partitur, auch Konstantin Krimmels gesangliche Leistung als Olivier gaben Aufschluß darüber, daß sich die Gräfin (Madeleine) für den Musiker entscheiden werde: Gleich seinem Nebenbuhler fehlte es der Stimme dieses Olivier an der freien Entfaltung. Vieles hörte sich gepreßt an, immer wieder brach die Linie, selbst in diesem Konversationsstück für Musik, wie Capriccio im Untertitel heißt.

Tuuli Takala und Josh Lovell als italienisches Sängerpaar wurden zu weiteren Vertretern desselben Problems: Beide sind Träger netter, doch kleiner Stimmen, die an dritten Häusern sicher zu reüssieren wüßten. Für größere Häuser gebricht es ihrem Sopran bzw. seinem Tenor an der notwendigen Kompaktheit, am stimmlichen Unterfutter und, in Lovells Fall für jedermann hörbar, auch an der notwendigen Höhe, die nur im Falsett erreicht ward.

V.
Und die Gräfin? Ich gestehe, daß mir Elsa Dreisig, die vielerorts Hochgejubelte, die belangloseste Madeleine meiner Capriccio-Galerie war. Dreisig eignet ein netter, lyrischer Sopran, der vor allem im oberen Drittel des Stimmumfanges seine Stärken hören läßt: runde Tongebung und, sofern aufsteigend, oftmals die Entwicklung einer durchgehenden Linie. Allerdings fehlt es auch dieser Stimme an Kompaktheit, sodaß Dreisigs Madeleine nur wenige Stimmfarben zur Verfügung stehen. Absteigende Phrasen verloren rasch an Intensität und Volumen, vor allem am und unterhalb des passaggio. Das ließ viele Wünsche in bezug auf die stimmliche Gestaltung der Partie offen. Wie interessant könnte, nein, müßte der Schluß-Monolog der Gräfin klingen: nachdenklich, amüsiert, dann, beim Singen des — im übrigen von Hans Swarovsky gefundenen und übersetzten Sonetts von Pierre de Ronsard (1524 – 1585) — schwärmerisch, im Ende kokett mit einem Schuß Ironie. All das wäre mit Hilfe der Stimme, aus der Stimme vorzustellen gewesen.

VI.
Die gemeinsamen Mängel all dieser jüngeren Sänger sind das fehlende Fundament ihrer Stimmen in den entsprechenden tiefen Regionen; die Absenz eines stimmlichen Zentrums, das Fehlen einer kompakten Linie und kontinuierlichen Stütze in leiseren Passagen sowie der Natürlichkeit der Artikulation: — wenig tritt wie gewünscht hervor. All diese Forderungen galten in früheren Zeiten als grundlegend für eine klassisch ausgebildete Stimme. Sie sind untrennbar verbunden mit der korrekten Entwicklung und balancierten Einbindung der Bruststimme, unabhängig davon, ob es sich um eine weibliche oder männliche Stimme handelt, unabhängig vom Stimmtypus oder -fach. Das Resultat sind immer wieder verebbende Phrasen (vor allem bei absteigend Notiertem). Das dagegen verabreichte Allheilmittel scheint der Ruf nach größerer Textdeutlichkeit zu sein, die allerdings nur im » Konsonantenspucken «, der überharten Betonung der Endsilben, endet — und erst recht den Bruch jeder Gesangslinie zur Folge hat.

VII.
Das Ergebnis: stimmliche Alltagskost zu Höchstpreisen, überhöht allein von hervorragendem, festspielwürdigen Orchesterklang.
Frau Gräfin, das Souper ist serviert.

  1. Opera is theatre through song. Its theatrical form is drama, the theatre of conflict. […] Opera’s basic unit of expression is the vocalized wordnote, which embraces its own verbal con­tent while transcending it by musical means. Its central interpreter is the singeractor, who embodies the drama’s characters, and can alone vitalize the wordnotes. […] Opera is not an amalgam of other forms, but only itself: opera as opera. Conrad L. Osborne: Opera as Opera. The State of the Art, Proposito Press, 2018, ISBN 9780999436608; S. 31
  2. Brief von Clemens Krauss an Richard Strauss vom 1. Juli 1942 in: Briefwechsel / Richard Strauss : Clemens Krauss Gesamtausgabe, herausgegeben von Günter Brosche. Verlag Hans Schneider, Tutzing, 1997, S. 482

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