Richard Strauss: »Arabella«, 2. Aufzug: Ein Erinnerungsphoto vom Fiaker-Ball © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Richard Strauss: »Arabella«, 2. Aufzug: Ein Erinnerungsphoto vom Fiaker-Ball

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Richard Strauss: »Arabella«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Die Staatsoper unterbricht die Fastenzeit und spielt Arabella. Sie tut dies in einer Besetzung und musikalischen Qualität, welche wahre Opernfreunde ins Haus am Ring locken wird. Überraschungen inklusive.
So, und nicht anders, sind die Begebenheiten.

II.
Des Spielvogt Bechtolf Umsetzung ist noch immer so vertrottelt wie schon 2006. Nur bemerkt man’s stärker, wenn Sänger Rollen-Debuts geben und, nach den kinematographischen Aufzeichnungen der Première studiert, ihr Spiel ausrichten.

III.
Kammermusik vom feinsten. Gespielt von 100 Mann.

Arabella eben — wenn ein wissender und umsichtiger Orchesterleiter wie Peter Schneider sich der Dinge annimmt. Sparsame Bewegungen im Epizentrum führten zu einem durchsichtigen, auf die Sänger Rücksicht nehmenden Klang. Keine Anämie. So etwas wissen dem Wiener heute nur mehr wenige Kapellmeister gleichzutun; im besten Sinne des Wortes. (Interessant eigentlich, daß die »Straussianer« — ungleich den »Wagnerianern« — nicht mit den Listen und dem Wissen um die Leitmotive der einzelnen opera hausieren gehen.)

Das Staatsopernorchester unter der Führung von Volkhard Steude und Albena Danailova jedenfalls lohnte Schneiders Bemühen mit jenem Strauss-Klang, welchem Opernfreunde allzu oft entsagen müssen. Daß die Vorstellung zehn Minuten länger dauerte — wen kümmert’s an einem Samstagabend, wenn der große Bogen trägt, vom Ende sinnstiftend auf den Anfang verweist? (Nur jene, welche mit öffentlichen Verkehrsmitteln die Heimfahrt anzutreten haben ins Umland, nach Mistelbach oder St. Pölten oder Neunkirchen. Sie wurden belohnt für’s Ausharren.)

Und die Sänger? Sie verstanden, wissend um ihre Instrumente, die gewährte (Mehr-)Zeit zu nützen, dankten mit ausschwingenden Kantilenen.

IV.
Stephanie Houtzeel stand erstmals als Adelaide im Haus am Ring auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Und es begab sich, daß man verstand, was Arabellas Mutter zu singen hatte. Wie selten. Und wie schön, Houtzeels Stimme unforciert zu lauschen, ihrem engagierten Spiel zuzusehen.

Wolfgang Bankl als Graf Waldner, »Rittmeister nicht mehr«, sinnierte über die Leichtfertigkeit der Reichen und erhob seinen Baß als Familienoberhaupt, wie es sich geziemt. (Wien liegt ihm viel näher als das Verona seiner dritten Tochter.) Man wünscht ihm, er könnte, was Hofmannsthal und Strauss in diese Figur packten, einmal in einer adäquaten Inszenierung ebenda zeigen. Man wäre überrascht.

V.
Eine willkommene Überraschung bot Chen Reiss bei ihrem Wiener Rollen-Debut als Zdenka: Da wächst uns etwas Schönes heran. Und keine Rede davon, man erschlüge die Heutigen mit dem Hinweis auf die »großen Alten«. Schon »Aber der Richtige« gelang mit wissend gestalteten Bögen, und spätestens in der großen Szene im dritten Aufzug überzeugte die Israelin vollends. Da fand ihre Stimme zu einer Innigkeit und berührenden Intensität, wie man sie an dieser Stelle kaum hören kann. Die Reiss — sie sei bedankt.

Richard Strauss: »Arabella«, 1. Aufzug: Zdenka (sehr burschikos und durchaus glaubhaft Chen Reiss bei ihrem Rollen-Debut) versucht Arabella (Camilla Nylund) Matteo durch seine Blumen anzudienen. © Wiener Staatsoper GmbH/Ashley Taylor

Richard Strauss: »Arabella«, 1. Aufzug: Zdenka (sehr burschikos und durchaus glaubhaft Chen Reiss bei ihrem Rollen-Debut) versucht Arabella (Camilla Nylund) Matteo durch seine Blumen anzudienen.

© Wiener Staatsoper GmbH/Ashley Taylor

VI.
Ähnliches darf auch von Herbert Lippert als Matteo berichtet werden. Viele werden Einwände gegen Lipperts Tenor vorbringen, z. B. gegen seine im passaggio gequetscht klingende Stimme. Aber wie Lippert Matteos große Szene am Beginn des dritten Aufzugs gestaltete, mit welch schön geführter Stimme er die von Strauss so gemein gesetzten Spitzentöne servierte in Seligkeit über das vermeintliche traute Mitsammensein mit Arabella vor einer Viertelstunde … das war so in Wien schon länger nicht mehr zu hören!

(Interessant auch, daß Strauss Matteo in dieser Szene die Liebestonart E-Dur gönnt. Darüber lohnte es sich einmal nachzusinnen…)

VII.
Mandryka, Matteos Nebenbuhler, ward, nach Auftritten im März 2011, wieder Bo Skovhus anvertraut. Und das zurecht. Großgewachsen und schlank, machte er schon was her als Großgrundbesitzer »aus Ungarn, oder aus der Walachei«. Skovhus ließ sich nicht zum Forcieren verleiten, ließ anstelle dessen das warme Timbre seines Baritons glänzen.

Ein weltmännischer Mandryka stand da auf der Bühne, zugleich aber schüchtern und verlegen in der Annäherung an seine Liebe. Wollte man eine Schwäche benennen, dann den Umstand, daß Skovhus nicht über die unerschöpflichen Kraftreserven eines Tomasz Konieczny zu verfügen scheint. »Mein sind die Wälder, meine sind die Felder« hätte durchaus mehr Aplomb vertragen, mehr Durchschlagskraft.

Details, Kinder, Details…

VIII.
Zum wiederholten Male bereits kehrte uns Camilla Nylund in der Partie der Arabella zurück. Gestern abend: ein Geschenk. Andere Sopranistinnen mögen mehr Publikum anziehen, Kolleginnen, angesetzt in derselben Partie, im Vorfeld mehr Aufmerksamkeit erhalten. Nylund aber liefert: mit gut sitzender Stimme, ohne Schärfen im hohen Register, mit profunder Mittellage. Wie sie, nach über drei Stunden Spielzeit »Das war sehr gut, Mandryka« sang, spielte, nein, gestaltete: Da stand keine Sängerin auf der Bühne, sondern eine Arabella.

Gibt’s ein größeres Glück?

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