»Roméo et Juliette«, 1. Akt: Das rauschende Fest bei den Capulets © Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

»Roméo et Juliette«, 1. Akt: Das rauschende Fest bei den Capulets

© Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Charles François Gounod:
»Roméo et Juliette«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Fad war’s.
Dies die erste (und vielleicht schlimmste) Erkenntnis des Abends. Die zweite: Mag der Tenor auch so gut singen wie er will, er vermag eine Vorstellung nicht zu retten. Die dritte: Maestro suggeritore Mario Pasquariello und Rainer Honeck am Konzertmeisterpult des Staatsopernorchesters war es zu verdanken, daß die Vorstellung durchschnittliches Repertoire-Niveau (oder in einigen Momenten mehr) erreichte.
Soweit der erste Eindruck.

II.
Mit Plácido Domingo hatte man einen Dilettierenden unter den Dirigenten ans Pult gebeten. Damit hatte man zweifellos das Haus gefüllt. Aber man komme mir nicht mit künstlerischen Erwägungen. Domingos »Stärke« — so davon gestern die Rede sein konnte — lag in der Rücksichtnahme auf den Tenor. Dessen Partnerin, die Comprimarii, der Chor — sie blieben weitgehend unbeachtet. Die meiste Zeit über hielt Domingo seine Augen in die Partitur gerichtet, widmete der Bühne keine Aufmerksamkeit. (Interpretatorische Akzente wie in den Aufführungen unter Maestro Armiliato vor einem Jahr waren von Opernfreunden ja ohnehin nicht erwartet worden.) Quälend langsam zog die Vorstellung vorüber, wenig war da durchgearbeitet, modelliert.

Auch das Staatsopernorchester blieb über weite Strecken sich selbst überlassen. Es galt also, »Dienst« zu versehen. Und einen unangenehmen noch dazu. Die Folge: viel zuwenig dynamische Differenzierungen, von denen Gounods Partitur doch nur so strotzt.

Aber auch höchste Namen erwirken das Recht nie, vom Sachbestand abzulocken: »Staatsoper 3.9« also. … Quasi als Vorbereitung auf die Version »4.0«, zu erleben ab September 2020 in diesem Haus. Dann allerdings mit einem Dilettierenden als Direktor, von einem unwissenden — und, nun ja, gewissermaßen auch gewissenlosen — Minister mit einer unlösbaren Aufgabe betraut…

III.
Mit Ausnahme von Dan Paul Dumitrescu als Frère Laurent, der sich mehr als nur achtbar schlug, kann von den Comprimarii nichts Gutes berichtet werden: stimmtechnische Mängel allerorten. Rachel Frenkel beispielsweise gelang es einmal mehr nicht, das Spottlied des Stephano aus der Musik heraus zu gestalten. Wolfgang Bankl als Capulet klang, als habe sich Graf Waldner nach Verona verirrt. Und der Mercutio des Gabriel Bermúdez hinterließ keinen anderen Eindruck als bei seinem Staatsopern-Debut im Juni 2013.

IV.
Aida Garifullina ließ als Juliette in der mittleren Lage eine schlanke, eng geführte Stimme hören. Im unteren Register fehlte der Stimme jedoch des öfteren die Durchschlagskraft, wurde diese fahl. Im oberen Register klang Garifullinas Stimme belegt, den Spitzentönen, falls in Phrasen eingebettet, fehlte die Deckung. Gounods Notentext kam gerade bei schnellen Läufen mehr als nur einmal nicht über den Grad einer »Empfehlung« hinaus. Das einzige gelungene hohe C in »Je veux vivre« war das am Schluß der Arie — ausgerechnet jenes, welches Gounod gar nicht schrieb…

Dafür holperte es bereits ganz zu Beginn mit der Phrasierung: Hastiges Atemholen in kurzen Phrasen paarte sich mit zuwenig Ausdauer in längeren. Das führte zu jener vielfach verbreiteten Unart, bei welcher die letzten Töne einer Phrase »wegbrechen«. Solcherart mit der stimmtechnischen Herausforderungen ihrer Partie beschäftigt, gelang Garifullina kaum stimmliche Gestaltung, fand die Russin nicht zu überzeugendem, geschweige denn mitreißendem Spiel.

»Roméo et Juliette«, 2. Akt: Juan Diego Flórez als Roméo © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Roméo et Juliette«, 2. Akt: Juan Diego Flórez als Roméo

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

V.
So blieb Juan Diego Flórez in der Partie des Roméo allein auf weiter Flur. Dies allerdings mit einer gesanglichen Leistung, die seinen Bühnenpartner um Klassen überlegen war. Aber mit sich selbst kann man nicht spielen. Und so war auch Flórez die »Arbeit« anzumerken, sein Publikum nicht zu enttäuschen. Beckmesserisch könnte man anmerken, daß der eine oder andere Spitzenton (und davon gibt es einige für den Tenor in Gounods Partitur) sich nicht organisch entwickelte, sondern mit dem profunden Wissen um die eigene Stimme und das gesangliche Vermögen angesetzt wurde. Aber: Jeder Versuch ein Treffer. Angesichts der Umstände eine nicht hoch genug zu würdigende Leistung des Peruaners.

VI.
Ein ernüchternder Abend in mancherlei Hinsicht also. Aber wenigstens stimmte der Kassenreport.

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