»Le nozze di Figaro«, 2. Akt: Kate Lindsey (Cherubino) und Guanqun Yu (Contessa d’Almaviva) bei ihren Wiener Rollen- bzw. Haus-Debuts © Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

»Le nozze di Figaro«, 2. Akt: Kate Lindsey (Cherubino) und Guanqun Yu (Contessa d’Almaviva) bei ihren Wiener Rollen- bzw. Haus-Debuts

© Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Wolfgang Amadeus Mozart:
»Le nozze di Figaro«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

»Gewaltig viel falsch Gesungenes, mein lieber Meyer!« — »Nicht mehr als das Wiener Publikum noch mit Applaus zu acclamiren bereit ist, Majestät…«
So, in etwa, waren die Begebenheiten.

II.
Carlos Álvarez eröffnete den Abend. Schon bald wünschte ich mir, es ginge, wenn auch nicht in dieser Tonart, so doch in dieser Qualität weiter: Der Spanier bot aus dem legato geborenes parlando, präsentierte sich stimmlich frisch und mit Spielwitz, ohne größere gesangliche Unsauberkeiten. … Eine glaubwürdige Fortsetzung jenes Charakters, wie Opernfreunde ihn im (später entstandenen) Werk des Schwans von Pesaro lieben gelernt haben. Allein: Álvarez’s Figaro sollte das Beste bleiben, das die Staatsoper ihrem Publikum gestern zu bieten gesonnen war.

Damit wären auch schon die (vor-)ehelichen Probleme der einzelnen Stände umrissen. (Im Laufe der Begebenheiten wird das alles klar werden.)

III.
Valentina Naforniță, nach Da Pontes Sinn doch eine der beiden Drahtzieherinnen dieser opera buffa, vermochte als Susanna Álvarez in keiner Sekunde des Abends Paroli zu bieten: Naforniță säuselte sich durch die Partie, mit unsteter Tongebung, flacher, vor allem vor der Pause stark vibrierender Stimme. Wo ist das Fundament dieser Stimme, darauf zu bauen, aufzubauen wäre? Wiederum (wie schon bei ihrer Zerlina im März 2017) fielen Unsicherheiten in der Phrasierung, Nachdrücken beim Abstieg ins tiefe Register auf. Die »Rosen-Arie« gelang noch am besten, litt aber ebenfalls unter technischen Mängeln. Mehr Mängel als Fehler. 

IV.
Auch Kate Lindsey vermochte mich bei ihrem Wiener Rollen-Debut als Cherubino nicht zu überzeugen. Der Amerikanerin gebrach es ebenfalls an den technischen Mitteln, um über eine gesangliche Bewältigung des Notentextes hinaus in die Regionen der Interpretation vorzustoßen. In »Non so più cosa son, cosa faccio« beispielsweise fordert Mozart den oftmaligen raschen Wechsel vom piano nach forte, gebietet Differenzierung in Dynamik und Ausdruck. Und nach der Einbindung der Spitzentöne in die Phrasen: — welche Lindsey nicht hören ließ.

V.
Sorin Coliban polterte als Don Bartolo durch den Abend und brachte das Kunststück zuwege, für »La vendetta, oh la vendetta« keinen Applaus zu erhalten. Über den Rest — will ich schweigen.

Seine Marcellina wurde von Ulrike Helzel verkörpert. Auch sie kämpfte mit den technischen Schwierigkeiten ihrer Partie. Bei »Via restita servita, madama brillante« beispielsweise lieferte sie sich mit der Susanna der Naforniță ein Gefecht um den ersten Platz kaum hörbarer Phrasen und verschluckter Silben. Der Wettkampf endete unentschieden. (Aber leider nicht 0:0.)

»Le nozze di Figaro«, 2. Akt: Kate Lindsey (Cherubino) und Guanqun Yu (Contessa d’Almaviva) bei ihren Wiener Rollen- bzw. Haus-Debuts © Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

»Le nozze di Figaro«, 2. Akt: Kate Lindsey (Cherubino) und Guanqun Yu (Contessa d’Almaviva) bei ihren Wiener Rollen- bzw. Haus-Debuts

© Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

VI.
Pavel Kolgatin sang vor allem im ersten Akt einen überraschend guten, weil interessanten Don Basilio, während mich Hila Fahima als Barbarina verwundert zurückließ ob ihrer Leistung als Nannetta: »Lho perduta … me meschina«, die Nadel-Arie, offenbarte auch jenen, welche Rezitativen wenig abgewinnen können (dabei bilden sie doch die Essenz des Ganzen), Fahimas gesangstechnische Unzulänglichkeiten. … Mozart fordert den Offenbarungseid. Wenn’s am legato fehlt, hilft es auch nicht, die Bühne immer und immer wieder nach der verlorenen Nadel abzusuchen. Oder, um es mit Thomas Hampson auszudrücken: »If you can’t sing it, doing it isn’t gonna help.«

VII.
Auch das hohe Paar hatte so seine liebe Not: Guanqun Yu ließ bei Ihrem Haus-Debut als Contessa d’Almaviva eine nicht allzu große, aber über das gesamte Register ebenmäßig geführte Stimme hören. Yu focht so manchen Strauß mit Mozarts Vorgaben aus, und gleich ihren Kollegen blieb auch sie nicht immer erfolgreich. Daß die Chinesin nach ihrem zweiten Platz bei Operalia 2012 im selben Herbst bereits die Leonora in Il trovatore an der Metropolitan Opera verkörpert hatte, war nicht zu überhören: Mit großem stimmlichen Druck ging sie gestern an die Arbeit. Ob »Porgi amor« von Mozart so gemeint war? Ich wünsche der Sängern, daß ihre Carrière so lange dauern möge, wie sie der präsentierten Stimme nach bereits währte.

VIII.
Adam Plachetka ist von seinem Stimm-Typus her ebensowenig ein Conte d’Almaviva wie — ich stehe dazu — ein Don Giovanni. Und schon gar nicht in jener stimmlichen Verfassung, in welcher sich der Tscheche gestern abend präsentierte: Grob im Ton, indifferent im Vortrag, lieferte er die Studie eines aufgeblas’nen, schlechten Kerls, keines verheirateten, aber eifersüchtigen adeligen Schürzenjägers.

»Hai giá vinta la causa« beispielsweise zog ohne Höhepunkte vorüber, bar jeder gesanglichen Steigerung, dafür in Plachetkas eigener Fassung. Kein Conte. … Seine Verkörperung der Partie mochte den vorwiegend vazierenden Gästen trotzdem gefallen haben: Ersatz für eine mit gesanglichen Mitteln gestaltete und die Intentionen des Komponisten berücksichtigende Interpretation war sie keiner. Weder der Mustafà noch der Conte d’Almaviva sind jene Hanswurste, als welche Plachetka sie uns im abgelaufenen Monat vorstellte. Der gestrige Abend: eine Enttäuschung.

IX.
So blieben als Felsen in der Brandung der Staatsopernchor, das Staatsopernorchester unter Rainer Honeck und Ádam Fischer am Pult. Wieder bot Fischer eine lebendige, frische und musikantische Lesart der Mozartschen Partitur. Eine Seltenheit in unseren Tagen. Gewiß, hie und da hätte ich gerne die eine oder andere dynamische Schattierung mehr gehört. Aber Fischer deckte die Sänger niemals zu, bot ihnen Halt und Rahmen: — keine gering zu schätzende Leistung das, angesichts der im ersten Stock gebotenen sängerischen.

X.
Oberste Pflicht des Rezensenten: zu berichten was war. Also: Vom Ziel, weltweit erstes Haus für die Mozart-Interpretation zu sein, scheint mir die Staatsoper derzeit weit entfernt.

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