»Pagliacci«, 2. Akt, im Bühnenbild und den Kostümen des großen, des unvergessenen Jean-Pierre Ponnelle © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Pagliacci«, 2. Akt, im Bühnenbild und den Kostümen des großen, des unvergessenen Jean-Pierre Ponnelle

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Pietro Mascagni:
» Cavalleria rusticana « / Ruggero Leoncavallo: » Pagliacci «

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Kurios. Eine Aufführung mit mehr Mängeln als Fehlern. Dennoch, in der Erinnerung, ein erfüllter Abend. (Das gibt es.)

II.
Die Produktionen von Cavalleria rusticana und Pagliacci zählen zu den wenigen verbliebenen Schätzen der Wiener Staatsoper. Jean-Pierre Ponnelle entwarf sie. Zeichnete verantwortlich für Inszenierung, Bühnenbild und Kostüme. Ponnelle: Theatertier; — mit Leib und Seele, Haut und Haar.

Drei Dezennien nach der Erstbegegnung fallen die Regietheaterelemente auf: Eigenmächtigkeiten in der Interpretation, welche einem in der Personenführung entgegentreten: die Chorknaben, die Santuzza mit Papierkugeln bewerfen (oder sollten es Steine sein?); die Frauen, die mit den Fingern auf die Ausgestoßene guter Hoffnung zeigen; die seltsam zurückhaltende Dorfgemeinschaft nach der Ostermesse. Doch wenn man das mit solcher Genialität auf die Bühne stellt …

Santuzzas Verzweiflung; Mama Lucias Hand, mitleidsvoll an ihrer Wange, ehe sie sich erschrocken der Konventionen besinnt; die abwartende, fast lauernde Haltung des Monsters Dorfgemeinschaft; die Unbekümmertheit des Mädchens, das Santuzza auf der Treppe tröstet, ehe ihre Freundinnen sie wegzerren; die offen zur Schau gestellte Teilnahmslosigkeit der Gendarmen, wenn Turiddu und Alfio sich zum Duell verabreden … All das passiert. Unaufdringlich, wie nebenbei — und gleichzeitig so wunderbar stimmig.
Das inszenierte ein Könner.

Dabei spielt man schon seit Jahrzehnten nicht mehr alles, was Ponnelle schuf: Der Fuhrmann Alfio verarmte bereits in der Direktionszeit Holender so sehr, daß er sein Fuhrwerk und den Esel verkaufen mußte. Das Vorspiel zu Pagliacci findet seit dem Ende der Ära von Claus-Helmuth Drese nicht mehr auf offener Bühne statt; mit einer Pantomime von Harlekin und Colombina, während Tonio, nachdem er hinter einer großen Trommel aufgetaucht war, den Prolog sang. Entsinnt sich noch jemand Matteo Manuguerras? Piero Cappuccilli war der erste (zu Beginn der Direktion Eberhard Wächter, der den Prolog im Lichtkegel vor dem Vorhang sang. Piero Cappuccilli — nicht nur für eine Generation von Opernfreunden der Sänger mit dem unendlichen Atem …

Interessant eigentlich — ist diese Direktion doch bei Neuinszenierungen und Übernahmen peinlich darauf bedacht, auch die größten Dummheiten eines Spielvogtes mit Hauen und Stechen für ein als zeitgemäß ausgerufenes » Musiktheater « (welches die Kunstform Oper selbstverständlich nie war oder werden wird) als unabdingbar notwendig zu verteidigen.

Was bleibt — weil vom Tun gastierender Sänger unabhängig —, ist die Führung der Chöre; die mit Könnerschaft alle Stimmungen der Musik widerspiegelnde Ausleuchtung des Bühnenbildes und die sich daraufhin einstellende Magie des Augenblicks.

III.
Mit Daniel Harding war ein seltener Gast ans Pult des Staatsopernorchesters geladen. In Erinnerung blieb mir eine Serie des Fliegenden Holländer aus dem Mai 2013. Diesmal hatte die Spielgemeinschaft des Staatsopernorchesters das B-Team entsandt. (Das A-Team war wohl mit den Proben für das letzte Abonnement-Konzert der Wiener Philharmoniker und den Orchesterproben für die Götterdämmerung ausgelastet.) Der Abend war geprägt von fortgesetzter Inaktivität am Konzertmeisterpult, Unsicherheiten bei den Holz- und Blechbläsern, einem rustikal klingenden Solo-Cello sowie mancher Schwebung im Zusammenspiel. Auch einige Chorstellen verloren unsauberer Einsätze wegen an der notwendigen Stringenz.

Dennoch: Da stand — mit Ausnahme Bertrand de Billys bei den Dialogues des Carmélites und, hoffentlich, Franz Welser-Möst beim Ring des Nibelungen — endlich wieder einmal ein Dirigent am Pult. Ein Gestalter, für den Agogik und tempo rubato nicht verdammenswertes Teufelszeug zu sein schienen. Harding wählte für beide Opern, vor allem aber Cavalleria rusticana, ungewohnt langsame Tempi. Er war damit eines Sinnes mit dem Komponisten, der für seine Einspielung mit den Kräften des Teatro alla Scala im April 1940 ebenso langsame Tempi gewählt hatte. Doch Mascagni standen Lina Bruna Rasa und Benjamino Gigli zur Verfügung. Von Hardings Sängern eignete einzig Elena Stikhina die für eine solche Interpretation erforderliche Stamina. (In den Pagliacci gesellte sich noch Jörg Schneider zu dieser Runde.)

Harding widerlegte auch die Mär vom im Parkett immer zu lauten Orchester. Da klang vieles fein und differenziert, und nicht durchgehend so lärmend wie bei anderen, die uns Opernfreunden nicht nur auf den Abendzetteln mit vergleichenden Superlativen — einer der interessantesten Dirigenten seiner Generation — als Maestri angepriesen werden, die sie niemals werden.

War man denn dann zusammen, ergaben sich Momente außergewöhnlicher musikalischer Schönheit: das Regina cœli oder die Intermezzi in der Cavalleria rusticana und den Pagliacci sowie manch andere Chorstelle hie wie da. In diesen Augenblicken war die Opernwelt in Ordnung.

IV.
Gesanglich waren die heute üblichen Abstriche zu machen, orientiert man sich an den von früheren Sängergenerationen erbrachten Leistungen. Singing with a Knödel, lautete das aus dem Angelsächsischen entlehnte Motto. Die Kunst des legato wurde auch an diesem Abend äußerst selten gepflogen. Fast allen Sängern fehlte es an Textdeutlichkeit: für den Fachmann Hinweis auf gesangliche Mängel aller Arten mit den unterschiedlichsten Ursachen. Wenn einmal eine Phrase gelang, sich eine Linie einstellte, war dies zumeist zufälliges Ergebnis. Doch die korrekte, fortwährende Anwendung von legato und portamento bilden die Grundvoraussetzungen für jeden (nicht nur) klassischen Gesang. Ohne sie, ohne die Produktion eines fokussierten, geraden und steten Tons über den gesamten Stimmumfang in gleichbleibender guter Qualität ist klassischer Gesang nicht möglich.

An besagtem Abend wartete einzig der Peppe des Jörg Schneider mit diesen Qualitäten auf. Auch bei ihm waren ein paar Unsicherheiten nicht zu überhören, doch sang er als einziger auf Linie und mit fokussiertem Ton; — schön die organisch sich entwickelnden ritardandi auf die hohen › a ‹ in O Colombina. Die Registerwechsel erfolgten unhörbar, die Textdeutlichkeit war geradezu vorbildlich; jedenfalls im Vergleich zu seinen Kollegen.

»Cavalleria rusticana« © Wiener Staatsoper GmbH

»Cavalleria rusticana«

© Wiener Staatsoper GmbH

V.
Amartuvshin Enkhbat war ein ebenso uninteressanter Alfio wie stimmlich unzureichender Tonio. Einzig dessen Prolog gelang besser; doch auch hier wäre viel mehr an gesanglicher Gestaltung wünschenswert, nein, notwendig, gewesen, um den lobpreisenden Ankündigungen gerecht zu werden. Enkhbats Gesang fehlte es an der weit gesponnenen Linie. Er hatte Probleme mit der Diktion, die Stimme klang oft gaumig und breit geführt.

Yonghoon Lee war ursprünglich nur als Canio vorgesehen gewesen. Jonathan Tetelman, in der Jahresvorschau als Turiddu angekündigt, hatte, so die Auskunft seiner Agentur, die Abende bereits im Herbst zurückgegeben. (Tetelmans Staatsopern-Debut soll nun in der Saison 2025/26 stattfinden.) Nachdem in der Monatsvorschau noch Riccardo Massi als Turiddu angegeben war, übernahm schließlich Lee auch diese Partie, die er bereits im März 2019 an der Seite von Elīna Garanča gesungen hatte.

Lees Stimme trägt erst ab dem mezzoforte. In der » Siciliana « klang die Stimme so brüchig, daß ich um den Fortgang des Abends fürchtete. Lees Tenor überzeugte wohl viele in den lauten Passagen — einen klaren, geraden und steten Ton produzierte er allerdings selten. Im oberen Register klang vieles gequetscht, und vom Text verstand man wenig.

Elena Stikhina stellte sich erstmals in Wien als Santuzza vor: mit überraschend kompakter tiefer und mittlerer Lage. Selten hatte ich das Gefühl, Stikhina müsse für tiefe Töne » nachdrücken « oder dunkle die Stimme ab. Die Sängerin hinterließ mir einen besseren Eindruck als vor Jahren in Cherubinis Medée bei den Salzburger Festspielen. Leider verlor die Textdeutlichkeit ab dem passaggio rasch. Viele Spitzentöne waren zu tief angesetzt oder klangen scharf.

Isabel Signoret war eine gesanglich leichtgewichtige und auch im Spiel kaum Akzente setzende Lola. Signorets Stimme — ebenso wie jene Noa Beinarts als Mama Lucia — vermag nicht das für ein Haus dieser Größe notwendige Volumen zu entwickeln. Auch Beinart mangelte es am gesanglichen Ausdruck, an der Gestaltung ihrer Partie mit bzw. durch die Stimme. Eine Mama Lucia könnte viel ergreifender sein.

VI.
Bleiben Silvio und Nedda, das Liebespaar aus den Pagliacci: Sowohl Stefan Astakhov als auch Asmik Grigorian gaben an diesem Abend ihre Rollen-Debuts im Haus am Ring. (Grigorian war ursprünglich auch als Santuzza angesetzt gewesen, hatte diesen Teil des Abends jedoch an Elena Stikhina abgegeben.)

Astakhov schien immerzu bestrebt, seine Stimme größer erscheinen zu lassen als sie ist. Das klang zwar angenehm im Ohr und hinterließ den Eindruck, als verfüge diese über die notwendige Kraft für das Haus. Die unruhige Tongebung und eine undeutliche Aussprache sowie immer wieder wechselnder Stimmdruck selbst in einzelnen Worten wecken allerdings wenig Hoffnung auf die erträumte Zukunft.

Asmik Grigorian bot für mich in der Partie der Nedda ihre bisher beste Leistung. Seit dem Il trittico im letzten Salzburger Sommer schien mir ihre Stimme in der Tiefe und der Mittellage dunkler und mit größerem, fortgesetzt abrufbaren Volumen versehen. Bis zu jenem Abend hatte ich Grigorians Vorstellungen immer mit dem Eindruck verlassen, die Sängerin spiele sich selbst. Diesmal war mir, Grigorian spielte (und sang) Nedda. Nedda, Canios um viele Jahre jüngere, dem Krüppel Tonio gegenüber herzlose Frau. (In Wahrheit weiß sie sich Tonios Zudringlichkeiten nicht anders als durch Grobheiten zu entziehen.) Eine Frau, die dem Drängen ihres Liebhabers widerstehen will; — wohl auch im Wissen um ihres Mannes Jähzorn. Mir war, als sei jene Kälte, jene Herbheit, welche Grigorian für mich bisher immer ausstrahlte, teilweise einer ihr zum Vorteil gereichenden Weiblichkeit gewichen. Stridono lassù, das Vogellied, geriet jedenfalls zu Grigorians Höhepunkt des Abends.

Im zweiten Teil der Pagliacci waren allerdings einige Unsauberkeiten nicht zu überhören: In Verkennung des Umstandes, daß auch diese Phrasen gesanglich modelliert werden wollten (wie einst bei Ileana Cotrubas), gab es einige scharfe Spitzentöne, brach die Gesangslinie immer wieder. Opferte Grigorian den stimmlichen Ausdruck der Aktion.

VII.
Kurios. Trotz aller Einwände überzeugte Daniel Hardings musikalischer Gestaltungswille. Welch einen Unterschied doch das Engagement eines Dirigenten macht.

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