Luigi Cherubini: »Médée«
Salzburger Festspiele
Von Thomas Prochazka
Die zweite: Pflegen Sie ab sofort mit jenen, welche diese Produktion in irgendeiner Weise unterstützten, verantworteten oder sonstwie befürworteten, nur mehr Umgang im gesellschaftlich unbedingt notwendigen Ausmaß. Denn diese Médée ist die Bankrotterklärung der Salzburger Festspiele und erreicht — mit Ausnahme der Wiener Philharmoniker und, mit ein paar Abstrichen, der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor — in keinem Moment festspielwürdiges Niveau.
II.
Simon Stone, der szenische Urheber dieses Abends, verlegt die Geschichte ins Hier und Jetzt; — ins Jahr 2019 in Salzburg: »Das Publikum solle das Gefühl haben, daß das auf der Bühne Gezeigte etwas mit dem eigenen Leben zu tun habe«, berichteten die Salzburger Festspiele von Simon Stones im »Terrassen-Talk« gegebener Erklärung. Aus der Zauberin wird eine betrogene Ehefrau. Aus Kolchis im südlichen Kaukasus wird das Reich Créons im Salzburger Seenland. Mitarbeiter in Austrian-Uniformen finden sich ebenso auf der Bühne wie österreichische Polizisten. Und: Man spricht Französisch in diesem Landstrich. Nichts paßt also zusammen an diesem Abend; es sei denn, man erhebt die Schizophrenie zwischen Gezeigtem und Gesungenem zum Programm. (Man heißt so etwas auch sekundärer Analphabetismus.)
III.
Stone und sein Bühnenbildner Bob Cousins zerlegen in ihrer Unfähigkeit, die Bühne des Großen Festspielhauses adäquat zu bespielen, die Schauplätze der Handlung in an eine Puppenstube erinnernde Elemente. Verkleinern die Räume. Stellen die enttäuschte und betrogene Ehefrau Médée in den Vordergrund, ohne Jasons Betrug und die in der griechischen Tragödie zwangsläufig daraus sich ergebenden Konsequenzen zu thematisieren. Doch genau das ist es, was dieser Stoff für uns bereithält.
Dafür gibt es einen Brautsalon (für Dircé) ebenso zu bestaunen wie ein Internet-Café, eine Hotel-Lobby, Jasons Hotel-Suite, den Ankunftsbereich eins Flughafens, Jasons und Dircés Wohnung und schließlich eine Tankstelle, an der Médées und ihrer Kinder Leben auf unspektakuläre Weise ihr Ende finden (Kostüme: Mel Page). Davor, dazwischen und überhaupt setzt Stone dem Publikum Videofilme vor, sucht zu erklären, was doch nur von der Musik ablenkt.
Mit der von Euripides und Corneille geschaffenen Geschichte der antiken Zauberin hat all das nichts zu tun. Diese für uns heute Lebenden verständlich auf die Bühne zu bringen: Es wäre die Aufgabe gewesen.
Auch gibt es für Dircé von Médée kein vergiftetes Hochzeitsgewand, sondern einen Dolchstich; — und, weil Créon günstig und in Reichweite steht, trifft diesen das nämliche Schicksal. Doch wäre Médée nicht Médée, gelänge es ihr nicht, trotzdem mit ihren Kindern den Soldaten Créons zu entkommen. (Die Bodyguards eines Königs sind auch nicht mehr, was sie einmal waren.)
Créon ist in einer Szene »nur« Brautvater, dann doch wieder König dieses seltsamen, von Trägern österreichischen Polizeiuniformen bevölkerten Landes. Dennoch findet er die Zeit, Médée persönlich im Ankunftsbereich des lokalen Flughafens zu erwarten und ihr schließlich — wer verläßt sich schon gerne auf seine Beamte? — die Einreise für 24 Stunden persönlich zu gestatten.
Im unteren Teil der Bühne singt währenddessen Néris, Médées Vertraute, als Haushälterin in Jasons Wohnung vor dem Fernsehapparat. In diesem wird Médées Ankunft am Flughafen (»International Arrivals«) live übertragen. Laut Libretto wendet sie sich an die Zauberin, diese solle Créons Haß nicht reizen. Doch wen interessieren heutzutage noch Libretti?
Nichts paßt also zusammen an diesem Abend. François-Benoît Hoffmans Text straft Stones Bilder in einem fort Lügen. Die Musik erzählt eine andere Geschichte als der Spielvogt, und die Aussage Stones, Médée sei »das wohl älteste Immigrantendrama der Welt«, wird jeder Kenner der antiken Tragödien nur mit einem spöttischen Lächeln bedenken.1 Daß Stone Sprachnachrichten für Médée nachdichtete, dient vielleicht dem Abend, nicht aber dem Werk; — um welches es doch gehen sollte. Aber solches Tun bringt Tantiemen. Auch ein Spielvogt muß schließlich von etwas leben.
Otto Schenk sprach einmal davon, daß eine Regiearbeit gut, aber falsch sein könne. Stones Arbeit ist weder das eine noch das andere.
IV.
Doch Cherubinis Musik? Auch sie vermag einen solchen Abend nicht zu retten.
Die Wiener Philharmoniker treten in einer zwölf erste Violinen umfassenden Besetzung an, wo selbst im Großen Festspielhaus mit acht das Auslangen zu finden gewesen wäre. Thomas Hengelbrock am Pult bemüht sich den ganzen Abend um einen schlanken, durchsichtigen und doch kernigen Orchesterklang. Das gelingt und hinterläßt dennoch einen schalen Nachgeschmack: Denn gegen die gesanglichen Defizite auf der Bühne ist kein Kraut gewachsen. Kaum einer der aufgebotenen Sänger vermag legato zu singen, keiner erreicht festspielwürdiges Niveau.
V.
Den besten Eindruck hinterläßt noch Vitalij Kowaljow als Créon. Man ist heutzutage ja schon froh, auf einen genuinen Vertreter des tiefen Stimmfachs zu treffen, sodaß man gar keine höheren Ansprüche mehr zu stellen gesonnen ist. Kowaljow schlägt sich wacker, verleiht der Figur des Créon Substanz; läßt Anzeichen von legato-Gesang hören. Darstellerisch (auch stimmlich) bleibt er dennoch blaß.
Kowaljows Frau, Alisa Kolosova, gelingt als Néris nicht nicht einmal ersteres. Ihre Stimme klingt von Anfang bis Ende unruhig; unstet; flackert. Was im Brustregister an Volumen fehlt, wird im oberen Register als angestrengtes Gegen-den-Kehlkopf-Singen hörbar. Ich darf nicht daran denken, daß diese Partie einstens einer Fedora Barbieri anvertraut worden war.
VI.
Rosa Feola als Dircé klingt die ganze Vorstellung über angestrengt. Ihre den Abend eröffnende Arie gibt beredt Zeugnis von Feolas stimmlichen Defiziten. Die Italienerin singt undeutlich, ihr Französisch ist kaum zu verstehen. Dircés Ängste, ihre Sorgen, werden in keiner Sekunde begreiflich, liest man nicht die Übertitel mit.
Gleiches muß Pavel Černoch als Jason berichtet werden. Černochs Stimme klingt immerzu gepreßt, als sänge er druckvoll gegen einen geschlossenen Kehlkopf. Von legato, von musikalischer Gestaltung der Partie keine Spur. Alles huscht vorbei. Im Schlußbild war ich froh, Černochs Tun nicht mehr lange ertragen zu müssen.
VII.
Auch die Médée der Elena Stikhina läßt den ganzen Abend alle, die zuhören wollen, nicht im Zweifel: Darüber nämlich, daß Stikhina den Anforderungen der Partie gesangstechnisch nicht gewachsen ist. Da fehlt es an der kräftigen Kopfstimme, welche vornehmlich im Bereich über dem passaggio zum Einsatz kommen sollte. Dieser Bereich ebenso wie das Brustregister sind bei Stikhina unterentwickelt; vor allem, doch nicht nur, wenn es darum geht, piano zu singen. Die Tongebung im oberen Bereich des Stimmumfangs gerät metallisch und scharf, ohne jedoch einen Kern zu entwickeln. Doch solcherart entzieht sich die Partie der Médée jeder gesanglichen Gestaltung, geraten die großen Szenen lang — und langweilig. »So kann ich nicht arbeiten«, soll Thomas Hengelbrock gegenüber Stikhina in den Proben mehrmals festgestellt haben. Das Ergebnis wägend, kann ich es ihm nachfühlen.
VIII.
Ein Großteil des Premièren-Publikums jubelt pflichtschuldig in einer Mischung aus kognitiver Dissonanz und der Armseligkeit seiner Bedürfnisse.
Manchmal muß man stolz darauf sein, einer Minderheit anzugehören.
Anmerkung des Herausgebers: Weitere Details und Überlegungen zu dieser Produktion finden Sie im Feuilleton-Beitrag ›Gedanken zu… »Médée« ‹.
- Simon Stone ist als Regisseur der für September 2019 angekündigten Neuinszenierung von Verdis La traviata an der Opéra national de Paris vorgesehen. Diese Koproduktion mit der Wiener Staatsoper wird am 4. März 2021 die aktuelle Wiener Inszenierung von Jean-Fançois Sivadier ablösen. Nie hätte ich mir träumen lassen, daß ich mir einmal wünschte, Sivadiers Inszenierung möge uns erhalten bleiben. Doch nach dem heutigen Abend…↵