Wolfgang Amadeus Mozart:
» Così fan tutte «
Wiener Staatsoper
Von Thomas Prochazka
II.
Der Abend ward szenisch von Barrie Kosky verantwortet. Gianluca Falaschi schuf Bühnenbild und Kostüme; d.h., er ließ letztere bis auf fünf in den Bekleidungsgeschäften der Stadt erwerben: Jeans, Cargo-Hosen, T-Shirts, Tops, Hoodies, Sneakers, einen schlecht sitzenden Anzug, Militärklamotten … Alles Kleidungsstücke also, deren eine Produktion, welche als » zeitgemäß « gelten will, heute für ihre Ausstattung dringend bedarf. Franck Evin beleuchtete das Ergebnis: ein armseliges Theaterportal auf einer Drehbühne, Stühle (alles Einzelstücke), zwei Tische zum Umwerfen, Daraufspringen und Herumtollen, ein wenig abseits ein paar rollbare Theaterscheinwerfer. Und Philippe Jordan ließ einmal mehr hören, daß seine Bestellung zum Musikdirektor des Institutes auf einem fundamentalen Mißverständnis fußt.
(Im Laufe der Begebenheiten wird das klar werden.)
Besagter Abend: die gefühlt längste Vorstellung dieses Werkes meines Lebens. Mehrmals ertappte ich mich im ersten Akt bei der Überlegung, welche Szenen denn noch bis zur Pause zu absolvieren seien. Dies war weder der Öffnung von Strichen noch dem von Philippe Jordan angeschlagenen Tempo geschuldet; sondern der szenischen und musikalischen Qualität des Gebotenen.
III.
Barrie Kosky verlegte die Handlung in die Gegenwart und läßt das Stück auf einer Theaterprobe spielen. Don Alfonso ist der Regisseur, Despina agiert als Inspizientin, Fiordiligi, Dorabella, Ferrando und Guglielmo als Sänger. Turtelnd erscheinen die Paare bereits während der Ouverture. Vorhang gibt es keinen: Mozarts Anmerkung s’alza il sipario
in der Partitur nach den ersten Takten des ersten Terzetts teilt das Schicksal einer als unverbindlich anzusehenden Empfehlung mit Lorenzo Da Pontes Beschreibung des Schauplatzes: bottega di caffè
.
Die Sänger schälen sich aus Bomberjacke und Hoodie, legen ihre Rucksäcke unter die Stühle und wärmen sich auf, während Despina eine Aluminium-Kanne mit frisch gebrautem italienischen moka auf dem Regietisch bereitstellt. Fiordiligi und Dorabella werden Zeugen von Don Alfonsos Spöttereien über die weibliche Treue, verlassen verärgert die Szene — und geben so den Herren die Möglichkeit zum Abschluß der Wette. Bekräftigt wird sie mit einem Handschlag und der Soldatenehre von Sängern … — oder so ähnlich.
Danach beginnt die Probe, d.h., die Damen singen ihr erstes Duett Ah, guarda, sorella
. Die Herren Sänger nehmen nach ein paar akrobatischen Aufwärmübungen auf zwei Stühlen Platz, Don Alfonso führt Regie. Es folgt eine (Rauch-)Pause für die Herren, Don Alfonso stimmt auf einmal sein erregtes, nichtsagendes Ständchen Vorrei dir, e cor non ho
an, warum und weshalb, bleibt im Dunkeln. Ferrando und Guglielmo werden plötzlich, nein, » ur-plötzlich «, zum Kriegsdienst eingezogen und ziehen sich auf der Probe um. Despina, die (noch) Ahnungslose, legt die Uniformjacken und Barette bereit.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt darf man Koskys » Konzept « als gescheitert betrachten. Die Spielebenen verschwimmen, alle Logik (das ist jene Wissenschaft, die Inszenierende nur dann gelten lassen, wenn sie ihnen zupaßkommt) gilt als aufgehoben. Da Pontes Libretto wird jede Bedeutung abgesprochen: Zu oft widersprechen einander gesungener Text, niedergelegte Regieanweisungen und des Spielvogtes Forderungen an die Sänger.
Kosky ist nicht im geringsten daran interessiert, die der Oper innewohnenden Prinzipien für uns Heutige erfahrbar zu machen. Er gefällt sich darin, zur Musik und dem gesungenen Text seine Handlung (oder das, was er dafür hält) zu erzählen. Man nennt das im Dramaturgen-Sprech eine dichte, temporeiche Inszenierung
. Früher hieß man soetwas einen veritablen Durchfall, und ein funktionierendes Opernfreunde-Biotop (dessen Renaturierung nicht nur in Wien bitter not täte) hätte nach fortgesetzten Wiederholungen längst öffentlich und unüberhörbar von den fachlich und politisch Verantwortlichen Konsequenzen gefordert.
Indessen fordert der Spielvogt von seinen Sängern hohen körperlichen Einsatz: Da wird gesprungen und geturnt, Tische werden erklommen, Treppen bis zum Schnürboden hinauf und wieder herab gestiegen; — weil dem Verantwortlichen nichts Besseres einfiel? Despina singt ihre Arie Una donna a quindici anni
, während sie — nicht einmal Kosky wird noch wissen warum — auf einer Treppe und Geländern turnen muß. Geradeso, als wäre Operngesang nicht für sich allein schon eine Höchstleistung, welche die Bündelung aller Kräfte bedingt.
IV.
Als Zuschauer stolpert man von einer Irritation in die nächste: Wieso ziehen die Männer — bei Kosky Sänger und nicht, wie von Da Ponte vorgesehen, Berufssoldaten — von der Probe weg ohne Ausrüstung in den Krieg? Lassen ihre Rucksäcke, ihre Zivilkleider zurück? Welcher Konflikt wäre das, von dem die dargestellte Generation Y oder Z noch nicht aus den Social Media erfahren hätte? Welches Land setzt heute noch Barken als Kriegsschiffe ein? Wieso erkennen Fiordiligi und Dorabella ihre Liebhaber (bzw. dessen Freund) nicht, wenn diese im Finale des ersten Aktes und im Verlauf des zweiten mehrmals ohne Verkleidung vor ihnen stehen?
Woraus (ausgenommen vielleicht seine Vorliebe für quälend schlechten Humor) leitet der Spielvogt die szenische Notwendigkeit ab, Ferrando und Guglielmo, die doch Turcchi
oder Valacchi
darstellen, Rokoko-Roben anziehen zu lassen, wenn sie im zweiten Akt nach den ersten vergeblichen Verführungsversuchen wieder auf die Schwestern treffen? Wieso findet dieses Zusammentreffen auf den Stahltreppen der Hinterbühne statt und nicht, wie im Libretto vermerkt, in einem Garten am Ufer des Meeres
? Oder zumindest auf dem von Gianluca Falaschi geschaffenen Theaterportal? Wo wir doch angeblich einer Theaterprobe beiwohnen, in der die verkleidet Wiedergekehrten auf Don Alfonsos Bitten die Plätze der ursprünglichen Liebhaber einnahmen? Oder, falls auch dieser Inszenierungsansatz schon nicht mehr gilt: Wieso sollte ein Spielleiter dulden, daß man seine Probe stört?
V.
Anstelle der Parodie der von Franz Anton Mesmer praktizierten Anwendung des Magnetismus steckt die als Arzt verkleidete Despina den Liebhabern eine Klemme eines Ladekabels in den Mund. Die zweite Klemme wird im Schritt plaziert (wieder ein Beispiel ungustiös seichter Kosky-Zoten). Dann leitet dieser » Arzt « Strom durch die Körper der beiden. Ist man übermäßig sensibel, wenn man solches angesichts der aus dem Ukraine-Krieg berichteten sexuellen Folterungen nicht nur an Soldaten als unentschuldbar geschmacklose Entgleisung empfindet?
VI.
Philippe Jordan am Pult des Staatsopernorchesters verwaltete die Partitur. Ohne besondere Höhepunkte, ohne Interpretationsidee, deren es doch so viele gibt:
- Fritz Buschs Deutungen aus aus Glyndebourne 1935 bzw. 1951 (mit Sena Jurinac als Fiordiligi): federnd, immer vorwärtsdrängend, nirgends zu stark akzentuiert und mit intakter Binnenspannung auch in den langsamen Ensembles. Die Folge: eine Leichtigkeit und dabei doch innere Spannung, die so seit damals nicht mehr erreicht wurde. (Man höre sich die Ouverture aus dem Jahr 1935 an.)
- Karl Böhms Aufnahmen mit den Wiener Philharmonikers: mit jener den Deutschen und Österreichern innewohnenden Behäbigkeit (und vielen, zu vielen Strichen, vor allem im zweiten Akt), welche als » klassische Interpretation « immer noch geschätzt wird.
- Nikolaus Harnoncourts letzte Worte zu Così fan tutte (2014): langsam, doch nicht nur in Despinas Arie
In uomini, in soldati
aussagekräftiger, dynamisch viel weiter aufgefächert. Man muß sich Harnoncourts Sichtweise nicht anschließen. Sein Ehrgeiz, jeder musikalischen Wendung nachzuspüren, ihr im Kontext Sinn zu geben, bietet einen Zugang zum letzten Werk der Da Ponte-Trilogie, die des Nachdenkens darüber lohnt. - Oder, als (leider vergriffener) Live-Mitschnitt von den Salzburger Festspielen (1982) und damit aus Zeiten, als man Produktionen noch mehrere Sommer hintereinander und zum Teil in denselben Besetzungen aufs Programm setzte, Riccardo Mutis vor Italianità berstende Abende. Mit in alter, italienischer Tradition virtuos vorgetragenen Rezitativen: rasch, differenziert, ausgezeichnet verständlich …
Philippe Jordan bot nichts dergleichen. Der Andante-Teil der Ouverture geriet zu rasch im Vergleich zum nachfolgenden Presto, die Akzente den ganzen Abend zu stark, seine Einwürfe am Hammerklavier beliebig. Einzig im Finale des ersten Aktes nahm die Aufführung Fahrt auf; doch unsauber gesungen, verpuffte der Effekt bald. Dafür entschädigte auch der stellenweise noble Klang des kleinstbesetzten Staatsopernorchesters in den elegischeren Nummern (z.B. in Fiordiligis großen Szenen) nicht.
VII.
Musikalisch leichtgewichtig auch die gesungenen Beiträge, allen vorn jene von Federica Lombardi (Fiordiligi), Emily D’Angelo (Dorabella) und Kate Lindsey (Despina): Ohne das erforderliche legato, ohne energetische Aktivierung der unteren Stimmfamilie und Einbindung derselben in die Kopfstimme bleibt alles gesangliche Tun nur Stückwerk. Es geht hierbei nicht nur um die Kraft für die tiefen Töne, sondern um die Stabilität und die Verankerung der Stimme über den gesamten Umfang.
Federica Lombardi hatte die wohl schwierigste Aufgabe zu bewältigen: In ihren zwei großen Szenen komponierte Mozart viele Registerwechsel und zum Teil lange, unterhalb des passaggio angesiedelte Phrasen.1 Lombardi verfügt in der oberem Oktave über eine schöne, allerdings nicht zu große Sopranstimme und genügend Kraft für eine durchaus gute Gestaltung der Rezitative. Die Spitzentöne der Fiordiligi bereiten ihr keine Probleme, wenngleich die Stimme in den ihr zur Verfügung stehenden Farben eingeschränkt ist. Im passaggio und darunter fehlt es am notwendigen Stimmvolumen: Lombardi hat keine Bruststimme. Die Ehrfucht und Anspannung vor Per pietà, ben mio, perdona
, der Sängerin Ringen um die tiefen Phrasen waren denn auch nicht zu überhören.
VIII.
Emily D’Angelo lieh der Dorabella Stimme und Gestalt. D’Angelos Stimme klang streckenweise unsauber geführt und im Ausdruck eindimensional, mitunter glanzlos. Auch darstellerisch blieb ihre Dorabella, doch die kokettere und leichtlebigere der Schwestern, zu zurückhaltend; letzthin uninteressant. Des Musikdirektors unentschlossenes Dirigat, z.B. in Smanie implacabili
, mochte dazu ebenso beigetragen haben wie Koskys Spielanweisungen.
Mozart komponierte Dorabellas erste Arie in der Heldentonart Es-Dur (Allegro agigato, alla breve). Das vorangestellte secco recitativo mit seinen der opera seria entlehnten harten Akzentuierungen und rasenden Streicherläufen, der musikalische Satz und Da Pontes Text lassen wenig Zweifel, daß sich Mozart und Da Ponte über Dorabellas (vorgebliche) Verzweiflung lustig machen. (Außerdem hätte Mozart für die tragische Variante wahrscheinlich die Tonart c-moll gewählt.) Das komponierte Luftschnappen auf sospir
, von Pausen unterbrochen, als bekäme Dorabella vor lauter Aufregung keine Luft, ist ein Beispiel für Mozarts musikalischem Humor. Das hätte man gerne auch gehört, doch weder Jordan noch D’Angelo schienen derartiger, aus der Musik erwachsender Gestaltung zugeneigt.
IX.
Die Despina der Kate Lindsey fand ihr Heil im Spiel. Als sie am Ende des Abends den blinden Notar Beccavivi darstellte, ließ sie ihrem Sinn für Komik freien Lauf. » Beccavivi «: ein weiterer Wortwitz Da Pontes, abgeleitet vom umgangsprachlichen » beccamorto « (Totengräber). Lindsey versuchte den ganzen Abend hindurch, ihr Instrument größer erscheinen zu lassen, als es ist. Doch wie ihre Kolleginnen bestreitet sie ihre Karriere ohne Bruststimme. Die Folgen: Der Sopranistin Stimme klang — vor allem im ersten Akt — flach, belegt, ohne die notwendige Resonanz. Für die parlando-Passagen fehlte es an der notwendigen Akuratesse.
Dieses Manko teilte Lindsey mit Christopher Maltman, dem Don Alfonso dieser Produktion. Maltmans Stimme ist für den alten Philosophen bereits zu schwerfällig, das parlando zu ungenau. Im ersten Akt war er in einigen piano notierten Phrasen kaum hörbar.
X.
Der Abend bot zwei Ferrandos: Filipe Manu, von einer Luftröhrenentzündung noch nicht genesen, spielte auf der Bühne, der eilig aufgebotene Ben Bliss sang bei seinem Haus-Debut aus dem Orchestergraben. Bliss’s Stimme klang bis in die Höhen dunkel, mit festem Ton. Oberhalb des passaggio sang er allerdings mit breit geführter Stimme, und der Zugang zu den Spitzentönen des Ferrando (das hohe Tenor-› a ‹) bzw. darüber hinaus klang mir limitiert. Bliss’ phrasierte besser als seine Kollegen. Sein Instrument verfügt auch im piano über den notwendigen Stimmdruck für einen Ferrando, und seine Artikulation war — im Vergleich mit seinen Kollegen — geradezu vorbildlich.
Peter Kellner war ein Guglielmo mit kräftiger Stimme, allerdings unstet in der Tongebung. Auch er schien mir den Fokus auf das Spiel zu legen; — leider nicht auf jenes mit der Stimme. Im Vergleich zu seinem Figaro ließ der Guglielmo in bezug auf die musikalische Gestaltung einige Wünsche offen, z.B. was die Phrasierung betrifft. Und anders als bei Ben Bliss lebt nach ein paar Tagen nur noch wenig in der Erinnerung an Kellners Gesang.
XI.
Im Finale stoben die vier Jungen wütend auseinander, obwohl Mozarts Musik und Da Pontes Text zur Erkenntnis einladen, man solle die Dinge nicht zu schwer zu nehmen. Zuvor knallten die sich düpiert fühlenden Liebenden Don Alfonso ihre Klavierauszüge zu Così fan tutte auf den Regietisch. Sie hatten recht: Der Spielvogt hat sie für seine Zwecke mißbraucht, Così fan tutte sah man an diesem Abend nicht. Aber das, so steht zu vermuten, war ja auch niemals Koskys und Roščićs Absicht.
- Für detaillierte Information zur Geschichte und Analyse von
Come scoglio
siehe: Die Oper — Kritische Zeit für eine Kunstform? (V) vom 5. Oktober 2019.↵