Art déco-Plafond des Théâtre des Champs-Élysées, Paris © Thomas Prochazka

Art déco-Plafond des Théâtre des Champs-Élysées, Paris

© Thomas Prochazka

Richard Strauss:
» Der Rosenkavalier «

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Das Erfreulichste vorweg: Adam Fischer dirigierte. Ohne Orchesterprobe. (Letzteres ist weniger erfreulich. Doch in diesen Juni-Tagen bleiben Orchesterproben dem Ring des Nibelungen vorbehalten.) Man hörte es kaum. Dafür sah man es auf der Bühne umso deutlicher. Eine Inszenierung nach Otto Schenk …

II.
Der Richard Strauss des Adam Fischer ist, nein, war, niemals aquarelliert, sondern immer pastos. Der Walzer im dritten Aufzug: rustikales Vorstadt-Wien. (Hört man den Komponisten seine Rosenkavalier-Walzer dirigieren, wird rasch klar: Genau das hatte Strauss im Sinn gehabt.) Adam Fischer: keine Ziselierung wie bei Carlos Kleiber 1994, nicht so durchsichtig wie bei Kirill Petrenkos vier Abenden zwanzig Jahre später. Anstelle dessen musikantischer Schwung: erfrischend. Wenn die Marschallin Mariandl nach dem Medaillon sendet, bricht sich im Orchester jenes Walzermotiv bahn, mit welchem der Baron Ochs auf Lerchenau im dritten Aufzug aus dem Beisl stürmt. Und in dem Dazwischen, da liegt die ganze wienerische Maskerad’.

III.
Die Inszenierung also: nach Otto Schenk. Rudolf Heinrich ersann die Bühnenbilder, Erni Kniepert entwarf die prachtvollen Kostüme (die Robe der Feldmarschallin im dritten Aufzug!).

Angel Romero, seit Dezember 2022 als Ein Sänger abonniert, wußte bei seinem sechsten Antreten noch immer nicht, wohin sich wenden für die Wiederholung seiner Arie (unser Tip: zum Baron). Dargeboten ward jene untermittelprächtig, mit verebbenden Phrasen sowie in der Höhe engem Ton; — und, wie’s heute Gepflogenheit ist, ohne Konnex zur unteren Oktave der Stimme. Warum man an der Staatsoper einen überforderten lyrischen Tenor als Gast engagiert, wenn man einen besseren im Ensemble hat, zählt jedenfalls zu den vielen unergründlichen Geheimnissen — nein, nicht eines Mädchenherzens, sondern des künstlerischen Betriebsbüros. Jörg Schneider beeindruckte jedenfalls in seinen wenigen Einwürfen als Wirt mehr als der Zweitplatzierte des Operalia-Wettsingens von 2024. Auch Wolfgang Bankl ließ als Polizeikommissar jene stimmliche Autorität hören, auf welche man an vielen Abenden von angepriesenen Sängern in Hauptpartien vergeblich wartet.

Norbert Ernst mühte sich mit der Partie des Valzacchi stellenweise ebenso wie Stephanie Houtzel als Annina. Ihre große Szene im Finale des zweiten Aufzuges bewältigte letztere allerdings überraschend gut. Dennoch: ’s ist halt vorbei.

IV.
Adrian Eröd zeichnete einmal mehr ein köstliches Psychogramm des Herrn von Faninal. Seine Diktion war ebenso vorbildlich wie die Phrasierung. Daß Eröds Stimme nicht mehr so kräftig klang wie ehedem, in lauteren Momenten dem Orchester unterlag: Man hörte es und freute sich trotzdem, das Gesungene zu verstehen — anstatt nur, wie bei vielen seiner Kollegen, das in den Untertiteln Geschriebene lesen zu können …

Um sich elegant schlecht zu benehmen, muß man erst einmal gutes Benehmen gelernt haben.

Coco Chanel (1883 – 1971)

Günther Groissböck kehrte uns als Baron Ochs auf Lerchenau zurück. Einmal mehr überraschte er vor allem im ersten und zu Beginn des zweiten Aufzuges mit klarer Diktion (ich sagte das bereits): Da klang das hohe Bass-› f ‹ auf » Heu « in des Lerchenauers (traditionell gekürzter) Szene plötzlich hell und rein. Leider fiel Groissböck — es ist verständlich: alte, schlechte Gewohnheiten sterben langsam, und der Baron Ochs ist keine kleine Partie — vor allem im Finale des zweiten und im dritten Aufzuges wieder in die alte Manier des Singens mit seitwärts bewegtem Unterkiefer zurück. … Darstellerisch gab sich Groissböck adeliger als bei den letzten Malen, als ich ihn sah: weniger gewöhnliches Bagagi, mehr Standsperson. Fesch Der Lerchenauer ist ja im Ende doch ein Adeliger. Und schon Coco Chanel wußte: Um sich elegant schlecht zu benehmen, muß man erst einmal gutes Benehmen gelernt haben.

V.
Das Liebespaar des Werkes traf zum ersten Mal auf den Wiener Brettern, die uns eine Welt bedeuten, zusammen: Sabine Devieilhe in der Partie der Sophie, Emily d’Angelo als Octavian. Beider Leistung war sehr und weniger sehr enttäuschend. Vielfach fehlte es an der Textdeutlichkeit (immer ein Hinweis auf gesangstechnische Mängel). Während Devieilhe in piano-Passagen zumindest zeitweise eine Verbindung ihrer unteren mit der oberen Stimmfamilie herzustellen wußte, gab Emily d’Angelo einen nicht nur gesanglich, sondern auch darstellerisch uninteressanten Quinquin. Dieser Octavian blieb nicht nur stimmlich farblos, er schien auch mit den szenischen Details vielfach nicht zurechtzukommen. (Es ist schlicht undenkbar, daß dem Graf Octavian der Tokaier vorenthalten wird. Und der Glaswurf unterbleibt.) Auch der dritte Aufzug büßte ob d’Angelos wenig animiertem Spiel viel von seiner Komik ein; brachte auch den sonst spielerisch sattelfesten Günther Groissböck mehrmals aus dem Konzept.

VI.
Krassimira Stoyanova war einmal mehr die Feldmarschallin Fürstin Werdenberg; beizeiten herbeigerufen nach Lise Davidsens Absage. Eigentlich … — eigentlich ist die Feldmarschallin eine unsingbare Partie: Wenn eine die Stimm’ dafür hat, fehlt es ihr an der erforderlichen Lebenserfahrung. Und wenn sie die Lebenserfahrung für die Gestaltung mitbringt, fehlt’s zu oft schon an der Stimm’. Wie’s halt so geht im Leben …

Krassimira Stoyanova gestaltete die Partie der Feldmarschallin mit ihrer jahrelangen Erfahrung um den Text und die Musik. Suchte mit der ihr zu Gebote stehenden Stimme unter Besinnung auf ihre Gesangstechnik zu reüssieren: Abstriche stimmlicher Natur waren nicht zu überhören. Dennoch präsentierte sich Stoyanovas Instrument besser balanciert und durchschlagskräftiger als jene ihrer jungen Kolleginnen. Außerdem weiß diese Feldmarschallin um die Kunst der kleinen Gesten: Wie sie Octavian im ersten Aufzug nach dem Lerchenauischen Intermezzo auf Distanz hielt, wie sie beim Abgang im dritten in einer Mischung aus Verletztheit, Wehmut und Bestehen auf den Formen seinen Handkuß einforderte, gab (und gibt immer auf’s Neue) Zeugnis von der schriftstellerischen Größe Hugo von Hofmannsthals (und jener von Otto Schenk).

VI.
Einmal mehr ein Ärgernis war, daß man an der Wiener Staatsoper nicht nur am Besetzungszettel aus dem kleinen Neger (schauspielerisch erfreulich: Matteo Haudek), wie er in Richard Strauss’ Partitur heißt, den kleinen Mohammed machte und auf die dunkle Schminke verzichtete. Erstens bleibt Schminke im Theater immer Schminke. Zweitens gibt der kleine Neger Auskunft über den Reichtum im Haushalt der Werdenbergs. (Man darf davon ausgehen, daß es dieser kleine Neger bei den Werdenbergs im Vergleich mit anderen Bedienten über die Maßen gut hatte.) Und drittens kann es niemals darum gehen, die Darstellung von Menschen mit anderer Hautfarbe auf unseren Bühnen zu canceln. Vielmehr sollte gefordert sein, alle Menschen im täglichen Umgang mit derselben, ihnen zukommenden Wertschätzung zu behandeln.
Diesen Unterschied scheinen allerdings weder viele Gutmensch*Innende noch die nach dieser Zielgruppe schielenden Intendanten zu verstehen.

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