»Le Corsaire«, 1. Akt: Liudmila Konovalova (Médora) und Vadim Muntagirov (Conrad) © Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

»Le Corsaire«, 1. Akt: Liudmila Konovalova (Médora) und Vadim Muntagirov (Conrad)

© Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

Adolphe Adam et al.: »Le Corsaire«

Wiener Staatsballett

Von Ulrike Klein

Gestern abend ereignete sich, was allgemein als der Zauber der Bühne bezeichnet wird: Nach einem sehr durchwachsenen Le Corsaire in der vergangenen Woche — über den wir lieber den Mantel des Schweigens breiten wollen — feierte die Compagnie ein Fest anlässlich der letzten Vorstellung dieser Produktion in der laufenden Saison.

Für nur einen Abend studierte Vadim Muntagirov, Principal Dancer of the Royal Ballet, die Partie des Conrad ein. Im Sturm eroberte der Haus-Debutant die Herzen des Publikums. Die in ihn gesetzten Erwartungen: Sie wurden erfüllt. Vadim Muntagirov ist ein eleganter Danseur noble, der seine Partnerin, Liudmila Konovalova als Médora, wahrhaftig auf Händen trug. Aber auch seine Soli ließen keine Wünsche offen: Die Sprungkraft ist bemerkenswert, er scheint förmlich in der Luft zu stehen. Da möchte man immer noch mehr sehen.

»Le Corsaire«, 2. Akt: Liudmila Konovalova (Médora) und Vadim Muntagirov (Conrad) im zweiten Pas de deux © Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

»Le Corsaire«, 2. Akt: Liudmila Konovalova (Médora) und Vadim Muntagirov (Conrad) im zweiten Pas de deux

© Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

Liudmila Konovalova, stets ein Garant für hervorragende Leistungen, wuchs abermals über sich hinaus und führte dem Wiener Ballettpublikum sehr deutlich vor Augen, daß man hier am Haus international ganz vorne mitspielt.

Die beiden Protagonisten agierten und tanzten miteinander, als ob sie schon lange gemeinsam auf der Bühne stünden. Da wurde eine Innigkeit in den Pas de deux aufgeboten, da stimmten die kleinsten Gesten. Selbst schwierigste Passagen gelangen wie selbstverständlich.
Wenn ich einen Wunsch frei hätte…

Die Probenarbeit im Ballettsaal und die Präsenz auf der Bühne spornten die anderen Tänzer an. Jeder wuchs über sich hinaus, wagte mehr als bisher.

Besonders deutlich war dies bei Francesco Costa als Lanquedem zu beobachten. Auch sonst macht er durch große Bühnenpräsenz auf sich aufmerksam, sticht aus der Gruppe heraus mit seinen Sprüngen, seiner Schnelligkeit. Er ist ein bißchen der »junge Wilde« der Compagnie (was natürlich in einer Rolle wie der des Lanquedem von Vorteil ist). Die Herausforderung, diese Partie einem Ersten Solisten nachzutanzen, war groß, wurde aber souverän bewältigt. Da nützte ein junger Tänzer seine Chance und zeigte, daß das Avancement zum Halbsolisten am Ende der vergangenen Spielzeit berechtigt war.

»Le Corsaire«, 3. Akt: Francesco Costa (Lanquedem) bei seinem Solo © Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

»Le Corsaire«, 3. Akt: Francesco Costa (Lanquedem) bei seinem Solo

© Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

War Natascha Mairs Rollen-Debut als Gulnare vor einigen Vorstellungen noch sehr holprig verlaufen, so war gestern eine deutliche Verbesserung zu beobachten: In den Soli wirkte sie recht souverän. Besonders im ersten Bild vermittelte sie den Eindruck, sich frei zu fühlen. Schwieriger gestalteten sich die Pas de deux: In diesen zeigte sich ein fast ängstlicher Zug, der den organischen Ablauf der Bewegungen zu hemmen schien. Da wurden dann mehr die Posen aneinandergereiht als zu einem Tanz verbunden.

Wie anders waren doch ihre Auftritte als Odaliske in den letzten Vorstellungen verlaufen! Da hatte sie mit großer Leichtigkeit und Freude die schnellsten Kombinationen demonstriert, da hatte sich eine ganz andere Verbundenheit mit der Rolle gezeigt. Es ist ihr zu wünschen, diesen Esprit in ihre Auftritte aufzunehmen. Wenn die Entwicklung seit der ersten Gulnare bis gestern weiter so voranschreitet, werden wir in einigen Monaten eine Solistin auf der Bühne erleben können.

Wie bereits in der Première im vergangenen März (und auch in Folgevorstellungen) demonstrierten Davide Dato und Alice Firenze — wieder einmal —, wie herausragend die Rollen des Birbanto und der Zulméa interpretiert werden können: Kein anderes Paar bietet derzeit diese Exaktheit, diese unbändige Lust am Tanz wie die beiden jungen Italiener. Raubtieren gleich wirkte der Tanz, das Tempo war atemberaubend. Da standen die Posen in der Kürze der Zeit, da wurden Akzente gesetzt. Und dennoch blieb alles im Fluß, wirkte nichts abgehackt.

»Le Corsaire«, Finale des 1. Aktes: Alice Firenze (Zulméa) mit Davide Dato (Birbanto) © Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

»Le Corsaire«, Finale des 1. Aktes: Alice Firenze (Zulméa) mit Davide Dato (Birbanto)

© Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

Wieder luxuriös besetzt war auch die Rolle des Seyd Pascha: Mit welcher Noblesse Mihail Sosnovschidieser Figur Leben einhauchte… Es war eine Freude.

Nicht zu unterschätzen ist die Szene der drei Odalisken. Die drei Soli verlangen den Interpretinnen, gestern Eszter LedánAnita Manolova und Nina Tonoli, viel ab. Letztere hatte in dieser Serie mehrfach die Gulnare getanzt, hatte wie ihre Kollegin Natascha Mair ihre liebe Not mit den Schwierigkeiten der Partie und wuchs wie ihre Kollegin an der Herausforderung. Auch sie wird zur Solistin heranwachsen. (Das Solo der Odaliske wirkte bereits wie selbstverständlich.)

Um das Fest zu komplettieren, waren auch die reisenden Mitglieder des Staatsopernorchesters, angeführt von Rainer Honeck und Josef Hell, wieder zurückgekehrt und bereiteten dem Publikum unter der bewährten Leitung von Valery Ovsianikov ein musikalisches Geschenk.

Es war die beste Vorstellung dieser Le Corsaire-Serie. 

Mit ein wenig Phantasie vermag man die Handlung von Le Corsaire den Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht zuordnen. Wenn man nun die Wunderlampe riebe und drei Wünsche frei hätte…

Dann … ja, dann wünschte ich mir öfters solche Hingabe von Solisten und Corps de ballet und eine so gute Klanqualität aus dem Graben. Und der dritte Wunsch wäre, daß sich alle Tänzer weiter so gut entwickeln, wie sie es in den letzten Jahren und insbesondere Wochen taten.

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