Deckengemälde von Marc Chagall im Pariser Palais Garnier (Ausschnitt)
© Thomas Prochazka
Leoš Janáček:
» Věc Makropulos «
Wiener Staatsoper
Von Thomas Prochazka
II.
Es bleibt ein Stück. Auch wenn Karel Čapeks Werk, als Komödie bezeichnet, bei Janáček mit Emilia Martys Tod endet. (Warum eigentlich eine Komödie? Auch bei Čapek wird das Rezept für das lebensverlängernde Elixir verbrannt.) Ein Stück … Gerade für das Hier und Heute mit seinem Schlankheits- und Jugend- und Bewegungswahn: als gelte automatisch mens sana in corpore sano, ohne daß es auch der Schulung des Geistes bedürfe.
III.
Es bleibt ein Stück. Auch, weil es Regisseur Peter Stein im Dezember 2015 ein Stück sein ließ. Ohne durch Geschwurbel gerechtfertigten Überbau, ohne jede Notwendigkeit der Verlegung der Schauplätze und der Zeit, weil man dem Thema nicht gewachsen ist. Regie-Altmeister bedürfen solcher Dinge nicht. Peter Stein und sein Team — Bühnenbild: Ferdinand Wögerbauer, Kostüme: Annamaria Heinreich, Licht: Joachim Barth und Maske: Cecile Kretschmar — wußten Janáčeks Adaption der čapekschen Komödie zu zeigen. So spielt der erste Akt in der Kanzlei von Dr. Kolenatý, der zweite im Opernhaus, und der dritte am nächsten Morgen in Emilia Martys Hotelzimmer.
Peter Stein mutete den Sängern keine Abartigkeiten zu. Selbst wenn der Gehilfe Vitek (rollendeckend: Lukas Schmidt) und Dr. Kolenatý (Wolfgang Bankl) im ersten Akt von der Plattform einer Treppe in der Kanzlei zu singen haben, fügt sich dies organisch. Die Kostüme spiegeln die Zeit der Uraufführung. Das hilft. Steins Personenführung bleibt vorbildlich. Wie stimmig, daß er im dritten Akt den Chor — » Die Stimmen der Menschheit « — längs der Wände im Parkett positioniert. Stein folgte sogar der Szenenangabe. Dort heißt es, als Emilia Marty im dritten Akt, nunmehr gealtert und einer Mumie ähnlich, wieder aus dem Boudoir tritt: Bleichgrünes Licht überschwemmt Bühne und Zuschauerraum.
Der Effekt ist überzeugend.
IV.
Verhandelt wird das Thema der Unsterblichkeit am 300 Jahre währenden Leben von Emilia Marty. Zu Beginn der Vorgeschichte im Jahr 1575 (oder 1585, da weichen selbst die Angaben in Janáčeks Partitur voneinander ab) hieß sie Elina Makropulos und war die Tochter des Leibarztes von Rudolf II. An ihr wurde das auf Geheiß des Kaisers erschaffene Elixir der ewigen Jugend ausprobiert. Um wieder in den Besitz des Rezeptes zu gelangen, das der Familie abhandengekommen war, — die Gute fühlt nach 300 Jahren das Ende nahen —, muß sie in den Erbschaftsprozeß Albert Gregor (Pavel Černoch) vs. Jaroslav Prus (Bo Skovhus) eingreifen.
Was macht eine 300 Jahre währende Jugend mit uns? Čapek und Janáček zeigen uns emotionale Kühle: Wer vieles gesehen hat, weiß um die Einordnung der Dinge. Die Begeisterung für das Ungekannte ist das Vorrecht der Jugend (und der Unwissenden). Die Szene des senilen Grafen (und ehemaligen Operettentenors) Hauk-Šendorf im zweiten Akt verweist darauf, daß die Schöpfer wohl ähnlich dachten. Graf Hauk-Šendorf fühlt sich durch Emilia an seine einstige spanische Geliebte Eugenia Montez erinnert — Emilia Marty in einem früheren Leben. Matthäus Schmidlechner war ein erfreulich bemerkenswerter Graf.
V.
Tomáš Hanus leitete eine gute musikalische Wiedergabe: nicht zu laut das Orchester, den Sängern ein Helfer. Gelungen schon das Vorspiel, gut abgestimmt und mit Gefühl für die Tempo-Dramaturgie Janáčeks (was wunder als Landsmann).
Zu den Sängern (diesmal in aller Kürze): Bo Skovhus als Jaroslav Prus weiß genau, welche Partien er annimmt und was seine Stimme noch zu leisten vermag. Stephanie Houtzeel hinterließ mir als Krista einen so guten Gesamteindruck wie schon lange nicht mehr. Marlis Petersen war eine rollendeckende Emilia Marty, umschiffte manch vokale Klippe elegant und erfreute mit ihrer Bühnenpräsenz; — besonders im Finale. Eine vokale Klasse für sich: Wolfgang Bankl in der Partie des Dr. Kolenatý. Wie er die raschen Passagen (vor allem im ersten Akt) auf Tschechisch bewältigte, das erstaunte — und erfreute.
VI.
Luxus?
Wiens Opernfreunde danken. (Und hoffen auf mehr.)