Thomas Adès:
» The Tempest «
Wiener Staatsoper
Von Thomas Prochazka
II.
Das Team um Regisseur Robert Lepage — Bühnenbild: Jasmine Catudal, Kostüme: Kym Barrett, Licht: Michel Beaulieu — entsann sich der alten Künste und Praktiken am Theater: Der Ozean ist aus blauem, von Bühnenarbeitern geschwenktem Tuch. Der sich um die eigene Achse drehende Kronleuchter facht den von Ariel entfesselten Sturm an. (Oder ist es umgekehrt?) Unklar bleibt, ob die Komposition das Bühnengeschehen bedingt oder der Sturm das Orchester antreibt. Zweidimensionale, an Scherenschnitte gehmahnende Bäume werden aus den Kulissen auf die Bühne geschoben, Vögel flattern an Stangen und Bändern. Dienstbare Geister im Dunkel lassen den Luftgeist Ariel schweben, bemalte Leinwand, kunstvoll beleuchtet, verwandelt eine Stahlkonstruktion binnen Minuten in das Rund des Teatro alla Scala, stimmungsvolle Beleuchtung der Logenbrüstung inklusive.
Crystal Pite schuf die Choreographie für die Inselbewohner und Untertanen des vormaligen Inselkönigs Caliban. Kostüme und Bewegungsmuster erinnern an die Rüpelszene aus dem Sommernachtstraum.
III.
Meredith Oakes schuf den Text nach William Shakespeares Theaterstück. The Tempest ist keine Literaturvertonung, sondern Nachschöpfung. Früher hieß man diese Profession Librettist. Unter ihren Vertretern finden sich so klangvolle Namen wie Francesco Maria Piave, Joseph Méry und Camille du Locle, Luigi Illica, Giuseppe Giacosa und Hugo von Hofmannsthal. Oates gelang das Kunststück, das shakespeare’sche Personal zu dezimieren, ohne auf dessen common men und die jedes Shakespeare-Stücke schmückende komischen Szenen zu verzichten. Im Gegensatz zum literarischen Vorbild, wo Prospero die Verbindung zwischen Miranda und Ferdinand fördert, sucht er diese bei Oakes zu verhindern. Das führt zu einer großartigen — und von Adrian Eröd großartig gespielten — Szene: Mit machtvoller Geste will Prospero das Zueinanderfinden der beiden Jungen unterbinden; doch gegen die Liebe bleibt seine Zauberkraft machtlos. Das Erstaunen in des Inselherrschers Gesicht: unbezahlbar.
IV.
Thomas Adès wünschte sich von Meredith Oakes Chorszenen. Also befand sich auch die Hofgesellschaft des King of Naples auf dem im Sturm untergehenden Schiff. Solcherart ward Prosperos Insel mit den Höflingen prunkvoll ausstaffiert, gab Kym Barrett die Gelegenheit zu prachtvollen Kostümen und Lepage die zu Hofgemälden gleichenden lebenden Bildern.
Der Komponist: eine rare Ausnahme, indem er Sinn für Theatralik in der Musik erkennen läßt. Seine Vorliebe für hohe Stimmen zeigt sich darin, daß er für The Tempest vier Tenöre, einen Counter-Tenor und zwei hohe Baritone vorsah. Die Partie des Ariel, ein hoher Sopran, scheint sich überhaupt nur jenseits des hohen Sopran-› c ‹ zu bewegen. Helle Farben, scharfe Akzente und kurze, abgehackte Töne treten an die Stelle des klassischen, sich der Melodie verpflichtet fühlenden (Opern-)Gesanges. Auch auf die Gefahr hin, treue Leser zu langweilen: Trotz Adès’ Vorliebe für die höheren Stimmlagen bedürfen alle Stimmen des Zugriffs auf die und die Einbettung der unteren Stimmfamilie. Sie sind die Voraussetzungen für groß klingende Stimmen, darauf jede gesangliche Darstellung aufbaut.
Adès’ Musik ist die unendliche Nichtmelodie. Lust- und kraftvoll im namenspendenden Sturm zu Beginn, aufgewühlt, fast liebevoll sanft in Calibans großer Szene. Immer wieder setzt der Komponist die Stimmen auch harmonisch ein; das erleichtert den Sängern ihre Arbeit nicht.
V.
Gesungen wurde nicht besser als an anderen Abenden auch. Allerdings scheint es einen unleugbaren Zusammenhang zwischen der Kongruenz des theatralisch und musikalisch Darzustellenden und den gesanglich abrufbaren Leistungen zu geben. Geradeso, als verstärke die nicht in eine stückfremde schauspielerische Tätigkeit zu investierende Energie die Möglichkeiten stimmlichen Ausdrucks.
Kate Lindsey und Hiroshi Amako mühten sich auch mit dem Liebespaar Miranda und Ferdinand, stießen der King of Naples des Toby Spence wie der Caliban des Frédéric Antoun immer wieder an ihre stimmlichen Grenzen. Auch der Antonio des Daniel Jenz sowie der Sebastian des Michael Arivony weckten den Wunsch nach größerer gesanglicher Präsenz. Einmal mehr ließen Dan Paul Dumitrescu als Stefano und Wolfgang Bankl in der Partie des Gonzalo hören, warum man an der Staatsoper Kräften wie ihrer dringend bedarf.
Caroline Wettergreen war ein beeindruckender Luftgeist. Ihr Ariel turnte durch das Bühnenbild, schwang sich in Kronleuchtern, während sie die vorgeschriebenen Töne produzierte, wandelte sich in einen Greif — kurzum, sie war als Prosperos alter ego den ganzen Abend über präsent.
Adrian Eröd bewies in der Partie des Prospero, daß man auch zeitgenössische Musik legato singen kann. Er blieb der einzige an diesem wie auch am ersten Abend. Selbst im größten Furor haftete Eröds Stimme etwas Majestätisches an. (Daß Kym Barretts Kostüm mit teilweiser Körperbemalung dieses Prospero Aura des unnahbaren Herrschers eindrucksvoll unterstrich, soll nicht unerwähnt bleiben.) Da nahm man auch hin, daß Eröds Bariton an den Rändern schon hie und da schwächelte.
VI.
Seltenes Glück: Über all dem waltete der Komponist. Mit sichtlicher Freude dirigierte Thomas Adès seine Schöpfung. Allerdings: » Dirigieren « wird Adès’ Tun nicht gerecht. Es war mehr ein intensives Musizieren, fein abgestimmt im Klang, durchhörbar und doch zum Ganzen sich verbindend. Das Staatsopernorchester folgte den gestischen Einladungen mit lustvoller Präzision am Ungewohnten, Herausfordernden. Man muß fruchtbar zusammengearbeitet haben in der Vorbereitung dieser Abende. Immer wieder riß es Adès von seinem Stuhl, sang er (nicht nur) die Chöre mit. Überall wollte er zugleich sein, helfen, das Kind seiner Ideen erfahrbar zu machen, das Publikum berühren.
VII.
Am Ende großer Jubel, am stärksten für Caroline Wettergreen, Adrian Eröd, den Komponisten — und die von Robert Lepage verantwortete, hervorragend gearbeitete Produktion.
Experten leisten eben mehr.