Der Große Saal des Wiener Konzerthauses © Wiener Konzerthaus/Lukas Beck

Der Große Saal des Wiener Konzerthauses

© Wiener Konzerthaus/Lukas Beck

Wolfgang Amadeus Mozart:
»Le nozze di Figaro«

Wiener Konzerthaus

Von Thomas Prochazka

Warum um den heißen Brei herumreden? Die gestrige Aufführung dieses Werkes war mit Sicherheit eine der schlechtesten, an die ich mich erinnere: ein drittklassiges Orchester mit drittklassigen Solisten, durch die Partitur gepeitscht von einem als Messias der Klassikwelt gehypten Dirigenten, der keine der medialen Versprechungen einzulösen vermochte.
Oder, um Thomas Bernhard zu zitieren: »Die Aufführung war entsetzlich.«

II.
Aber der Reihe nach. — Das musicAeterna Orchestra und der musicAeterna Choir befinden sich mit ihrem Chefdirigenten Teodor Currentzis derzeit auf einer Europa-Tournée. In deren Rahmen bieten sie unter anderem in Bremen, Wien und Luzern eine oder mehrere der Mozart/Da Ponte-Opern konzertant dar. 

Gestern begann das Wien-Gastspiel im Großen Saal des Konzerthauses mit Le nozze di Figaro (Don Giovanni folgt am Samstag, Così fan tutte am Montag) in einer »halbszenischen Aufführung«, sprich: in Kostümen, häufigen Auf- und Abtritten und unter Einbeziehung einiger Requisiten. Vor der Orgel des Großen Saales ward ein Bildschirm zur Anzeige der — wieder einmal — bearbeiteten deutschen Übertitel aufgebaut. Nur wenige Musikfreunde werden das Wort »dämlich« mit Lorenzo Da Ponte in Verbindung bringen…

Gedimmtes Saallicht sorgte dafür, daß man Currentzis’ Entscheidungen betreffend die Tempi und die dynamischen Abstufungen nicht anhand der mitgebrachten Partitur überprüfen konnte. Einem erfolgreichen Abend stand also, so sollte man meinen, nichts mehr im Wege.

III.
Currentzis tänzelte denn auch auf dem Dirigentenpodium, hinter und neben diesem, schwang bei wuchtig zu klingen habenden Orchesterschlägen die Fäuste; caressierte die Musik, wenn es ihm wichtig erschien; schnitt die Luft mit flacher Hand, wenn seine Lesart der Partitur Härte verlangte.

All das erlebten Musikfreunde bereits vor Jahren und Jahrzehnten in Aufführungen von Nikolaus Harnoncourt; nicht nur, aber immer wieder in der Zusammenarbeit mit dem von ihm gegründeten Concentus Musicus Wien. Zuletzt im März 2014 beim Da Ponte-Zyklus im Theater an der Wien. Bei Harnoncourt allerdings auf viel höherem musikalischen Niveau, mit viel feiner abgestufter Dynamik — und viel packenderem Zugriff.

Das musicAeterna Orchestra dagegen: immer wieder rhythmische Ungenauigkeiten, falsche Horneinsätze, Schwebungen, wo Mozarts Partitur Klarheit fordert. Und viel zu gehetztes Spiel ohne Tiefe.

Wo Harnoncourt in den Rezitativen, mit historischen Beispielen belegt, Sprechgesang einforderte, peitschte Currentzis seinen Figaro Alex Esposito in so halsbrecherischem Tempo durch den Text, daß weder die Herrschaften an den Schalthebeln der Übertitelanlage noch des Italienischen mächtige Opernfreunde folgen konnten. Dabei sollten Rezitative in normaler Sprechgeschwindigkeit vorgetragen werden. Die Alten erlaubten sogar rhythmisch freien Vortrag ohne Beachtung der notierten Werte und Höhen. Echt sollte es klingen, aus dem Leben gegriffen. Diesfalls jedoch: zwangvolle Plage, Müh ohne Zweck…

IV.
Ohne Sänger kann man keine Oper spielen.

Selten ward dieses Diktum so offensichtlich wie gestern. Keiner der Sänger vermochte gesanglich Eindruck zu hinterlassen. Keine der Stimmen trug. Und man komme mir nicht mit der Ausflucht, der Saal sei so groß und daher nicht auszusingen. Eine Luisa Tetrazzini, ein Enrico Caruso gaben Freiluftkonzerte vor mehr als 10.000 Zuhörern; — und wurden gehört. Ohne Mikrophon.

Als ein Beispiel sei Olga Kulchynska in der Partie der Susanna angeführt. (Immerhin die größte Partie des Werkes.) Die Ukrainerin, von vielen als aufkommender Star am Lyrischen Sopran-Himmel gehandelt, arbeitete dem Vernehmen nach zum ersten Mal mit Teodor Currentzis. Kulchynskas gesangliche Leistung allerdings: rundum enttäuschend. Ihre Stimme: von geringem Volumen. Selbst in der Mittellage und in der Höhe blieb sie blaß, das Brustregister sprach kaum an. Die Textdeutlichkeit ließ über weite Strecken zu wünschen übrig, legato blieb an diesem Abend Glückssache. Wüßte ich nicht, daß im vierten Akt die »Rosen-Arie« anstünde, ich hätte sie in ihrer Beiläufigkeit überhört…

IV.
Daß Kulchynska mit solchem Tun neben dem Figaro des Alex Esposito den besten Eindruck hinterließ, sagt mehr, als den Ausführenden und dem Veranstalter lieb sein kann. Esposito, in Wien schon lange kein Unbekannter mehr, gab einen mit rauher und ruppiger Stimme gesungenen Figaro: »Se vuol ballare«, »Non più andrai« sang er ohne legato; dafür mit stimmlichen Mätzchen, wo Mozarts Vorgaben Esposito seiner mangelnder Gesangstechnik wegen unerfüllbar schienen.

V.
Nicht besser schlug sich Andrei Bondarenko als Conte d’Almaviva. Spätestens in »Hai già vinta la causa« traten seine gesangstechnischen Defizite für jeden, der zuhören wollte, offen zutage. Keine Spur von legato, hochgestellter Kehlkopf, keine Anzeichen irgendeiner dynamischen Gestaltung; ausgenommen jene Momente, in welchen Currentzis’ Fäuste wieder einmal durch die Luft flogen. Da wußte Bondarenko: jetzt bitte lauter.

Ekaterina Scherbachenko säuselte sich, schwer verständlich wie alle an diesem Abend, durch die Partie der Contessa d’Almaviva. Sowohl »Porgi amor« als auch »Dove sono« erklangen so langweilig, so bar jeglicher stimmlicher Gestaltung, daß man sie hätte austauschen können, ohne daß es einem Großteil des Publikums aufgefallen wäre. Warum sie z.B. bei »Porgi amor« den Dirigenten ansang, anstatt das Publikum im Saal?

VI.
Paula Murrihy, eben noch unter Currentzis’ Leitung als Idamante bei den Salzburger Festspielen zu hören, gelang in der Partie des Cherubino nicht mehr als eine befriedigende Leistung. D.h., wenn man keinerlei Ansprüche an technisch richtigen Operngesang, an den Einsatz des Brustregisters und die Gestaltung einer Partie mit stimmlichen Mitteln stellt. Currentzis hetzte Murrihy derart durch »Non so più cosa son, cosa faccio«, daß dafür keine Zeit blieb.

VII.
Daria Telyatnikovas und Krystian Adams Treiben als Marcellina und Don Basilio nahm man ebenso hin wie Danis Khuzins widerstehbaren Versuch, Don Curzio unbedingt als Homosexuellen zu zeichnen. Über weitere Einzelheiten, auch was das Stimmliche betrifft, gestatte ich mir zu schweigen.

VIII.
Was bleibt von diesem Abend?
Die Erkenntnis, daß die Charlatane auch in unseren Zeiten fröhliche Urständ’ feiern. Und daß es an der Zeit ist, nicht mehr länger davon zu schweigen.

(Anmerkung des Herausgebers: In einer früheren Version der Rezension war Olga Kulchynska fälschlicherweise als Russin bezeichnet worden.)

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