Aušrinė Stundytė ist als Elektra keine Wucht. Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Aušrinė Stundytė ist als Elektra keine Wucht.

Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Richard Strauss: »Elektra«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Keine Frage, Harry Kupfers Inszenierung aus dem Jahr 1989, von Angela Brandt einstudiert, präsentierte sich auch diesmal moderner als vieles, was danach kam (nicht nur in Wien). Daran haben auch Hans Schavernochs Bühnenbild und Reinhard Heinrichs Kostüme ihren Teil. Maestro Franz Welser-Möst und das Staatsopern­orchester taten das Ihre, dem Abend Glanz zu verleihen.

(So waren, in Kürze, die Begebenheiten.)

II.
Derek Welton war, wie schon im September, die Partie des Orest anvertraut worden. Gute Textverständlichkeit (trotz mancher Überartikulation) zeichnete den rächenden Bruder aus; mit angenehmer, gut klingender Baritonstimme. Gesanglich präsent. Strauss’ Klangmassen beirrten ihn nicht. (So soll es sein.) Wollte man beckmessern, bliebe anzumerken, daß natürlich auch Strauss an der gesanglichen Linie gelegen war. Die kam denn allerdings doch zu kurz.

Gleiches gilt für den Aegisth von Jörg Schneider: wortdeutlich auch er. Spielte mit der Stimme. Dennoch waren auch bei Schneider (zu) häufige Brüche der Gesangslinie nicht zu überhören. Sein Tenor klang mir ein wenig trocken an diesem Abend. Das Fließende wollte sich nicht so recht einstellen. »Kein Heldentenor«, hatte ich im Herbst notiert.

»Elektra«: Derek Welton überzeugte als Orest. Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Elektra«: Derek Welton überzeugte als Orest.

Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

III.
Auch Camilla Nylund kehrte für diese Serie wieder als Chrysothemis ans Haus am Ring zurück. Die beste Sängerin des Abends. Wenngleich sich auch in ihrer Stimme das Zentrum zur hohen Lage hin verschiebt; der so notwendige Beitrag der unteren Stimmfamilie immer geringer zu werden scheint. Doch die Partie der Chrysothemis ist schwer: Allzu oft läßt Strauss sie mit dem aufspielenden Orchester konkurrieren. Und nicht immer kann ein Dirigent helfend eingreifen, soll nicht das Klanggleichgewicht des Abends in gefährliche Schieflage geraten. Da in allen Phrasen textdeutlich zu bleiben: fast eine Unmöglichkeit.

Die Klytämnestra der Michaela Schuster bezog ihre Präsenz aus dem Deklamatorischen, weniger dem Gesanglichen. Das ist schade, denn Tanja Ariane Baumgartner ließ im vorigen Sommer hören, was stimmlich aus dieser Partie herauszuholen, wie sie musikalisch zu gestalten wäre. (Gute Erinnerung paart sich mit Vorfreude.) Engagiertes Spiel Schusters entschädigte nur zum Teil für eine Stimme, die den Anforderungen, welche an die Partie der Klytämnestra zu stellen wären, nur mehr in Teilen zu genügen scheint: immer wieder problematische Übergänge, schwer Verständliches.

»Elektra«: Michaela Schuster als stimmlich leider enttäuschende Klytämnestra. Wiener Staatsoper GbmH/Michael Pöhn

»Elektra«: Michaela Schuster als stimmlich leider enttäuschende Klytämnestra.

Wiener Staatsoper GbmH/Michael Pöhn

IV.
Nein, Aušrinė Stundytė war als Elektra keine Wucht. Wer solches behauptet, ist ein Niveau-Schänder.

Bereits mit dem ersten »Agamemnon«-Ruf gellte die stimmliche Überforderung eines ehemals lyrischen Soprans durch’s dunkle Rund; mit flackernder Stimme. Nicht nur »Allein! Weh, ganz allein« wäre legato zu singen gewesen. Doch wer Ton für Ton, Takt für Takt um’s stimmliche Überleben kämpft, findet keine Zeit für gesangliche Gestaltung. (Ich schrieb es bereits.) Kaum Volumen in der Tiefe, oftmals schrille Höhen wurden stattdessen geboten. Wer ohne Textkenntnis gekommen war und nicht eine Leseübung absolvieren anstatt einer Opernvorstellung beiwohnen wollte, fand sich den überwiegenden Teil des Abends orientierungslos.

Man wird mir entgegenhalten, daß Stundytė doch stark im Spiel gewesen sei. War sie es wirklich? Und: Stellte sie auch Elektra vor? Denn: Oper ist Theater durch Gesang. (Das ist es.) »Wenn Sie es nicht singen können, hilft Ihnen das Spiel auch nicht«, formulierte Thomas Hampson einmal.1

V.
Wie soll nun ein Dirigent mit solch einer Situation umgehen? Das Orchester, wie es Christian Thielemann wahrscheinlich getan hätte, bis zur Unhörbarkeit dämpfen? Nur um im Laufe des Abends herauszufinden, daß auch das ihn nicht retten kann? Ungezügelt aufspielen lassen?

Maestro Franz Welser-Möst entschied sich für den Mittelweg. Achtete darauf, daß dem »Biest« im Graben vor ihm nicht allzu sehr die Zügel schössen. Animierte das — bei Richard Strauss ja meistens spielfreudige — Staatsopernorchester zur Differenzierung. Half damit sogar das eine oder andere Mal kaschierend, stimmlich Unzulängliches zu bergen. Sorgte ab Aegisths Tod für orchestrale Gänsehautmomente; — und machte so vieles vergessen.
Keine kleine Leistung.

  1. Thomas Hampson: »If you can't sing it, doing it isn't gonna help.« Meisterklasse an der Manhattan School of Music, 16. Feber 2015

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