»L'elisir d'amore«, 1. Akt: Dmitry Korchak als Nemorino © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»L'elisir d'amore«, 1. Akt: Dmitry Korchak als Nemorino

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Gaetano Donizetti:
»L'elisir d'amore«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Auch im oft gescholtenen Repertoire-Alltag ereignet sich mitunter Bemerkenswertes. Zum Beispiel, daß auch die tragischen Elemente in ihr Recht treten. Daß immer noch ein Raunen durch’s Publikum geht, wenn sich der Vorhang zum ersten Akt in der liebevollen Ausstattung von Altmeister Jürgen Rose hebt. Oder daß die Staatsoper die Aufführung ohne Konzertmeister bestreitet.
(Im Laufe der Begebenheiten wird das alles klar werden.)

II.
Die Wiener Philharmoniker weilen zu New York. Im Haus am Ring spielt man einfach auf­zu­bauende Stücke; in kleiner Besetzung. Und begibt sich an diesem Abend eines Konzertmeisters. Anstelle dessen bittet man Fedor Rudin ans erste Pult. Rudin gewann am 8. Feber 2019 das Probespiel für die vakante Position des vierten Konzertmeisters im Orchester der Wiener Staatsoper. Nimmt an diesem Abend an seinem zukünftigen Arbeitsplatz (ab 1. September) Platz. Flankiert von Madame Dervaux und den Herren Kroisamer und Hell, Kovác und Nagy. Und mit Marco Armiliato am Pult. Man schaukelt das Kind gemeinsam.

Armiliato sorgt für die Italianità. Nimmt die Tempi manchmal spektakulär schnell (jedoch ohne daß diese gehetzt wirken), läßt das klein besetzte Orchester aufrauschen. Noch leistet Rudin kei­nen Widerstand gegen manche zu laut geratende Passage. Er wird erst erfahren, wie seine zukünftigen Pultnachbarn die Kollegen zu leiserem Spiel zu bewegen wissen, ohne daß die Aufführung ihrer Stringenz verlustig geht; — dessen bin ich guter Hoffnung.

Heute soll auch einmal Witolf Werner als Leiter der Bühnenmusik Erwähnung finden. Ihm fällt die Aufgabe zu, zu Beginn des zweiten Aktes die Banda im Dachboden des Stadls mit dem Orchester vor dem Vorhang synchron zu halten. Ein Detail? Vielleicht. Aber nichtsdestotrotz ein erwähnenswertes. (Zu oft nehmen wir Funktionierendes als selbstverständlich hin.)

III.
Otto Schenks Inszenierungen werden oft belächelt. L‘elisir d‘amore spielt man in Wien schon lange »nach einer Regie von«. Was bleibt, sind Jürgen Roses Bühnenbild und die Kostüme. Auch an diesem Abend wird Roses Arbeit freudig begrüßt. Offensichtlich schätzt das Publikum solche Szene. Wie aber kann, was gefällt, aus der Zeit gefallen sein? Und: Sollten unsere Theater und Opernhäuser nicht für jene spielen, welche ihre Billetts selbst bezahlen? Darüber ließe sich trefflich nachdenken. (Nicht nur in Wien. Oder Wiesbaden.)

»L'elisir d'amore«, 1. Akt: Andrea Carroll als Adina © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»L'elisir d'amore«, 1. Akt: Andrea Carroll als Adina

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

IV.
Adam Plachetka überrascht als Dulcamara mit stimmlicher Beweglichkeit in den parlando-Szenen. Die tessitura dieser Partie liegt relativ tief, verleitet Interpreten und Besetzungsbüros zu nicht immer glücklichen Entscheidungen. Denn Donizetti notierte für den Sänger des Dulcamara einige baritonale Spitzentöne in der Partitur. Diese wollen sich bei Plachetka nicht organisch ins sonstige Tun fügen. Auf der Habenseite steht des Sängers kräftige Stimme, sein schau­spie­le­rischer Beitrag zum Gelingen des Abends. Daß große Rollenvorgänger ihre Auftrittsszene vornehmlich mit gesanglicher Intensität zu gestalten wußten, die Listigkeit des Quacksalbers aus der Stimme zu erfahren war: — es sei der Vollständigkeit angemerkt. (Doch soll man die Le­ben­den nicht mit den Toten erschlagen.)

V.
Orhan Yildiz steht als Belcore auf der Bühne und agiert »rollendeckend« (wie das deutsche Feuilleton solches heißt). Ich will‘s dabei bewenden lassen. Ebenso mit einer Erwähnung von Ileana Tonca als Giannetta: Sie sei bedankt für ihr Mittun.

VI.
Ich war neugierig auf Andrea Carroll als Adina: eine Erstbegegnung. Eine »reiche Pächterin«, wie es in mancher Beschreibung heißt. Doch Pächterin — nicht: Besitzende — auch sie. L‘elisir d‘amore: eine »Arme Leute«-Oper. Carrolls dunkel timbrierter Sopran ist eine wohltuende Ab­wechslung zu den heute üblichen Besetzungen; — obschon das untere Register Volumen mis­sen läßt, mancher Spitzenton scharf klingt. Mehr gesangliche Eleganz ist denkbar. (Ich setze meine Hoffnung auf Zukünftiges.) Doch nehmt nur alles in allem, trägt diese Adina in nicht geringem Maß zum Gelingen des Abends bei.

VII.
Die Partie des Nemorino ist kurzfristig von Dmitry Korchak übernommen worden. Korchak singt sie mit kräftiger Stimme. Kein Säuseln. Für die Spitzentöne der »Una furtiva lagrima« ent­scheidet er sich für den Einsatz der Kopfstimme. Doch gleich darauf besinnt sich Korchak seines technischen Rüstzeugs; — mischt im Abstieg wieder die Bruststimme dazu. (Man denkt an die berühmteren Kollegen und ist sofort versöhnt.) Korchaks Nemorino: das Zentrum des Abends. Sein Tun trägt die Aufführung. (Was heißt hier »Einspringer«?)

VIII.
L‘elisir d‘amore: an diesem Faschingsdienstagsbend das intendierte melodramma; nicht die oberflächliche opera buffa anderer Aufführungen. Wenig blitzend Weißes. Einige helle Grautöne, wenn Adina Nemorino freikauft. Auch fast Schwarzes, wenn der unglücklich Liebende im Finale des ersten Aktes von Belcore und den Frauen des Dorfes verspottet wird...

IX.
Viel Stoff zum Nachdenken, eigentlich. Auch in dieser Arbeit »nach« Otto Schenk und den na­tu­ra­listischen Bühnenbildern des Jürgen Rose.
Wenn man denn will.

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