» Daphne « von Richard Strauss in der Regie von Nicolas Joel und der Ausstattung von Pet Halmen (Archivphoto aus 2004) © Wiener Staatsoper GmbH/Axel Zeininger

» Daphne « von Richard Strauss in der Regie von Nicolas Joel und der Ausstattung von Pet Halmen (Archivphoto aus 2004)

© Wiener Staatsoper GmbH/Axel Zeininger

Richard Strauss: » Daphne «

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Nach sechs Jahren setzt die Wiener Staatsoper wieder Daphne auf’s Programm. In der Regie von Nicolas Joel und der Ausstattung von Pet Halmen erwartet einen die Umkehrung des Otto Schenk’schen Diktums, wonach eine Regie gut, aber falsch sein kann. Diese Produktion scheint mir falsch, aber gut zu sein.

II.
Der Einwand, das Musikzimmer der Villa Stuck zu München mit seinem illusionistischen Himmelsgewölbe mit goldenen Sternen und Sternzeichen, Sphärenkreisen, etc. auf dunkelblauem Grund habe nichts mit dem Inhalt von Strauss’ Oper zu schaffen, ist nicht zu entkräften. Doch wer diesen Bau aus eigenem Augenschein als Reverenz an die Antike empfindet, dem erschließt sich die Gemeinsamkeit mit Straussens Spätwerk unmittelbar: hie wie da die Sehnsucht nach der Hochkultur des Altertums. Joel schuf mit dem zu Beginn und am Ende wiederum im Halbdunkel sitzenden Apollo eine dramaturgische Klammer, öffnete mit der sich hinter dem großen Gobelin versteckten Bühne den Weg zum bukolischen Schäferspiel. Der Kunstgriff Pet Halmens verkleinert nicht nur den Bühnenraum, sondern verlegt das Fest der blühenden Rebe (zu Ehren Dionysos’) in ein Theater auf dem Theater. Zieht die Figuren des (Stuck’schen) Haushaltes, den Fischer Peneios, Gaea und Daphne, in die antikisierte Welt. Und läßt einen dennoch bei der Erstbegegnung ratlos zurück: Was hat der Majordomus des Peneios’schen Haushaltes mit der Antike zu schaffen?

Kurzum, es handelt sich bei dieser Produktion um einen weiteren Fall von Regisseurs-Theater; — wenngleich ohne Koffer, Trenchcoats und Wiener U-Bahn-Station. Trotz des, wie ich meine, gelungenen Bühnenbildes und der phantasievollen Ausleuchtung wird dieser Abend, unvorbereitet und einzig zur Unterhaltung besucht, einige überfordern oder, schlimmer, gar langweilen.

III.
Das liegt nicht nur an der Dichtung von Joseph Gregor, dem Strauss im Zuge der Entstehung vorwarf: Sie selbst berauschen sich immer noch zu viel an Ihren eigenen Versen, von denen in der Oper das Publikum kaum den fünften Teil versteht und sich sofort gelangweilt abwendet, wenn es in Musik getauchte › Gedanken ‹ fressen soll, statt schöne Cantilenen zu hören, denen gerade nur das Notwendigste an Text unterlegt ist, was unmittelbar zur Handlung gehört.1

Das liegt (bzw. lag) auch am singenden Personal der Hauptpartien und der Orchesterbehandlung durch Sebastian Weigle. Diese war selbst in der dritten Aufführung der Serie und trotz manch feiner Leistungen einzelner Instrumentengruppen über weite Strecken zu laut für die verpflichteten Sänger. So blieb von mancher Stelle nur ein lärmender Eindruck, ohne daß die einzelnen Stimmen im Graben und auf der Bühne in ihr Recht einzutreten vermochten: Doch in diesem » Wie «, da liegt der ganze Unterschied zwischen einem Kapellmeister und einem » Maestro « … — Nicht, daß nicht auch Weigles Interpretation ein paar Schönheiten aufwies: Vor allem die bukolischen Szenen wie das instrumentale Finale, zu welchem der Dirigent und Freund Clemens Krauss die Anregung gegeben hatte, gelangen. Dennoch fehlte der Abend im Bestreben, diesem Alterswerk Strauss’ neue Anhänger zu gewinnen.

Jene, welche die Kopfstimme zu weit nach unten führen, werden an den Konsequenzen in der Höhe zu leiden haben.

The “Displacement Rule”. Conrad L. Osborne, » Opera as Opera «

IV.
Von den Sängern der Hauptpartien ist zu berichten, daß — mit Ausnahme von Günther Groissböck als Peneios — keiner den gesanglichen Anforderungen an seine Partie zu entsprechen wußte. Die Gründe dafür liegen darin, daß es heutzutage den meisten Stimmen an Stamina und dem erforderlichen Kaliber fehlt und sie unterentwickelt sind. Conrad L. Osborne beschrieb das Dilemma in seiner displacement rule: Jene, welche die Kopfstimme zu weit nach unten führen, wer­den an den Konsequenzen in der Höhe zu leiden haben.2 Deren Gültigkeit konnte an diesem Abend wieder einmal überprüft und für korrekt befunden werden.

Wie auch bei Aufführungen von Werken Richard Wagners oft zu bemerken, etablierte sich in den vergangenen Jahrzehnten die Unsitte, Endkonsonanten besonders zu betonen. Aus » echt « wird » echttt «, anstatt vom » Tod « wird vom » Tottt « gesungen. Diese Betonungen — von welchen die großen Alten frei waren (man lausche einer Kirsten Flagstad, einem Lauritz Melchior) — bedingen eine ruckartige Bewegung des Zwerchfells, damit einen stoßweisen Luftfluß im Kehlkopf und führen in der Folge zum Bruch der Gesangslinie.

» Daphne « © Wiener Staatsoiper GmbH/Michael Pöhn

» Daphne «

© Wiener Staatsoiper GmbH/Michael Pöhn

V.
Daniel Jenz mühte sich hörbar mit den Höhen des Leukippos, servierte Stentortöne, wo Einbindung in die Phrasen das Mittel der Wahl gewesen wäre. Gleiches galt für David Butt Philip in der Partie des Apollo. Butt Philips Stimme ging (nicht nur) in seiner großen Szene manchmal in den Orchesterwogen unter. Von jener Größe, Fülle, und (gottgleichen) Kraft, welche Thorsten Ralf als Apollo bei der Uraufführung 1938 in Dresden verströmte, war an diesem Abend keine Spur. Doch was soll mir ein Schmalspur-Apollo anstelle eines Gottes?

Zum Peneios des Günther Groissböck wäre nachzutragen, daß er als einziger an diesem Abend auf Linie zu singen wußte. Daß auch er hinter den Erwartungen zurückblieb, man an einem, wie mir scheinen will, in den letzten Wochen übervollen Auftrittskalender zu liegen. Ein wenig mehr stimmliches Durchschlagsvermögen wäre jedenfalls durchaus zu wünschen gewesen.

VI.
Die Gaea der Noa Beinhart erfüllte vor allem in der Mittellage die an sie gestellten gesanglichen Anforderungen. In der Tiefe nahm das verfügbare Stimmvolumen rasch ab, doch mit » nachgedrückten « Tiefen einer absichtlich größer gemachten Stimme ist nun einmal auf Dauer kein Staat zu machen.

Vera-Lotte Boecker war kurzfristig herbeigerufen worden, die Partie der Daphne zu übernehmen. Boecker begann den Abend wohl für viele überzeugend, mit vom Volumen her ausreichender Stimme; — Ergebnis eines abgesenkten Kehlkopfes auch hier. (Man erlauscht solches auch an vermeintlich legato gesungenen, dabei jedoch Textdeutlichkeit missen lassenden Phrasen.) Mit Fortdauer des Abends verfestigte sich der Eindruck einer um jede höher liegende Phrase ringende Stimme. Der Schlüssel zum Erfolg läge auch hier — wieder einmal — in einer besseren Entwicklung der unteren Stimmfamilie, jenes Fundamentes, worauf alles aufbaut. (So sind nun einmal die Gesetze des klassischen Gesanges.)

Denn in Wahrheit waren die Beobachtungen über den » silbernen Strauss-Klang «, seit Jahrzehnten tradiert, schon immer Ausflucht und Arrangement mit Fehlendem. Von der Salome wissen wir um Strauss’ Anspruch an eine 16jährige Prinzessin mit Isoldenstimme. Viorica Ursuleac, die Frau von Clemens Krauss und Strauss’ bevorzugte Arabella und Marschallin, konnte man vieles vorwerfen, — doch niemals den » Strauss’schen Silberklang «. Nämliches gilt für Margarete Teschemacher, die Daphne der Uraufführung. Was wir auf erhaltenen Ausschnitten hören, ist eine komplett über den erforderlichen Stimmumfang entwickelte Sopranstimme mit jenem chiaroscuro, welches die untere Stimmfamilie als das Fundament begreift, darauf die Höhen erst legato zum Klingen gebracht werden können.

VII.
Es ist wichtig und richtig, daß man im Haus am Ring Werke wie Daphne auf den Spielplan setzt. Doch ebenso wichtig wäre, für das Engagement der diese Partien nicht nur » überlebenden « Sänger zu sorgen.

  1. Richard Strauss — Joseph Gregor, Briefwechsel 1934 — 1949. Herausgegeben im Auftrag der Wiener Philharmoniker von Roland Tenschert, Otto Müller Verlag Salzburg, 1955, S. 51 f
  2. The Displacement Rule: She who violates it at the bottom shall suffer the consequences at the top. Conrad L. Osborne: “Opera as Opera. The State of the Art”; Proposito Press, 2018, ISBN 978-0999436608; S. 352)

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