»Otello«, 1. Akt: Gregory Kunde (Otello) und Rachel Willis-Sørensen (Desdemona) im Liebesduett © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Otello«, 1. Akt: Gregory Kunde (Otello) und Rachel Willis-Sørensen (Desdemona) im Liebesduett

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Giuseppe Verdi: »Otello«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Erkenntnisse des Abends: Zum Beispiel, daß es für eine Opernaufführung einen Dirigenten braucht. Daß dramatisches, packendes Singen eines gewissen, kontinuierlichen Stimmdrucks bedarf. Wir wußten es freilich. Aber wir mußten es wieder einmal erleben, um uns daran zu erinnern.
(So waren, in Kürze, die Begebenheiten.)

II.
Den erst kürzlich wieder vom Dachboden geholten und aufpolierten »ästhetischen Aufbruch« gab’s schon immer. Heute dient er als intellektuelle Verpackung für »Regisseur-Theater« mit seinen autoriellen Eingriffen: Transformationen in andere Zeiten, an andere Orte, in andere Gesellschaftsschichten. Auch Adrian Noble wurde seiner schuldig. In einer Produktion, die Otello ins 19. Jahrhundert verpflanzt (Bühne und Kostüme: Dick Bird). Den Helden auf seine Eifersucht reduziert, ohne uns verständlich zu machen, aus welchen Quellen sich diese speist. (Desdemona und Iago sind Prinzipien. Otello ist der Mensch.) Diese Produktion: kein Ruhmesblatt Nobles, trotz venezianischen Wappens.

Der Einsatz von Theaterschminke wurde ja von fehlgeleiteten Gutmenschen und rückgratlosen Intendanten in Acht und Bann gesetzt. Ob sie den Unterschied zu benennen wüßten zwischen der jedem Menschen entgegenzubringenden Wertschätzung und der Verwandlung für das Spiel auf dem Theater? Jedenfalls ist Otello an diesem Abend ein Weißer. Vergeblich suchen wir den von Iago gehaßten Mohren auf der Bühne: Benchè finga d’amarlo, odio quel Moro.

III.
Doch darum ging es nicht an diesem Abend. Sondern darum, daß mit Bertrand de Billy endlich wieder einmal ein Dirigent seines Amtes waltete. Der im Graben Stürme zu entfachen wußte; — äußere wie innere. Der die Theaterpranke des il vecchio erlebbar machte: in der Trinkszene des ersten Aktes ebenso wie im finalen Duett des zweiten, zwischen Iago und Otello; oder bei Desdemonas Abschied von dieser Welt. Jedenfalls musikalisch kurzweilig; mitunter überraschend; mitreißend. Da taten auch die Opernschule der Wiener Staatsoper und der Wiener Staatsopernchor mit. Und wenn es hin und wieder laut wurde, mochte das trichterförmige Bühnenbild sein Teil dazu beigetragen haben.

IV.
Freddie De Tommaso sang bei seinem Rollen-Debut in Wien einen Cassio der Luxusklasse; überzeugte vor allem mit guter Linienführung in der Mittellage. (Wir hörten schon anderes.) Von anderen Einwänden — soll diesmal nicht die Rede sein.

Auch Gregory Kunde stellte an diesem Abend zum ersten Mal in Wien Otello vor. In durchaus beeindruckender Weise. Das Esultate!, allen anderslautenden Beteuerungen zum Trotz die Visitenkarte eines jedes Otello, erklang kraftvoll. Kunde ging den ganzen Abend über so verschwenderisch mit seinem Tenor um, daß man das Finale mit Spannung erwartete. Manche Linie brach auf dem Weg dorthin, manche piano-Passage, manch länger zu haltender Ton gab Kunde von der Dauer der Karriere. Einige Spitzentöne wurden tastend, vorsichtig nur erklommen. Doch: kein Säuseln, kaum falsetto gesungene Höhen. Diesem Otello glaubte ich sein Rasen, seine Eifersucht.

Die Dritte im Bunde der Rollen-Debutanten im Haus am Ring war Rachel Willis-Sørensen. Ihre Desdemona punktete (wie ihre meisten Kolleginnen) im Finalakt. Betreffend die Aktivierung des tiefen Registers wären die üblichen Vorbehalte anzuführen. Doch diese Desdemona hielt in ihren großen Szenen mit der Stimmkraft des von ihr geliebten Otello mit. Denn Desdemona ist, um Verdi zu zitieren, keine Frau, sondern ein Typ. Willis-Sørensen jedenfalls war, bis zur finalen Auseinandersetzung mit dem Feldherrn, der kein Mohr sein darf, diesem an stimmlicher Intensität ebenbürtig. Ihre Desdemona stellte etwas vor.

Daß, was einst einen Verdi-Bariton ausmachte, blüht uns heute nur mehr im Verborgenen. Doch Ludovic Tézier überraschte mit der stimmlichen Darstellung des Bösen, nicht nur im Credo in un Dio crudel. Beeindruckend auch sein fortwährendes Bemühen um differenzierte Tongebung. Nicht alles gelang; doch vieles. (Nach heutigen Maßstäben.) Manche Phrase geriet nasal (vor allem in der oberen Mittellage), einiges klang unbalanciert. Es sei. Tézier war ein nobler Iago, auch musikalisch.

V.
Der Abendzettel verzeichnete die neunte Vorstellung dieser Inszenierung. Nimmt man die musikalische Qualität zum Maßstab, war’s wohl eher die Première.

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