Christian Kircher, Geschäftsführer der Bundestheater-Holding, Thomas Drozda, Kunst- und Kulturminister, und Bogdan Roščić, designierter künstlerischer Geschäftsführer der Wiener Staatsoper GmbH. ab 1. September 2020 © BKA/Regina Aigner

Christian Kircher, Geschäftsführer der Bundestheater-Holding, Thomas Drozda, Kunst- und Kulturminister, und Bogdan Roščić, designierter künstlerischer Geschäftsführer der Wiener Staatsoper GmbH. ab 1. September 2020

© BKA/Regina Aigner

Kratki-Baschik und der Zauberlehrling

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Ein Kommentar zur Bestellung Bogdan Roščićs zum künstlerischen Geschäftsführer der Wiener Staatsoper GmbH.

I.
Ich wußte nicht, was uns immer gefehlt hatte. Es hatte der Zeit was gefehlt. Das war der von Minister Thomas Drozda und Bundestheater-Holding-Geschäfts­führer Christian Kircher mit der Präsentation des künstlerischen Geschäftsführers der Wiener Staatsoper GmbH. ab 1. September 2020 verordnete Aufbruch des Hauses am Ring ins 21. Jahrhundert: »Staatsoper 4.0«. Die Erklärung, was darunter zu verstehen sei, blieb Drozda schuldig. Wahrscheinlich weiß er es selbst nicht.

II.
Gewinner dieses »4.0«-Wettbewerbes wurde mit Dr. Bogdan Roščić (52) der Präsident von Sony Classical. Der Mann ist nicht zu beneiden. (Im weiteren Verlaufe der Begebenheiten wird das alles klar werden.)

III.
Kircher referierte über einen »ergebnisoffenen« Prozeß, als bedeute dies in einer Demokratie, welche etwas auf sich hält, eine große Errungenschaft. Und überhaupt: Wäre es anders, niemand gäbe es zu. Nicht nur in New York, welches Roščić ja gut kennt, bezeichnet man solche Aussagen daher als Schwachsinn.

IV.
Drozda merkte an, die Bestellung Roščićs sei »mutmaßlich die wichtigste Entscheidung meines bisherigen Berufslebens«. Es wird im Rückblick die schlechteste für das Institut seit 1945 gewesen sein.

Roščić ist nicht zu beneiden.

V.
Man stelle sich eine Fluglinie vor, in welcher der CEO (Drozda) mit dem Head of Operations (Kircher) einen durchaus erfolgreichen Chef de Cabin (Roščić) zum Piloten eines Airbus A380 küren, obwohl der Mann in seinem Leben noch nie eine einmotorige Cessna geflogen ist. Als Begründung dient, daß der ehemalige Chef de Cabin ja schon tausende Flugstunden absolvierte, etliche Male im Cockpit anderen Piloten über die Schulter geblickt habe und auch sonst sein Geschäft verstehe. Dafür darf sich der neue Pilot seinen Kopiloten (Generalmusikdirektor) und den neuen Chef de Cabin (Besetzungsdirektor) sowie das Kabinenpersonal (die »Stamm-Dirigenten«) aussuchen.

Mit ein wenig Glück wird dieser Airbus A380 — nicht zuletzt dank der Arbeit des Kopiloten — ein paar Mal erfolgreich abheben und landen. (Denn der Kopilot wird im täglichen Geschäft die Maschine fliegen.) Und wenn das Ding später doch abstürzen sollte, sind der CEO und der Head of Operations schon lang — und mit entsprechenden Aktienpaketen versorgt — aus dem Unternehmen ausgeschieden.

All jene, welche der Ansicht zuneigen, im Opernbetrieb könnten Pilot und Kopilot miteinander lenken, seien an die jüngste Geschichte des Hauses erinnert.

VI.
Roščićs Verweise auf Ioan Holender und Peter Gelb, wonach diese vor ihren Positionen als Direktoren der Wiener Staatsoper bzw. der Metropolitan Opera (MET) auch keine Erfahrungen gehabt hätten, zielen ins Leere: Ersterer war bereits vor seinem Amtsantritt erfolgreicher Sängeragent und versteht etwas von Stimmen (auch wenn er als Sparmeister der Devise »ein Star pro Abend ist genug« huldigte), und zweiterer… Nun, ich verrate hoffentlich kein Geheimnis, wenn ich feststelle, daß die Welt meist genauso ist, wie sie sich der kleine Moritz vorstellt. Will sagen, die simplen Erklärungen treffen zumeist das Richtige. Die lautet im Fall der MET: Peter Gelb ist einfach ein schlechter Intendant.

Und die Wiener Staatsoper bekommt einen Zauberlehrling anstelle eines Kratki-Baschik.

VII.
Zur Pressekonferenz waren Medien wie z.B. der MerkerOnline nicht eingeladen worden. Es wäre ja auch zu dumm gewesen, hätten kritische Fragen interessierter Laien die Kundgebenden in Bedrängnis und die Berufsausübenden in Verlegenheit gebracht. So blieb man hübsch unter sich. Die Frage, wer Roščić zum Gespräch (und damit um seine Bewerbung) gebeten hatte, nicht gestellt zu haben, verriet mehr über die in Österreich tätigen Kulturjournalisten als diesen lieb sein kann.

Keine Pönitenz für Lämmlein.

VII.
Drozda erwartet sich von Roščić »eine Erhöhung der Anzahl der Premièren und eine neue Form der Repertoire-Pflege«. Wie ersteres ohne Budget-Ausweitung für das Haus sowie strukturelle Änderungen (unter anderem bei den Arbeitszeiten) funktionieren soll und was unter zweiterem zu verstehen ist, erklärten die Herren nicht. Nachfragen aus dem Auditorium? Fehlanzeige.

Lauter Lämmlein. Mäh.

VIII.
Amtsinhaber Dominique Meyer erklärte anläßlich des letzten Publikumsgespräches, sechs Wochen Probenzeit für eine Neuproduktion sei international üblich. Nun denn, rechnen wir: Die Staatsoper spielt 43 Wochen pro Jahr. Zieht man zwei Wochen für die Weihnachtspause, zwei Ende Juni (weil die letzte neue Produktion ja auch gezeigt werden will) sowie jeweils eine Woche für den Opernball und Ostern ab, bleiben 37 Wochen. Dividiert durch sechs Wochen Probenzeit pro Produktion ergibt — voilà! — jene sechs Produktionen, welche Meyer schon seit Jahren bietet (fünf Opern- und eine Ballett-Première).

Eventuell ließe sich durch Koproduktionen mit fertig studierten Sängern die Zahl der Neuproduktionen auf acht erhöhen. Aber das war’s dann auch schon, denn Ballettabende werden (mit seltenen Ausnahmen) musikalisch ebenfalls vom Staatsopernorchester begleitet.

Und dann wäre da — neben der finanziellen Seite — auch noch das kleine, aber nicht unwesentliche Detail der im Orchester-Kollektivvertrag festgesetzten Höchstzahl der Proben (derzeit laut Meyer 102 pro Saison). Ohne eine Ausweitung (und damit eine Änderung des Kollektivvertrages) werden des Ministers Erwartungen also nicht zu erfüllen sein. Die Begeisterung darüber dürfte sich sowohl bei den Betriebsräten des künstlerischen als auch des nicht-künstlerischen Personals in Grenzen halten.

IX.
À propos Ballett: Während der gesamten Pressekonferenz verlor keiner der Anwesenden auch nur ein Wort über die Zukunft des Wiener Staatsballetts. Angesichts der (auch internationalen) Erfolge der Compagnie als Früchte der jahrelangen, harten und konsequenten Arbeit aller Beteiligten unter der Leitung von Manuel Legris und seinem Team ein geradezu beschämendes Zeichen der Ignoranz.

X.
Minister Drozda: »Das beste Orchester der Welt verdient es, von den besten Dirigenten der Welt dirigiert zu werden. Und die besten Solisten der Welt haben auf der Bühne der Staatsoper zu stehen, und sie haben vor allem — oder viele von Ihnen haben vor allem — hauptsächlich und überwiegend mit der Staatsoper verbunden zu sein.« … Faszinierend, daß man im Ministerium immer noch Hochglanzprospekte aufzutreiben vermag, aus welchen man so etwas abschreiben kann. Weitaus faszinierender aber, daß man zu Beginn des 21. Jahrhunderts auch noch daran zu glauben scheint.

Keine erleuchteten Fenster…

Christian Kircher, Geschäftsführer der Bundestheater-Holding, Thomas Drozda, Kunst- und Kulturminister, und Bogdan Roščić, designierter künstlerischer Geschäftsführer der Wiener Staatsoper GmbH. ab 1. September 2020 © BKA/Regina Aigner

Christian Kircher, Geschäftsführer der Bundestheater-Holding, Thomas Drozda, Kunst- und Kulturminister, und Bogdan Roščić, designierter künstlerischer Geschäftsführer der Wiener Staatsoper GmbH. ab 1. September 2020

© BKA/Regina Aigner

XI.
Rosics Bestellung erwischte die Wiener Philharmoniker, in ihrem Erstberuf Mitglieder des Staatsopernorchesters und damit Angestellte des Hauses am Ring (bzw. Beamte der Republik Österreich), am linken Fuß: Im September 2010 hatte Roščić das Orchester, noch unter der Führung Clemens Hellsbergs, von der Universal Music zu Sony Classical gelockt: Seit 2012 erschienen neue CDs fast ausschließlich bei diesem Label. Da kann das Orchester nun schwer offen gegen Roščić aufbegehren.

Denn er ist der Rittmeister.

XII.
Philharmoniker-Vorstand Andreas Großbauer mußte schmerzlich zur Kenntnis nehmen, daß sein Einfluß nicht an jenen seines Vorgängers heranreicht, wenn es darum geht, bei der Besetzung des Staatsoperndirektors mitzureden. Da mußte man Großbauers Wortwahl und Körpersprache für die ZiB2 am vergangenen Mittwoch gar nicht erst dechiffrieren.

Wenn Drozda also im Rahmen der Pressekonferenz anmerkte, er habe in den Gesprächen mit den Wiener Philharmonikern »keine Skepsis erkennen können«, dann leidet entweder einer der beiden Partner an Wahrnehmungsstörungen oder der Orchestervorstand entsann sich seit diesen Gesprächen eines besseren. Daß Großbauers Frau im März 2016 als Organisatorin des Wiener Opernballes bestellt wurde, könnte sich nun als Pyrrhus-Sieg erweisen.

Fortune in der Vorstandsarbeit buchstabiert man anders.

XIII.
Das Thema der Freigabe eines Teiles des Orchesters für Reisen als Wiener Philharmoniker könnte relativ rasch brisant werden. Meyer gewährte ja dem Orchester zuletzt viele Freiheiten. Damit wird unter einem Direktor Roščić wohl Schluß sein. Andernfalls wäre dessen angekündigte Qualitätsoffensive ja nur schwer möglich. Weniger Reisen bedeuten aber weniger Einnahmen für die Mitglieder des privaten, nicht-subventionierten Vereins. Und die Planungen für die Jahre ab 2020 beginnen — jetzt.

Großbauer ist auch nicht zu beneiden.

XIV.
Weil das Budget aber offenbar so knapp nicht ist, wird Roščić einen Generalmusikdirektor (GMD) berufen: »Es steht für mich völlig außer Frage, daß die Wiener Staatsoper einen GMD haben muß. Der Direktor braucht als entscheidenden Teil des Führungs-Teams einen musikalischen Ansprechpartner. Einen prägenden Spitzenmusiker, der Teil des think tanks ist, der die Oper programmatisch und praktisch leitet. […] Die Wiener Staatsoper hat da den bedeutendsten Posten des Musiklebens zu vergeben […], und daher kann sie auch ein commitment erwarten. Das heißt, neben der musikalischen Qualität ist für mich auch ganz entscheidend ein Bekenntnis zu dieser Aufgabe und der Wille, diesem Haus zur Verfügung zu stehen im maximalen Ausmaß.« Ja eh.

Kombiniere ich diese Aussage mit dem geäußerten Anspruch an höchste Qualität, kommen mir folgende Namen in den Sinn: Marco Armiliato, Valery Gergiev, Mariss Jansons, Andris Nelsons, Yannick Nézet-Séguin, Antonio Pappano, Kyrill Petrenko und Christian Thielemann. Wie unangenehm nur, daß alle diese Herren bereits führende Positionen innehaben oder aus anderen Gründen nicht zur Verfügung stehen. (Zubin Mehta und Riccardo Muti dürften Positionen dieser Art nicht mehr anstreben.) Aber will man, sucht man die »besten Dirigenten der Welt«, andere als GMD?

XV.
Welser-Möst-Gefolgsmann Heinz Sichrovsky sprach eine Klippe betreffend den GMD im ORF-Kulturjournal an: »Welser-Möst hat zum Beispiel dafür gesorgt, daß seine Premièren weltklassig besetzt waren.« Und genau darin liegt das Problem: Was ist mit den anderen Abenden? Steht nicht zu befürchten, daß ein neuer GMD ähnlich wie Franz Welser-Möst agieren wird? Wie will Roščić dem gegensteuern? Dazu fehlten alle Fragen — und alle Antworten.

Gerade das junge Publikum, um welches man sich doch so bemühen will, das es »jeden Tag neu zu erobern« gilt, wird sich rasch wieder abwenden, wenn es sich einmal gelangweilt hat. Und das wird nicht schwer sein im 21. Jahrhundert, mit maximalen Aufmerksamkeitsspannen unter zehn Minuten, der permanenten Abhängigkeit vom Smartphone und keinerlei Basiswissen, da Drozdas Parteifreunde Fächer wie Bildnerische oder Musikerziehung in den letzten Jahrzehnten eifrig mehr und mehr zusammenstrichen in der vermeintlichen Eroberung der letzten Bastionen der Bourgeoisie. Auf die eilig einberufenen Konsultationen mit Unterrichtsministerin Hammerschmid und  Bundeskanzler Kern Anfang Jänner zwecks Änderung der Lehrpläne darf man gespannt warten.

Wie gesagt: Roščić ist nicht zu beneiden.

XVI.
Aber die menschliche Natur is’ a Hund. Außerdem will ich zur Ehrenrettung des Ministers und des Geschäftsführers der Bundestheater-Holding annehmen, daß vor Roščićs Bestellung Namen für die Position des GMD sowie der Gruppe jener Dirigenten zur Sprache kamen, welche »so stark wie möglich an das Haus gebunden wird und auch beim Publikum so etwas erzeugt wie den Eindruck eines Profils und einer Vertrautheit«. Man beachte: Es geht nicht um Profil und Vertrautheit, sondern um »den Eindruck« derselben. 

»Staatsoper 4.0« eben.

XVII.
»Staatsoper 4.0.« Medienkooperationen… Da steht zu hoffen, daß Roščić diese Arbeit ernster betreibt als die Aktualisierung der Website seines derzeitigen Arbeitgebers (für welche er als Präsident letztlich auch verantwortlich zeichnet): Denn dort wird für die Wiener Philharmoniker die CD-Box »Neujahrskonzert: Die gesamten Werke« mit Erscheinungsdatum 13. November 2015 als aktuelles Album angepriesen…

Man kälbert ohne Spannung und Absicht im Vorzimmer der schönen neuen Medienwelt.

XVIII.
Wie gesagt: Die menschliche Natur is’ a Hund. Daher ohne Umschweife mein Tip für die Position des künftigen Wiener GMDTeodor Currentzis.

Roščić nannte Currentzis’ Namen im Verlauf der Pressekonferenz (absichtlich oder unabsichtlich) des öfteren: Als es um die Salzburger Festspiele 2017 ging, um die Arbeit im Streben nach musikalischer Perfektion — und indirekt, als er mit Le nozze di FigaroDon Giovanni und Così fan tutte mögliche Werke für die ersten drei Premièren der Spielzeit 2020/21 nannte. (Selbstverständlich nicht, ohne sofort einschränkend anzufügen, er wisse nicht, was für die kommenden Saisonen im Haus am Ring noch geplant sei.) … Zufälligerweise handelt es sich dabei um jene drei Opern, welche Teodor Currentzis in den letzten Jahren für Roščićs Label einspielte. Mit Sängern übrigens, angesichts deren auf CD gepreßten Leistungen jede Repertoire-Vorstellung eines Mozart-Werkes in der Direktionszeit Meyer das Prädikat »perfekt« verdient.

Die Peinigung der Mittelohren.

XIX.
Aber »musikalische Perfektion ist in der Oper alles«, und Roščić ist »excellent vernetzt mit den wichtigsten Sängern und den wichtigsten Dirigenten der Welt« (© Drozda).

Denn er ist der Rittmeister.

XX.
Nein, nein: Bodgan Roščić ist nicht zu beneiden.

Er mag ein durchaus erfolgreicher Manager sein. Seine Ideen und Vorstellungen mögen vor ahnungslosen Ministerohren bestanden haben. An der Realität des »Biotops« Wiener Staatsoper werden sie zerschellen wie des Korsaren Conrads Schiff an den Klippen. Denn ein Opernhaus ist nun einmal keine Platten-Firma. Und auch keine »Maschine, der man Kunst abpreßt«. Sondern ein Ort der künstlerischen Entfaltung.

XXI.
Amtsinhaber Dominique Meyer zögerte übrigens nicht, noch am selben Tag auf der Website der Wiener Staatsoper das Publikum über die Bestellung seines Nachfolgers zu informieren.

Aber Meyer ist — bei aller immer wieder geäußerten Kritik an seiner Amtsführung — eben doch ein anderer Kratki-Baschik.

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