»Der Rosenkavalier«, 2. Akt: Erin Morley (Sophie) und Daniela Sindram (Octavian) bei der Rosenübergabe © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Der Rosenkavalier«, 2. Akt: Erin Morley (Sophie) und Daniela Sindram (Octavian) bei der Rosenübergabe

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Richard Strauss:
»Der Rosenkavalier« (Stream)

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Unbeirrt trotzt die Wiener Staatsoper den ihr von kulturell Uninteressierten aufgetürmten Hindernissen. Montiert (mit zumeist lokalen Kräften) Auf­führungen vor leerem Rund, um nicht dem Vergessen anheimzufallen. Der Direktor bemüht seine Kontakte, um im öffentlich-rechtlichen Rundfunk »acte de présence« zu machen. Das ist lobenswert. Dennoch…

II.
Dennoch blieb das Ergebnis in der Fernsehübertragung, in der Wiederholung des Streams der Vorstellung vom 18. Dezember, ein Unbefriedigendes. Das mochte zum einen am fehlenden Publikum liegen: — der oft gefürchteten »Macht im Parkett«, nun so schmerzlich entbehrt. (Nicht nur des Kassenreports wegen.) Zum zweiten lag es am Medium: einer Übertragung, welche, sei sie so gut wie auch immer, das Theatererlebnis nie ersetzen kann. Und zum letzten lag es an der Vorstellung selbst, welche sich nur in wenigen Szenen über alltägliches Repertoire-Niveau erhob.

III.
Martina Serafin — jeder Zoll keine Feldmarschallin Fürstin Werdenberg. Schon zu Beginn des Abends flackerte ihre Stimme ab dem hohen ›g‹. Vom Schlußterzett will ich schweigen. Bemüht, gewiß. Und in Zeiten von Sie-wissen-eh vielleicht die einzige verfügbare Alternative. Doch als kritischer Beobachter hat man keine Wertung des Eifers vorzunehmen, sondern des Ergebnisses. Und da waren in puncto Wortdeutlichkeit und Phrasierung zu viele Abstriche zu machen. Selten klang in meiner Erinnerung der Zeit-Monolog so belanglos, wie Serafin das Finale des ersten Aktes spielte.

Abstriche waren auch bei Serafins Darstellung zu machen: Niemals trüge eine Frau Fürstin Feld­marschall im Bett Brillantringe. Niemals klopfte eine Fürstin Werdenberg dem Baron Ochs auf Lerchenau kumpelhaft auf den Oberarm, nachdem sie ihm Octavian als Bräutigams­aufführer proponierte. Niemals verlangte die Liebende, daß sich ihr Liebhaber mit einem Handkuß von ihr verabschiedete. (Anders im dritten Akt: Da ist die Liebschaft vorbei, die gesellschaftlichen Regeln wieder in Kraft gesetzt. Außerdem befindet man sich in der Öffentlichkeit; vor anderen und in einem »gemeinen Beisl«.) Und selbstverständlich setzte sich eine Frau Fürstin Feldmarschall in einem Beisl nirgendwo hin. (Schon allein der Flöhe und Wanzen wegen.)

Und all diese Dinge fallen dem Musikdirektor, der Dramaturgie des Hauses und der Abendspielleitung bei den Proben nicht auf? Das ist das von Direktor Roščić angekündigte »Theater auf höchstem Niveau«?1

IV.
Enttäuschend auch Daniela Sindram in der Partie des Octavian und Erin Morley als Sophie: Beider Stimmen präsentierten sich in schlechter Verfassung. Flach. Ausdrucksarm. Schwer verständlich. Wer den Text nicht kennt, wußte nicht, wovon gesungen wurde. Solches ist immer ein Zeichen fehlenden Engagements der unteren Stimmfamilie. Fast schien es, als ob Sindram das leere Haus lähmte, gegen das es (vermeintlich) anzusingen galt. Immer wieder suchte ihr Blick die Bühnenmitte anstatt ihren Bühnenpartner; verriet Unsicherheit. Morley wiederum sang über die durchaus anzüglichen Stellen hinweg: »So nennen Ihn halt seine guten Freunde und schönen Damen, denk‘ ich mir, mit denen Er recht gut ist.« Doch ohne tempo rubato, ohne plötzliche Zurücknahme der Singstimme, des Orchesters ins pianissimo, verpufft der Effekt…

Auch darstellerisch überzeugten beide nur in einzelnen Szenen. Die Szene der Rosenüberreichung beispielsweise mißlang völlig: Als die zwei laut Partitur und Text einander bereits in die Augen sehen sollten, standen sie noch Meter voneinander entfernt. Das verlieh der ganzen Angelegenheit nur bedingt Glaubwürdigkeit.

Jochen Schmeckenbecher war ein rollendeckender Edler von Faninal — leider nicht mehr. Da gibt es andere im Ensemble, die in der Vergangeheit mehr aus dieser Partie zu machen verstanden.

V.
Es war — mit einigen Einschränkungen — der Abend des Günther Groissböck. Wann immer seine Version eines Baron Ochs auf Lerchenau auf der Szene erschien, nahm der Abend an Fahrt auf. Musikalisch wie szenisch. Anzumerken bleibt dennoch, daß Groissböck beim Singen (wie die vorgenannten Damen) sehr oft den Mund verzog, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Solch technischer Mangel läßt mich um die stimmliche Zukunft fürchten.

Auffällig auch, daß dieser Ochs in Dialekt und Spiel zu ordinär agierte, als daß er den Intentionen Hofmannsthals und Strauss’ entsprochen hätte. Keine weltmännische Leut­seligkeit à la Falstaff. Was für Berlin und New York genügt, reicht für Wien noch lange nicht. (Der Ochs ist halt doch eine Standsperson.)

Außerdem — und da kommen wir wieder zu den Schlampereien: Erstens war es üblich, daß Mitglieder des Adels im 18. Jahrhundert rasiert waren. Das ist auch Teil dieser Inszenierung. Und zweitens wäre im zweiten Akt in jedem Fall die Silberperücke zu tragen gewesen; einsame Vorstellung hin oder her. Außerdem wäre (unter anderem) beim Eintritt im ersten Akt die französische Reverenz mit ihren Wiederholungen zu absolvieren gewesen. (»Theater auf höchstem Niveau«, Sie verstehen.)

VI.
Mit der Verpflichtung von Piotr Beczała als Ein Sänger war Bogdan Roščić ein coup de thêatre gelungen. Es ist lange her, daß »Di rigori amato in seno« an diesem Haus in ähnlicher Qualität erklang. Eine nette Idee (selbst wenn Beczała laut einer seit Jahren feststehenden Planung ohnedies für Werther in Wien weilen sollte).

VII.
Und das Staatsopernorchester, dem ja im Rosenkavalier die eigentliche Hauptrolle zukommt? Das hielt sich an die Anweisungen seines neuen Musikdirektors Philippe Jordan — nicht immer zum Besten des Abends. Nahm man die Tonmalerei des Vorspiels als Richtschnur, verwunderte es nicht, daß Marie-Theres‘ von ihrem Mann träumte… Zu verbissen, zu gewollt, zu »brav« klang das streckenweise. Zu … akademisch. Dann wieder nebensächlich. Da hinterließen einige von Jordans Vorgängern in den letzten Jahren einen günstigeren Eindruck. (Ich will nicht die Lebenden mit den Toten erschlagen und den Namen »Kleiber« in die Runde werfen.)

Auch war Jordan den Sängern augenscheinlich keine Hilfe. Der Stream mit seinen Nahaufnahmen enthüllte unbarmherzig deren suchenden Blicke nach dem maestro suggeritore, weil auf den im Bühnenportal installierten Monitoren offenbar keine helfenden Einsätze vom Dirigenten zu erkennen waren. (Die Oper ist halt doch etwas anderes als der Konzertsaal.) Dann aber degenerieren die Duette zum Stehtheater und zum »Konzert in Kostümen«.

VIII.
Nun ist es ja so, daß, wenn ausgezeichnet musiziert und gesungen wird, die Szene (und alles, was ihr zugehört) in den Hintergrund tritt. Das aber war an diesem 18. Dezember nicht der Fall. Doch das Auge des von einigen verächtlich als »Konsument« abgestempelten Opernfreundes registriert halt in der Übertragung viele Schlampereien: Daß die Annina der kaum rollendeckend singenden Noa Beinart im dritten Akt keine Handschuhe trug und man ihre viel zu langen, krallenartigen Fingernägel sah. (Wieso sagt den jungen Sängern heute niemand mehr, daß solches auf einer Opernbühne keinen Platz hat?) Daß Erin Morley im dritten Akt das falsche Taschentuch dabei hatte und dieses, ihre Finger im letzten Augenblick von der Schlinge befreiend, wegwarf, anstatt es zu verlieren. Daß der kleine Mohr Mohammed anstatt mit Trippelschritten forsch ausschreitend das Frühstück servierte; sich keinen Deut um die in die Musik einkomponierten Verbeugungen scherte. Daß der Baron Ochs auf Lerchenau ebenso wie Octavian im zweiten Akt ihre Degen fälschlicherweise unter den justaucorps trugen anstatt darüber. Die (dadurch entstandenen) »Entenbürzel« ließen grüßen…

Und wieso fallen alle diese Dinge bei den Proben niemandem auf?

IX.
Soll das Institut den von seinem Direktor formulierten Ansprüchen gerecht werden, wartet wohl bis zu den für Juni 2021 geplanten Vorstellungen noch einiges an Arbeit. Szenisch wie musikalisch.

  1. »150 Jahre Staatsoper: Roščić — ›Verfügen über Wunderwaffen‹ «, Tageszeitung Kurier vom 19. Mai 2019: »[…] Die Staatsoper muss nicht nur musikalisch brillieren, sondern Theater auf höchstem Niveau bieten, für Konzerte in Kostümen ist sie nicht da.«

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