» Die Frau ohne Schatten «, 1. Aufzug: Tanja Ariane Baumgartner (Amme) und Andreas Schager (Kaiser) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

» Die Frau ohne Schatten «, 1. Aufzug: Tanja Ariane Baumgartner (Amme) und Andreas Schager (Kaiser)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Richard Strauss:
» Die Frau ohne Schatten «

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Nach vier Jahren gibt man im Haus am Ring wieder vier Vorstellungen des Hofmannsthal- und Strauss’schen opus magnum. Erneut mit Christian Thielemann am Pult, doch mit geänderter, teilweise verjüngter Besetzung — auf der Bühne wie im Graben. Man hört es.

II.
Über des Spielvogt Vincent Huguets Einfälle sagte ich, was zu sagen war. Wiederholung scheint müßig, zumal diesmal keine Überarbeitung zu erkennen war (anders als im Herbst 2019). Immer noch erscheinen die Kaiserin und die Amme im Färberhaus, ehe Strauss sie musikalisch auf die Bühne ruft. Immer noch schert sich diese Produktion keinen Deut darum, daß der zweite Aufzug aus fünf Bildern und den entsprechenden Zwischenspielen besteht. Immer noch geht der Kaiser mit der Flinte auf die Jagd, obwohl er von Pfeil und Speer singt; und anderes.

III.
Christian Thielemann scheidet die Zuhörerschaft in Anhänger und Gegner. Den einen gilt er als der ideale Strauss- und Wagner-Dirigent unserer Tage, den anderen als unbequem und den Werken nicht alles Ablauschender. In seiner Dankesrede nach der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft der Wiener Staatsoper hob Thielemann vor allem seine Beziehung zum Staatsopernorchester (auch in dessen » Zweitberuf « als Wiener Philharmoniker) hervor.

Für Die Frau ohne Schatten wählte Thielemann durchaus richtige Tempi — und dennoch falsche. Das lag einerseits am Orchester, welches nicht mehr jenes von 2019 ist: Viele erste Positionen waren in den ersten Vorstellungen mit neu Engagierten besetzt. Doch dieses Werk erarbeitet sich nicht in drei Bühnenorchesterproben. Dazu ist die Partitur zu komplex. Außerdem bedarf es einer Zutat, an der es den » Jungen « naturgemäß fehlen muß: jahrelanger, oft Jahrzehnte währender Erfahrung. Das hörte, wer Die Frau ohne Schatten genauer kennt: Immer wieder kam es an den ersten zwei Abenden zu unsicheren Einsätzen, manchmal zu laut, manchmal zu plump. Erst in der dritten Vorstellung führten die Holzbläser wie erwartet. Das große Cello-Solo im zweiten Aufzug war mir schon in den ersten zwei Vorstellungen zu breit im Ton und dennoch flach (auch wenn in der zweiten Vorstellung eine Steigerung festzustellen war). Am dritten Abend jedoch klang die Passage mehr geschrubbt denn gestrichen. So sollte ein Solo-Cello in Wien nie klingen … (Man mache die Probe auf’s Exempel und höre sich diese Passage in Aufnahmen über die Zeit an: z.B. Böhm 1955, Böhm 1977, Solti 1992, Sinopoli 1999, Thielemann 2019. Die Selbstverständlichkeit, mit welcher » die Alten « dieses Solo interpretierten, ging uns durch die Zeiten verloren.)

Kein Zweifel, in der Rückschau auf diese Saison werden jene Abende zu den wenigen Höhepunkten zählen. Dennoch soll nicht unterschlagen werden, daß bei aller Feinabstimmung der Orchesterstimmen, aller Agogik, des überlegten Spannungsaufbaus (für den Thielemann ja bekannt ist) in den ersten Vorstellungen Wünsche offen blieben. Erst in der dritten schien jenes Maß an Freiheit (und, nun ja, Zügellosigkeit) erreicht, welche eine Lesart erst auf das Niveau einer umjubelten Interpretation heben.

IV.
Andererseits … Andererseits lag es auch an den Thielemann an die Hand gegebenen Sängern. Deren Stimmen verfügen allesamt nicht mehr über die Technik jener Sänger, für welche Strauss einstens komponierte. Fast alle Stimmen klangen überanstrengt und — nicht zuletzt auf Grund gesangstechnischer Mängel — für ihre Partien unterbesetzt. Wir wurden über die Jahrzehnte daran gewöhnt, überforderten Stimmen zuzujubeln, weil wir nicht mehr wissen (und es — zugegeben — einen Großteil des Publikums und der kritischen Berichterstatter nicht interessiert), daß auch Strauss’ Opern legato zu singen wären.

Dem Sopran von Elza van den Heever fehlt es am stimmlichen Unterfutter. Ihre Stimme ist nicht kräftig genug, um, bei Lichte besehen, als Kaiserin bestehen zu können. Das Brustregister ist zuwenig ausgebildet, und als Folge klangen alle Höhen offen und hell: — ohne Deckung, ohne Verbindung mit der unteren Stimmfamilie. Van den Heevers Stimme klang laut, trug aber nicht. Diese Kaiserin sang mit hohem Krafteinsatz und den heute gebräuchlichen Unarten wie eingeschobene Silben (u-hu-unser Freu-heund) und der harten Betonung der Endlaute. Am deutlichsten wurde van den Heevers Überforderung im Melodram des dritten Aufzuges: Da trug die Stimme überhaupt nicht, von im Theater notwendiger Deklamation und Textgestaltung ganz zu schweigen. Engagiertes Spiel entschädigt in der Oper nicht für eine unzureichende vokale Gestaltung.

Ein Vergleichsangebot: Trude Eipperle als Kaiserin unter Ferdinand Leitner in Stuttgart, 1954: Auch bei Eipperle, die unter anderem 1942/43 die Zdenka in den Salzburger Sommeraufführungen der Arabella unter Clemens Krauss sang, hört man, daß die Kaiserin eine Grenzpartie für ihre Stimme darstellt. Dennoch ist es faszinierend zu hören, wie sauber Eipperle intonierte, wie sie (im Gegensatz zu van den Heever) die Höhen organisch und coperto in die Phrasen einband.

Der Fall des Kaisers ist von anderer Art: Andreas Schager setzte durchwegs auf Lautstärke, wo Differenzierung gefragt gewesen wäre. Die Stimme ließ bei gehaltenen Tönen ein ungesundes langsames Vibrato hören. Auch unterbrach Schager die Phrasen immer wieder, um Luft zu holen für das nächste, einzeln hervorgestoßene Wort. Kaum einmal gelang eine Phrase mit gleichbleibendem Stimmdruck, jede Höhe wurde mühsam erklommen. (Man höre sich Wolfgang Windgassen 1954 in dieser Partie an und staune, was an stimmlicher Gestaltung und sängerischem Können möglich war.)

» Die Frau ohne Schatten «, 1. Aufzug: Tanja Ariane Baumgartner (Amme), Elza van den Heever (Kaiserin), Elena Pankratova (Färberin) und die Damen des Staatsopernchors © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

» Die Frau ohne Schatten «, 1. Aufzug: Tanja Ariane Baumgartner (Amme), Elza van den Heever (Kaiserin), Elena Pankratova (Färberin) und die Damen des Staatsopernchors

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

V.
Leider ließ auch die Amme der Tanja Ariane Baumgartner viele Wünsche offen im Hinblick auf die gesangliche Gestaltung. Baumgartner ist kein dramatischer Mezzosopran, wie, vom Institut angepriesen, ihn Strauss für diese Partie vorsah. Das hörte man. Bereits in ihrem ersten Monolog (und noch mehr in ihrer letzten Szene mit dem soliden Geisterboten des Clemens Unterreiner) wurde man Baumgartners Grenzen gewahr: Die, sobald keine Verbindung mit der Mittellage hergestellt werden mußte, durchaus gefallende Bruststimme verlor sich direkt über dem passaggio komplett. Also Folge davon war zwar mehr vom Text zu verstehen als bei van den Heever, doch zu wenig, als daß hörend zu erfahren gewesen wäre, wovon die Rede ging. Auch in Baumgartners Fall hielt die Gesangsleistung nicht, was die schauspielerische versprach.

VI.
Elena Pankratova hatte ihre besten Momente in den ruhigen Szenen des ersten sowie am Beginn des dritten Aufzuges. Dort, in den piano-Passagen, hinterließ ihre Färberin gesanglich einen geschlossenen und somit günstigen Eindruck. Doch sobald Strauss der Partie dramatischere Momente oder größere Lautstärke abverlangte, verlor sich der Fokus von Pankratovas Stimme. Dann klangen die Höhen angestrengt, die Phrasen zerfielen, und die Textdeutlichkeit ließ oft zu wünschen übrig.

Nachdem Michael Volle nach zweimaliger Doppelbelastung mit dem Michele in Puccinis Il tabarro und dem Barak abgesagt hatte, fand das Institut innerhalb von zwei Tagen in Tomasz Konieczny adäquaten Ersatz. Volle, der in der zweiten Vorstellung der beste Sänger des Abends war, punktet im deutschen Fach mit seiner Diktion (und, beim Barak, mit manch schön gesungener Linie). Konieczny, nach einem konzertanten dritten Aufzug von Parsifal am Vorabend aus Madrid eingeflogen, war ein ein wenig textunsicherer und, vor allem im ersten Aufzug, auf Sicherheit bedachter Färber. Doch will mir scheinen, daß Koniecznys Fähigkeit, auf Linie zu singen, jener Michael Volles überlegen ist. Auf der Soll-Seite stehen des öfteren angeschliffene Höhen und, für viele, des Polen starker Akzent im deutschen Fach. Auch waren vokale Ermüdungserscheinungen im dritten Aufzug nicht zu leugnen. Doch überwiegt die Dankbarkeit für Koniecznys kurzfristiges Einspringen. Er rettete dadurch den Abend mit einer bewundernswürdigen Leistung.

VII.
Diese dritte Vorstellung der Serie: ein wertvoller Abend. Ein instrumentales Fest; — dank Christian Thielemann und dem Staatsopernorchester.

125 ms