»Macbeth«, 3. Akt: Die große Scene der Hexen (Damen des Wiener Staatsopernchors) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Macbeth«, 3. Akt: Die große Scene der Hexen (Damen des Wiener Staatsopernchors)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Giuseppe Verdi: »Macbeth«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Es ist schon erstaunlich, wofür Spielvögte heutzutage bezahlt werden: Christian Räth und sein Team zum Beispiel: Räth beansprucht Autorenschaft an Franceso Maria Piaves und Verdis Werk. Dabei wäre seine Aufgabe, als Interpret im Geist der Schöpfer wirken. Die Trumpfkarte von der »Freiheit der Kunst«: Sie ist der Offenbarungseid der Verantwortlichen. Doch noch immer verfehlt sie ihre Wirkung auf’s Feuilleton nicht.

II.
An der musikalischen Front sieht es leider nicht besser aus: James Conlon am Pult des willig folgenden Staatsopernorchesters bewegt rhythmisch die Arme. Gestaltenden Einfluß auf das mu­sikalische Geschehen nimmt er nicht. Da klingt vieles derb, zu laut, zu ungenau. Da vernimmt selbst der Laie die Schwebungen im Orchester, in dessen Zusammenwirken mit der Bühne, beim Staats­opern­chor. Schon beim den Abend eröffnenden Hexenchor »Che faceste? dite su!« sind die unterschiedlichen Meinungen in der Hexenschaft gut hörbar. Auseinander ist man auch bei den appa­razioni zu Beginn des dritten Aktes. Doch die eine oder andere verschluckte oder hastig her­vor­ge­stoßene Silbe macht’s wieder gut.

Gleiches gilt für den in seiner musikalischen Komplexität weit über Verdis Zeit hinaus wei­sen­den Chor »Patria oppressa«. Zumeist Glanzstück einer Wiener Macbeth-Aufführung, sind die Damen und Herren des Chores an diesem Abend nicht immer einer Meinung. Wie sollten sie auch, wenn sie keine Zeichen vom Pult empfangen?

»La patria tradita«, das Ensemble zum Abschluß des Bildes, dröhnt durch’s Haus. Faszinierend, wie leicht man — laut Libretto, nicht Räth’s Darstellung — geflohene, unterdrückte und frie­rende Menschen zum Brüllen animieren kann, wenn man nur mit einem Messer und einem blutigen Bettlaken vor ihren Augen herumfuchtelt… Welche Könnerschaft spricht doch nicht aus solch sze­ni­schem Tun zu uns, dem Publikum!

Die musikalische Qualität des Abends überrascht jedoch nicht: zumindest jene nicht, welche Conlon im Jänner 2014 bei den I due Foscari im Theater an der Wien werken hörten: zu derb, zu laut, zu ungenau. Zufälle gibt’s…

III.
Lukhanyo Moyake läßt als Malcolm stimmlich keinen Zweifel daran, daß das Morden auf Schottlands Thron weitergehen wird. Musikalisch so kraftlose Herrscher halten sich in der Regel nicht lange, wenn sich die schützende Hand zurückzieht. Ähnliches steht für den Macduff Jinxu Xiahous zu vermuten: Die »Geheimwaffe« der Direktion ist stumpf geworden, ehe sie groß­flächig zum Einsatz gelangte… Denn Xiahous Stimme klingt rauh an diesem Abend; ver­spannt; der Ton schnarrend, das legato verbesserungswürdig. Dieser Macduff singt mit großem Krafteinsatz. All das weist auf gesangstechnische Defizite hin. Gewiß, Xiahous Tun reicht hin — für einen comprimario; doch niemals für einen ersten Sänger an einem inter­natio­nal bedeutenden Haus.

»Macbeth«, 2. Akt: In Christian Räths Scene erscheinen die Hexen  (Damen des Wiener Staatsopernchors) Macbeth (George Petean), während dieser allein in seinem Bett liegt. © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Macbeth«, 2. Akt: In Christian Räths Scene erscheinen die Hexen (Damen des Wiener Staatsopernchors) Macbeth (George Petean), während dieser allein in seinem Bett liegt.

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

IV.
Ferruccio Furlanetto ist, wie bereits in der Première, Banquo. Überrascht die Nachricht, daß hier einer der wenigen verbliebenen Bässe auf unseren Opernbühnen zu Werke geht? Daß Furlanetto der einzige Sänger ist an diesem Abend, mit intaktem legato? Gewiß, die Stimmkraft läßt bereits nach. Doch was manche an Stamina vermissen, macht der Italiener durch die mu­si­ka­lische Durchdringung der Partie wett. Dafür, daß Conlon schleppt und Furlanetto in »Come dal ciel precipito« hängen läßt, kann der Sänger nichts.

V.
Über weite Strecken stimmlich enttäuschend auch der Macbeth des George Petean: Denn Verdi zeichnet Macbeth zwar musikalisch als schwachen Charakter, nicht aber als jenen Pan­tof­fel­helden, zu dem ihn der Spielvogt degradiert. Dies stimmlich zu vermitteln: Es wäre die Aufgabe. Doch Petean gelangt kaum über eine nebulose musikalische Zeichnung Macbeths hinaus. Das wird schon im dritten Bild, bei »A me precori«, hörbar. Manifestiert sich in fehlendem legato, in der Flucht ins falsetto im finalen Sextett des ersten Aktes. Und läßt sich spä­tes­tens bei »Pietà, rispetto, amore« auch vom geneigtesten Anhänger nicht mehr leugnen. Merke: Der alleinige Einsatz der Kopfstimme weist — ausgenommen zur Erzielung eines theatralischen Effekts — im Operngesang bei Tenor, Bariton und Baß auf gesangstechnische Defizite hin.

Allerdings… 

VI.
... allerdings klingt Peteans Stimme intakt im Vergleich zu jener der Lady. Tatiana Serjan greift an diesem Abend tief in die Trickkiste, um zu retten, was doch nicht zu retten ist: Bereits in »Vieni! t’affretta!«, der großen Szene der Lady Macbeth zu Beginn des Abends, werden die Spit­zen­töne durch falschen portamento-Einsatz von unten her angepeilt: um im Ende doch hör­bar verfehlt zu werden. Verdi schreibt, ebenso wie in der sich anschließenden cabaletta »Or tutti sorgete« über weite Strecken piano oder pianissimo vor. Doch Serjan nimmt ihre Stimme an die­sem Abend kaum ins mezzoforte zurück. Die Spitzentöne erklingen scharf, wie abgesetzt, der Ein­satz der Bruststimme bleibt einigen wenigen Stellen vorbehalten (und klingt dann wie ge­spro­chen). Überall sonst zieht Serjan die Kopfstimme so weit wie möglich ins passaggio hinunter. Offenbar lassen sich die beiden Stimmfamilien nicht mehr übergangslos miteinander verbinden.

VII.
Wer bereit war, aufmerksam zuzuhören, wird nicht umhinkönnen, den Zustand des Verdi-Gesangs auf unseren Bühnen zu beweinen. (Denn ein Schelm, wer denkt, andernorts gelänge dies besser.)
Aber die Hauptsache ist ja auch in der Kunst, daß man gesund ist und keine Kopfschmerzen hat.

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