Leoš Janáček:
»Kát’a Kabanová«
Wiener Staatsoper
Von Thomas Prochazka
II.
André Engel verlegte die Handlung ins New York der russischen Auswanderer. Läßt sie dort von der Wolga träumen und bietet trostlose Ziegelhöfe, wo von weitläufigen Gärten mit Büschen und Toren gesungen wird. … Fortwährender Widerspruch von Gezeigtem und Gesungenem also, wie’s heutzutage Brauch auf unseren Bühnen.
Allerdings: Gestern abend störte das nicht. Denn da stand Graeme Jenkins am Pult und entlockte dem Staatsopernorchester einschmeichelnde Kantilenen, nur um gleich darauf wieder schroffe Akkorde übereinanderzutürmen. Da sang und spielte ein homogenes Ensemble, mit Ausnahme von Janina Baechle und Evelyn Herlitzius allesamt Mitglieder des Hauses.
III.
Begonnen hatte der Abend ein wenig verhalten, wechselte Janina Baechles Mezzosopran mehrmals inmitten der Phrasen die Farbe. Baechle zeichnete die Kabanicha nicht so böse, so gemein, wie eine Jane Henschel es tat. Bei Baechle entstand die Bosheit der Figur durch den Text, nicht durch Stimme und Spiel. Kein offen ausliegender Zug zum Niedrigen.
Wolfgang Bankl verkörperte den Kaufmann Dikoj, mit vollem Baß und tragender Stimme. In Engels Scene dem Sadomasochismus ergeben, wo doch Janáček den beiden eine Beziehung zugedacht hatte.
IV.
Der Chilene Leonardo Navarro sang und spielte einen am Rockzipfel der Mutter hängenden Tichon. Was Kát’a je an ihm gefunden hatte, um seine Frau zu werden: Gestern abend wurd’s nicht klar. Navarro blieb vor allem im zweiten und im fünften Bild zu unauffällig. Da wäre seiner Kát’a mit mehr Spielfreude gedient gewesen.
V.
»Seine« Kát’a: Evelyn Herlitzius, zum ersten Mal in Wien als Kát’a Kabanová zu erleben, lieferte die bemerkenswerte Studie einer Frau, welche in übergroßer Liebe zu ihrem Mann die fortwährenden Erniedrigungen der Schwiegermutter erträgt. Was die gesangliche Gestaltung betrifft, scheiden sich bei Herlitzius die Geister: Wer ihren stimmlichen und schauspielerischen Einsatz schätzt, hört über manche scharf gesungene Phrase hinweg. Anhänger des Schöngesangs werden ebendiese Expressivität als Mangel anmerken.
Sei es, wie es sei: Herlitzius ließ die Besucher teilhaben an Kát’as hündischer Liebe zu Tichon, ihrer Unsicherheit gegenüber Boris, ihrem Zögern ob der Schicklichkeit des Kommenden, ihrer Verzweiflung nach dem Eintreten des Fatums, ihrem öffentlichen Zusammenbruch.
VI.
Nach der Absage Tomislav Mužeks hatte Herbert Lippert die Partie des Boris übernommen. Und Lippert machte seine Sache über alle Maßen gut. Der Boris verlangt nicht so große Ausbrüche wie beispielsweise der Paul in Korngolds Die tote Stadt, kommt daher Lipperts Art zu singen entgegen. Daß der Boris, obwohl in Engels Umsetzung unter der Knute seines Onkels (im Libretto macht Dikoj seinem Neffen Vorhaltungen wegen dessen angeblicher Arbeitsunwilligkeit), interessanter gestaltet werden kann, um Kát’as Meinungsumschwung glaubhafter darzustellen … gestern tat es nichts zur Sache.
VII.
Margaret Plummer (Varvara) und Carlos Osuna (Kudrjáš) zeigten dem »hohen Paar«, wo die Liebe wohnt, Marcus Pelz (Kuligin), Alexandra Yangel (Glaša) und Simina Ivan (Fekluša) komplettierten das Ensemble.
VIII.
Die gestrige Vorstellung war nicht ohne Fehl — das gewiß nicht. Aber: Die Ensemble-Leistung sowie Graeme Jenkins am Pult des spielfreudigen Staatsopernorchesters sorgten für einen spannenden und kurzweiligen Opernabend einer viel zu selten gespielten Oper.