»Don Carlo«, 4. Akt: Anja Harteros (Elisabeth de Valois) und René Pape (Filippo II.) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Don Carlo«, 4. Akt: Anja Harteros (Elisabeth de Valois) und René Pape (Filippo II.)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Giuseppe Verdi: »Don Carlo«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Der Abend hielt, was die Papierform versprach. Das ist mehr, als der Opernfreund gemeinhin erwarten darf. Daß Abstriche zu machen sind gegenüber den ganz Großen, den uns Hinabgeschwundenen, darf nicht verwundern angesichts des Zustands des heutigen Opernbetriebes. Doch dies beiseitegeschoben, konnte man’s zufrieden sein.
(Im näheren Verlaufe der Begebenheiten wird das alles klar werden.)

II.
Es begann mit einem gänsehautzaubernden Präludium. Der Horngruppe des Staats­opern­orchesters und Jonathan Darlington, im Haus am Ring zum ersten Mal für Don Carlo musikalisch begleitend zuständig, sei Dank. Darlingtons Interpretation klingt erdig, doch nicht rauh. Selbstbewußt, doch nicht selbstverliebt. Ein wenig gravitätisch; doch nicht zu langsam. Ausgenommen vielleicht im großen Duett Filippo II./Rodrigo im zweiten Akt: Als René Pape gestikulierte, ein bisserl schneller dürfe es schon sein. (Solche Dinge passieren.) Doch Verdis Musik gelangte zu ihrem Recht. (Das ist nicht selbstverständlich.)

Auch der Chor der Wiener Staatsoper präsentierte sich in sehr guter Verfassung. (Den schleppenden Einsatz zu Beginn des auto-da-fé ausgenommen.)

III.
Es ging weiter mit einem gänsehautzauberndem Frate/Carlo V., gesungen von Jongmin Park, der nur beim abschließenden tiefen ›fis‹ ein wenig schwächelte. Die dunkelste Baßstimme des Abends; doch eigentlich ein Grande Inquisitore. Danach war man bereit, das Schicksal der »Königskinder« zu verhandeln.

»Don Carlo«, 3. Akt: Fabio Sartori als Don Carlo © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Don Carlo«, 3. Akt: Fabio Sartori als Don Carlo

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

IV.
Die »Königskinder«: Fabio Sartori als Don Carlo bei seinem Wiener Rollen-Debut, Anja Harteros als Elisabetta di Valois, wiederkehrend. Sartoris Gesang folgt der guten, tradi­tio­nellen italienischen Schule: Es gibt keinen Bruch im passaggio, die Stimme behält ihr dunkles Timbre bis in die höchsten Regionen. Nur mehr an kleinstimmige Tenorinos gewöhnt, klingt uns Sartoris manchmal etwas ungestüme, aber kraftvolle Stimme ungewohnt. (Mehr delicatezza geht immer.) Trotzdem: Mir ist ein kraftvoll gesungener Don Carlo lieber als ein die piani mit Kopfstimme säuselnder.

V.
Sartoris Stimme klingt nur ein wenig heller als jene von Simon Keenlyside, dem Rodrigo des Abends. Keenlyside bestreitet den marchese di Posa mit hörbarem Krafteinsatz, doch mit dem ihm eigenen Charme. Keenlyside ist immer die darzustellende Figur. Es ist schwer festzumachen, wo Rodrigo endet und Simon Keenlyside beginnt. Wenn er sich im Duett mit Filippo II. an den Kopf greift; wenn er das große Duett mit Don Carlo singt: Wieviel Rodrigo steckt da in Simon Keenlyside? Ja, er transponiert den einen oder anderen Spitzenton. Ja, das legato funktioniert nicht (mehr) so wie bei den großen Baritonen früherer Sän­ger­gene­ra­tionen. Ja, die hohen Töne verlangen ihm besondere Konzentration und Anstrengung ab. Aber Keenlyside hält klug haus mit seinen Kräften, um sein Publikum bei »Per me giunto« und »Io morrò« nicht zu enttäuschen.

VI.
Und: Keenlyside ist präsent, sobald er die Bühne betritt. Das erfährt auch die Eboli der Elena Zhidkova. Zhidkova präsentiert sich — vor allem zu Beginn des Abends — in sehr guter stimmlicher Verfassung. Und sie sieht hervorragend aus: jeder Zoll eine Principessa Eboli. Das Sarazenenlied »Nei giardin del bello saracin ostello« erklingt mit schmal geführter, gesund klingender Stimme, Margarita Gritskova assistiert als nicht weiter auffälliger Tebaldo. Nur bei den die Strophen abschließenden Koloraturen singt diese Eboli ihre eigene Fassung, enthält uns die hohen ›a‹ vor… Aber auch Zhidkova ist eine starke Persönlichkeit. Leider vermag sie im vierten Akt das Niveau vom Beginn des Abends nicht zu halten: »O don fatale« gebricht es denn an der notwendigen Stringenz, selbst wenn die ihre Szene beschließenden Phrasen »Ah! Un dì mi resta« ihren Eindruck auf das Publikum nicht verfehlen. — Viva Verdi.

»Don Carlo«, 2. Akt: Elena Zhidkova (Principessa Eboli) und Margarita Gritskova (Tebaldo) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Don Carlo«, 2. Akt: Elena Zhidkova (Principessa Eboli) und Margarita Gritskova (Tebaldo)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

VII.
René Pape ist ein verdienstvoller Filippo II. und zählt heute zu den besten Rollenvertretern. Allerdings scheint er mir als Gurnemanz besser aufgehoben. Papes gestrige Leistung: nicht ganz zufriedenstellend; doch das auf hohem Niveau. Im Duett mit Rodrigo schienen sich beide nicht wohl zu fühlen auf der Bühne. Der Anspruch auf den Respekt der Position des Königs fehlte mir da stimmlich. Ganz anders dann sein Auftritt beim auto-da-fé: kraftvoll, gebietend. (Auch wenn ihn Daniele Abbados Spielanleitung im Angesicht von Don Carlos Dolch wie einen Tölpel aussehen läßt, die Gesandten wie die Ölgötzen herumstehen müssen, anstatt den König zu schützen: Das Unwesen der Spielvogte begegnet einem eben auf Schritt und Tritt.) 

»Ella giammai m’amò!« beginnt in Papes Interpretation seltsam abwesend, als müsse er sich nach der Pause erst wieder ins Geschehen finden. Da will die Stimme nicht recht ansprechen, obwohl Verdi neben piano nur »come trasognato« vorschreibt, nicht etwa mezza voce. Papes Stimme fängt sich erst bei »No, amor per me non ha!«. Bei »Dormirò sol« kicksen die Hörner des Staatsopernorchesters, wie um sich in Erinnerung zu rufen. Und weil einmal kein Mal ist, tun sie es beim zweiten Mal ebenso… Auch das Violoncello-Solo ließe sich mit weniger Druck und schönerem, ergreifenderem Klang singen; — wenn man’s denn vermochte. Pape jedenfalls setzt beim hohen, in fortissimo zu singenden ›d‹ in »di leggere nei cor« auf die Kopfstimme. Das gelingt leidlich, doch ohne den vom Komponisten intendierten, starken Effekt.

VIII.
Dmitry Ulyanov beging mit dieser Vorstellung sein Wiener Rollen-Debut als Il Grande Inquisitore. Seine Stimme klang spröder als Papes. Im Timbre waren die beiden allerdings zu ähnlich und zu hell, als daß man sich der Schwärze der Stimmen wegen mit Grausen wendete ob der zur Verhandlung anstehenden Dinge.

IX.
»Tu che le vanità«, die große, den letzten Akt einleitende Szene der Elisabetta, stellte schon viele Soprane vor (fast) unlösbare Herausforderungen. Anja Harteros bildet da keine Ausnahme. Harteros, von der Anlage her ein lyrischer Sopran, singt mit der Elisabetta di Valois eine Spinto-Partie und hörbar außerhalb ihrer Fachgrenzen.1 Sie tut das allerdings den ganzen Abend hindurch mit einem Willen zur vor allem stimmlichen Gestaltung, der einem Bewunderung abringt. Harteros findet — trotz ihrer stimmtechnischen Mängel — Möglichkeiten, uns an den Leiden dieses Königskindes, allein an einem fremden Hof, teilhaben zu lassen. Das ist keine geringe Leistung.

X.
Verdis Don Carlo enthält keine Note zuviel. Man sollte sich selbst ein Bild davon machen.

  1. Renata Tebaldi, einer der großen Spinto-Soprane des 20. Jahrhunderts, meinte einmal, sie verstehe nicht, wie lyrische Soprane — Tebaldi nannte Mirella Freni — sich an eine Elisabetta di Valois wagen können, wo doch sie selbst diese Partie nur im Plattenstudio, nicht jedoch live gesungen habe. Im selben Gespräch konzedierte Tebaldi Freni allerdings, daß diese es dank des intelligenten Einsatzes ihres Materials schaffe, solche Ausflüge stimmlich unbeschadet zu überstehen.

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