»Tosca«, 1. Akt: Das Te Deum in Sant’Andrea Della Valle © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Tosca«, 1. Akt: Das Te Deum in Sant’Andrea Della Valle

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Giacomo Puccini: » Tosca «

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Das Interessante am Repertoire-Theater: in bekannten Inszenierungen immer wieder Neues entdecken. An diesem Abend mit bewährten Kräften — und ein, zwei Überraschungen.

II.
Clemens Unterreiner sang und spielte — darin lag ja von jeher seine Stärke — einen dem Maler Mario Cavaradossi ebenbürtigen Cesare Angelotti. Gut zu hören, mit Kern in der Stimme und immer wieder bewundernswertem Willen um eine glaubhafte, auch aus der Stimme geborene Rollengestaltung.

Wolfgang Bankl schloß in der Partie des Sagrestano an seine ur-österreichischen Vorfahren Erich Kunz und Alfred Šramek an. Auch er zählt zu den Stützen des Ensembles, bleibt jederzeit verständlich. Bei Bankl sitzt jede Phrase. Er weiß Hoppalas in witzige szenische Details zu wandeln. Herrlich die Bigotterie dieses Sagrestano, wenn er sich über den für den Maler bestimmten Chianti hermacht! Allein der Ruf zum Angelus-Gebet sowie das Erscheinen des Ca … Ca … Cavalliere Cavaradossi vereiteln die Umsetzung des Vorhabens. Eine Gustostückerl auch, wie Bankl Pinsel und Tuch fallen ließ, als Barone Scarpia einschüchternd Antwort forderte.

III.
Es war: Bryn Terfel. Auch er — man hörte es — ein Veteran in (nicht nur) dieser Partie, aus jahrzehntelanger Bühnenerfahrung reiche Ernte schöpfend. Der Waliser lieferte eine beeindruckende Leistung: Keine Sekunde muß er in den Bühnenbildern von Nicola Benois und den Resten der Inszenierung Margarethe Wallmanns über seine Handlungen nachdenken. Es steht ja alles in der Partitur. Es ist alles eingegraben in dieses Sängers Gedächtnis. Da sitzt jede Geste.

In den letzten Jahren schon waren bei Terfel stimmlich einige Abstriche zu machen: Das legato funktioniert nicht mehr uneingeschränkt: Das (eigentlich zu singende) hohe ›ges‹  bei T’ho giurata mia! Mia! transformiert er mit einem Ausruf animalischer Begierde in überzeugendes Spiel. Auch das Te Deum (überzeugend: der Staatsopernchor) hatte in der Vergangenheit kraftvoller geklungen. Doch die grandezza, mit der dieser Barone Scarpia Floria Tosca die Hand bot, sich zu erheben, ihr diese küßte, ehe die gefeiertste Sängerin Roms Sant’Andrea Della Valle verließ (Tre sbirri … Una carozza …), die auch stimmlich dargestellte, schwer bezähmte Begierde nach dieser Frau — das war lange nicht mehr in dieser Intensität zu erleben.

IV.
Maria Agresta gab in dieser Serie ihr Wiener Rollen-Debut als Floria Tosca. Anders als viele ihrer Rollenvorgängerinnen in den letzten Jahren — vielleicht mit Ausnahme von Saoia Hernández — verfügt Agrestas Stimme über einen Kern. Gelänge es ihr, ihre Stimme den ganzen Abend über wie im ersten Akt technisch sauber zu führen, wir erlebten eine Tosca in beeindruckender Qualität. So geriet das große Liebesduett mit Mario Cavaradossi zu Agrestas persönlichem Höhepunkt des Abends. Im zweiten und dritten Akt waren stimmlich doch einige Abstriche zu machen — Vissi d’arte inklusive. Da wäre mehr an gesanglicher Gestaltung, vor allem rhythmischer Differenzierung, wünschens- und lohnenswert gewesen. Im finalen Duett mit ihrem Mario schien es dieser Floria Tosca bereits an Kraft zu mangeln, ihre Spitzentöne organisch aus der Mittellage zu entwickeln: Sie klangen oft schrill und abgesetzt.

V.
Agrestas Mario Cavaradossi, Piotr Beczała, ließ sich davon nicht beirren. In Recondita armonia schien mir Beczałas Stimme noch belegt; — trotz bereits hier sehr guter Linienführung und beeindruckender Höhe. Erst im Duett mit Tosca sang er sich frei. Die Stimme des Polen enthält nicht viel Metall, verleugnet ihre Herkunft aus dem lyrischen Tenorsegment keineswegs. Doch dieser Ex-Romeo erarbeitete sich in den letzten Jahren so manche Zwischenfachpartie, ohne daß seine Registerwechsel brüchig wurden. Die Spitzentöne erklomm er, wo in die Phrasen eingebunden, organisch, ohne daß ihnen jenes Marktschreierisches innewohnte, das andere Vertreter von Beczałas Stimmfach wie ein Banner vor sich hertragen. Nur die eine oder andere (zu) hell klingende Phrase ließ erahnen, daß diese Stimme bei Anstiegen im piano zum Ausdünnen des Tones neigt.

Beczała gestaltete E lucevan le stelle als emotionalen par force-Ritt, vom pianissimo des Beginns bis zur im forte ausgedrückten Verzweiflung. Ohne daß immer wieder zu hörende (und irrigerweise als Gestaltungsmerkmal gefeierte) Säuseln im falsetto; dafür mit gesanglich gestalteter Wucht der Erinnerung: Con grande sentimento schrieb Puccini über die bis zum ›f‹ und damit durch das passaggio aufsteigende Phrase Oh! dolci baci, o languide carezze … Im Finale schließlich erinnerte Beczała an das längst vergessene Gestaltungsmerkmal des tempo rubato, hielt die langen Noten sicher forte — und erzeugte so jenen Effekt, jene Dynamik, die das Publikum nach einer — auch gewährten — Wiederholung verlangen ließ.

VI.
Giampaolo Bisanti überraschte mich mit einer dynamisch differenzierten Wiedergabe des Notentextes, als nach den letzten Abenden zu erwarten stand. Nicht, daß der gebürtige Mailänder nicht zu oft immer noch zu laut spielen ließe; nicht, daß diese Partitur nicht nach jener musikalischer Gestaltung verlangte, deren Vorhandensein den Handwerker vom Künstler scheidet. Doch diesmal überwog der günstige Eindruck. Wie nahe Licht und Schatten doch beieinander liegen, war im dritten Akt zu hören: Nach einem grob gespielten Violincello-Solo sang die Klarinette fast so fein wie zu Ernst Ottensamers Zeiten …

94 ms