» Werther «, 4. Akt: Clémentine Margaine (Charlotte) und Juan Diego Flórez (Werther) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

» Werther «, 4. Akt: Clémentine Margaine (Charlotte) und Juan Diego Flórez (Werther)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Jules Massenet: » Werther «

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Was bleibt haften von diesem Abend, nachdem die zeitweilige Empfindung der Enttäuschung geschwunden ist? Der freie Blick auf eine jener » Nicht-Aufführungen «, die uns mit dem Gefühl des Nicht-Erlebten zurücklassen.

Auf Sänger, denen ihr Bemühen gar nicht abgesprochen werden soll. Auf eine musikalische Darbietung, die im Ungefähren verweilt; die keine (wie auch immer geartete) Emotionen ob des vor unseren Augen ablaufenden Dramas wachzurufen vermag, mit oder ohne Konsultation der vom Geschehen ablenkenden Untertitel.

II.
Bar jedes musikalischen Zaubers tritt uns der Irrtum, Andrei Serban habe vor 17 Jahren mit dieser Inszenierung eine bedenkenswerte Deutung von Massenets Oper vorgelegt, vors Auge. Ohne eine dem Werk adäquate musikalische Leitung, ohne vokale Glanzlichter, ohne deren schützenden Halbschatten blicken wir auf die Armseligkeit des Mißverständnisses der Verlegung von den 1780-er in die 1950-er Jahre mit ihren veränderten gesellschaftlichen Konventionen: Ossian? Duellpistolen? … Das ist, bei Licht besehen, nicht besser als vieles, welches uns in den Jahren danach widerfuhr.

III.
Die nimmermüde Anpreisungsmaschinerie des Institutes teilte mit, daß Giacomo Sagripanti » einer der international interessantesten Dirigenten seiner Generation « sei. Kann man auch einer der national » interessantesten Dirigenten seiner Generation sein? « Wenn ja, wie? Und worin läge der Unterschied? — Nun, denn: Noch nie in meiner Erinnerung ward eine Aufführung von Werther so langweilig, so undifferenziert, so seelenlos exekutiert. (Den Sängern keine Hilfe, dem Abend Verderben …) Die klangliche Abstimmung im Orchester gelangte jedenfalls selten über das Niveau einer ersten Lesung vom Blatt hinaus. Und wer hätte gedacht, daß Cello-Soli im Haus am Ring so hölzern, so hart, so nach Überforderung klingen können?

IV.
Um die vokale Seite des Abends war es wenig besser bestellt. Fast durchwegs ließ das Verständnis für die französische Sprache missen: viel zu hart klang das, als man's gesungen hören wollte, und oftmals nasal. Kaum einmal gelang eine Phrase, und wenn, war solches öfter dem Zufall geschuldet denn dem Wollen. Doch hat man als Berichterstatter keine Wertung des Eifers vorzunehmen.

Clémentine Margaine hat für diese Vorstellungsserie erstmals die Charlotte an der Wiener Staatsoper übernommen. Ihr durchwegs kraftvoller, mitunter dunkel klingender Mezzosopran ließ freilich eher Gedanken an eine allen gesellschaftlichen Konventionen abholde Südspanierin aufkommen. … Solch vokaler Eifer läuft jedoch den Intentionen des Komponisten, dem Charakter der von Edouard Blau, Paul Milliet und Georges Hartmann geschaffenen, der den Konventionen ergebenen Charlotte zuwider. Zumal, wenn die vokale Präsentation uneinheitlich, der Stimmdruck je nach Silbe stärker oder schwächer ist, die Höhen oft mit breiter, unfokussierter Stimme angesteuert werden. Jedenfalls hob sich, sosehr der Mann am Pult auch darauf wartete, nach Ces lettres! … ces lettres!… keine Hand im Rund.

Etienne Dupuis gab einen stimmlich eher gutmütigen Albert; ohne allzu große Höhepunkte (vokal wie darstellerisch). Er erfüllte solide die undankbare Aufgabe des Hindernisses der Verbindung zwischen Charlotte und Werther. Doch weiß ich bis jetzt nicht, ob, und wenn ja, welche Gefühle er wider den schwärmenden Liebhaber seiner Frau hegte. Das vermochte ich Dupuis’ stimmlichem Tun nicht abzulauschen.

Einzig sein Ärger wider die um den Dichter buhlende Sophie just in dem Augenblick, als er den Widersacher aus der Stadt zu senden im Begriffe war, wurde deutlich. Slávka Zámečníková siedelt die Sophie stimmlich irgendwo zwischen Hila Fahima und Daniela Fally an. Den — einst auch gesanglichen — Liebreiz einer Ileana Tonca, geschweige denn jenen einer Germaine Feraldy mit ihrem sauber geführten, glockenhellen Sopran, erreicht Zámečníková in ihrer gesanglichen Rollenauffassung in keinem Takt. Dem Couplet Frère! voyez! ... Du gail soleil mangelt es ebenso an innerer Geschlossenheit, an vokaler Gestaltung (nicht nur im finalen hohen Sopran-›a‹) wie der Szene mit Charlotte im dritten Akt.

V.
Juan Diego Flórez fand bei seinem zweiten Auftritt als Werther an der Wiener Staatsoper in keiner Minute zu einer befriedigenden gesanglichen Leistung. Von der zweiten Phrase an mit kurzem Hals, den Kopf nach vorne geneigt, wurde hörbar, daß Flórez versuchte, der Stimme mehr Volumen, einen dunkleren Klang abzupressen. Doch damit änderten sich Stimmdruck und Stimmfarbe immer wieder innerhalb einer Phrase, ging die gesangliche Linie zu oft verloren, als daß wissende Opernfreunde darüber hinweghören können. Nahm die Stimme einen nasalen Klang an. Wollte sich, aufgesetzt klingender Jubel hin oder her, selbst in Pourquoi me réveiller nicht jenes freie Schwingen des Tones einstellen, das für eine gute Gesangsleistung unabdingbar ist.

So liegt der Fall.

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