»Halka«, 1. Akt: Ensemble-Szene mit den Tänzern © Theater an der Wien/Monika Rittershaus

»Halka«, 1. Akt: Ensemble-Szene mit den Tänzern

© Theater an der Wien/Monika Rittershaus

Stanisław Moniuszko: »Halka«

Theater an der Wien

Von Thomas Prochazka

Das Theater an der Wien bleibt auch in Roland Geyers vorletzter Saison seiner Tradition treu, interessante Werke in nichtssagender, dummer Szene zu präsentieren. Das ist diesmal besonders schade, denn es gäbe eine musikalische Entdeckung zu machen.

II.
Halka ist eine Koproduktion mit dem Teatr Wielki Opera Narodowa Warschau. Mit einem polnisch dominierten Leading Team. Mariusz Treliński verlegte die Produktion in die 1970-er Jahre. Jene Zeit, an die wir uns der ausgestellten Minikleider und Glockenhosen wegen erinnern, der Plateau-Stiefel aus Lackleder, der Bolero-Jäckchen, der Hemden mit psychedelischen Mustern und großen, spitzen Kragen. An Agneta und Anni-Frid, an Benny und Björn, kurz: ABBA. Aber sonst? 

III.
Nichts war es also mit Halka, der Oper, wie von Włodimirez Wolski und Stanisław Moniuszko ersonnen. Stattdessen wurde uns Janusz als Trinker vorgestellt, Polizisten vermaßen einen Tatort, der Truchsess Stolnik ward zum Hotelbesitzer, die Bauern sowie große Teile der Hochzeitsgesellschaft zum Hotelpersonal mit Kellnern und Stuben­mädchen/Servie­rerinnen. Was an Paaren der Hochzeitsgesellschaft übrig blieb, tanzte in Kostümen à la ABBA im Disco-Stil jenes Jahrzehnts der verlorenen Hoffnungen…

Die zentrale Frage nach Schuld und Sühne, nach manisch sich verzehrender, unglücklicher Liebe und ihren selbstzerstörerischen Folgen (heute ritzen sich die Teenager mit Rasier­klingen), nach der Hilflosigkeit der Ange­hörigen/Lie­ben­den: Sie wurde nicht verhandelt. Stattdessen beobachteten wir eine Geschichte, zu welcher — weil es sich so ergab — Moniuszkos Musik zu Halka erklang.

Boris Kudlička schuf mit Hilfe der an diesem Abend kaum jemals stillstehenden Drehbühne sich immer wieder ändernde Orte in wenig Weiß, viel Grau und noch viel mehr Schwarz. Einzig Halkas Fähnchenkleidchen leuchtete, als sie noch Hoffnung in sich trug, smaragdgrün unter ihrem kurzen, billig aussehenden Trenchcoat. Dorothée Roqueplo fand sicher, daß diese Kostüme gut gelungen waren.

Wenn Janusz Jontek im Finale des zweiten Aktes Geldscheine in die Hand drückt, damit letzterer Halka vom Fest auf Stolniks Schloß wegführt, sein Leibeigener aber die Hände locker in die Hosentaschen gesteckt hat; wenn anstelle der Polonaise und der Mazurka »disco fever« geboten wird; wenn Halka ihr Kind von Janusz in der Hotelküche gebiert, zwischen den Beinen blutüberströmt gezeigt wird; wenn all das nichts, aber auch wirklich nichts mit der zu erzählenden Geschichte zu tun hat: Darf man dann die szenische Seite des Abends als gründlich mißlungen bezeichnen?

IV.
Doch was war mit der Musik? Den Sängern? — Tomasz Konieczny gab den Janusz, nach Wolskis Libretto ein Gutsherr. Im Begriff, Zofia, die Tochter Stolniks, zu ehelichen. Konieczny ließ einen kräftigen, doch oftmals rauh klingenden Bariton hören. Schwächelte zuweilen in der Höhe; vor allem, wenn diese im piano zu erklimmen gewesen wäre. Wer darauf gesetzt hatte, daß das Polnische Konieczny bei der stimmlichen Gestaltung zupaß komme: Er zog gewiß enttäuscht von dannen.

V.
Corinne Winters sang die Halka; mit all jenen gesanglichen Defiziten, welche heute offenbar in der Ausbildung vermittelt werden: Ihr Sopran klang hart. Die Stimme änderte je nach Tonhöhe die Stimmfarbe, hörte sich in der Höhe verspannt, scharf an; die tiefe Lage abgesetzt. Kaum einmal vermochte Winters auf Linie zu singen: Halka beherrschte Winters. (Das war es.) Raum für eine aus der Musik erwachsende Gestaltung der Partie blieb da nicht. Doch was wäre allein Halkas großer Szene im Finale des Abends abzugewinnen gewesen...

VI.
Der Stolnik des Alexey Tikhormirov — war rollendeckend. Wenig mehr. Aber auch nicht weniger. Dies kann ich von Natalia Kawałek als Zofia leider ebensowenig berichten wie vom Dziemba des Łukasz Jakobski, Stolniks Majordomus, bei Treliński der Restaurant-Chef in Stolniks Hotel. Die letzten beiden Partien sind nicht groß. Ob nicht Mitglieder des Jungen Ensemble des Theater an der Wien Besseres zu bieten in der Lage gewesen wären als die Gäste?

»Halka«, 2. Akt: Tomasz Konieczny (Janusz), Piotr Beczała (Jontek) und Corinne Winters (Halka) © Theater an der Wien/Monika Rittershaus

»Halka«, 2. Akt: Tomasz Konieczny (Janusz), Piotr Beczała (Jontek) und Corinne Winters (Halka)

© Theater an der Wien/Monika Rittershaus

VII.
Daß man auch im Polnischen legato singen kann, bewies Piotr Bezcała als Jontek. Er kam, sang — und eroberte das Theater. Auch er war der Mediokrität der Szene ausgeliefert. Doch Bezcała vermag eine Partie mit der Stimme, aus der Stimme heraus zu gestalten. (Eine seltene Gabe in unseren Tagen.) Er war der einzige, der auf Linie sang. Was Koniecznys Janusz an Lautstärke und Kraft bot, überbot Bezcałas Jontek durch erfühlbare Technik.

Auch wer des Polnischen nicht mächtig war und sich der steten Verfolgung der Übertitel begab, erfuhr, daß Jontek der unglücklich in Halka verliebte Bauernbursch war. Daß seine Liebe zu Halka so groß ist, daß er ihrem Drängen, Janusz wiederzusehen, wieder besseres Wissen nachgibt. Der uns mit seiner Stimme fühlen macht, daß er Halka verlieren wird.

Man mag einwenden, daß auch an Bezcałas Stimme die Jahre nicht spurlos vorüberziehen, daß der Ton eng wird, ein wenig gepreßt, wenn es im piano über das passaggio hinweg in die Höhe aufzusteigen gilt. (Im mezzoforte und forte hingegen: keine hörenswerten Probleme.) Man wird jedoch zugeben, daß Bezcała heute zu den technisch besten Tenören zählt (wenn er nicht der Beste ist). Sein Jontek: eine feine Leistung.

VIII.
Łukasz Borowicz debutierte mit dieser Produktion am Pult des ORF Radio­symphonie­orchester Wien im Theater an der Wien. Und was da aus dem Graben kam, klang zwar — vor allem zu Beginn — ein wenig (zu) laut, doch gut. Mitreißend. Vor allem die Volkstänze, die Polonaise, die Mazurka, die Goralentänze, aber auch die Ouverture machten Eindruck, laden zum wiederholten Hören ein. 

Moniuszkos Musik erinnert vor allem in den zahlreichen Chorpassagen ein wenig an frühe Verdi-Opern (wenn auch nicht so raffiniert und italienisch). Das kam vor allem dem Arnold Schoenberg Chor zupaß, der nach Piotr Bezcała den besten Eindruck hinterließ. Dieser Chor ist für das Theater an der Wien, was das Staatsopernorchester für das Haus am Ring ist: Garant für eine Qualität, welche man bei den anderen musikalisch-interpretierenden Kräften oft vermißt.

IX.
Stanisław Moniuskos Halka besäße das Potential zur Aufnahme in den erweiterten Kanon auch außerhalb Polens. Allerdings gälte es dafür, in eine publikumsfreundliche Interpretation und eine der Partie der Halka gewachsene Sopranistin zu investieren.
Schade eigentlich, daß man an der Wien an Stimmen nicht interessiert ist.

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