»Arabella«, 1. Aufzug: Die Schwestern Zdenka (Chen Reiss) und Arabella (Emily Magee) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Arabella«, 1. Aufzug: Die Schwestern Zdenka (Chen Reiss) und Arabella (Emily Magee)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Richard Strauss:
»Arabella« (1. Aufzug)

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Ich verließ das Haus zur Pause. (Man soll die Wahrheit reden.) Der geneigte Leser wird entscheiden, ob diesem Abend dennoch gültige Eindrücke abzulauschen sind.

Ich ging also; — im Bewußtsein, daß sich festgestellte Mängel nicht in Fehler wandeln würden. Daß diese Produktion in ihrer szenischen Mediokrität nicht zu retten ist. Daß Arabella nicht ohne Titelfigur aufgeführt werden kann.

II.
Anders als viele halte ich dieses Werk nicht für eine »Zweitverwertung« des Rosenkavalier. Man mag darüber spekulieren, welche Änderungen Strauss und Hofmannsthal im zweiten und dritten Aufzug noch vorgenommen hätten. Gewiß wäre das eine oder andere zu straffen gewesen, prägnanter zu formulieren. … Das Schicksal entschied anders. Doch was uns blieb, ist von höherer Qualität als das meiste, was danach geschaffen wurde.

III.
Dieses Werk strotzt vor hintergründigem Witz: Adelaide und der gewesene Rittmeister bringen das Familienvermögen gemeinsam beim Kartenspiel durch. Er am Spieltisch, sie, indem sie sich fortwährend die Karten legen läßt. Daß in dieser Produktion die Kartenaufschlägerin auch mit Metallkugeln und Schädeln hantieren muß, während in Musik und Text die Rede nur von Karten geht: ein Anflug von sekundärem Analphabetismus? — Kartenaufschlägerin...!

Als der gewesene Rittmeister von seiner Frau die Belehnung ihrer Smaragdbrosche zwecks Herbeischaffung pekuniärer Mittel für das Spiel fordert, drückt Adelaide ihm die Bestätigung der Versatzanstalt in die Hand: »Schon vorige Woche. — Sie war das Letzte.« Aufmerksamen Zuhörern entging allerdings nicht, daß Adelaide zu Beginn des Abends besagte Brosche der Kartenaufschlägerin versprach: »Die Brosche mit Smaragden ist Ihr Eigentum, wenn Ihre Pro­phe­zeihung Wahrheit wird in dieser Woche!«

Ein unverzeihlicher Fehler des Spielvögtes. — Doch zugleich welch witziger Einfall Hof­mannsthals: Er charakterisiert das Verhältnis der Eheleute zueinander besser als Adelaides am Fiakerball bekundete Bereitschaft zu einem Stelldichein mit Dominik, einem der nicht zum Zug gekommenen Verehrer ihrer Tochter.

IV.
Ich bewundere jedes Mal auf’s Neue Wolfgang Bankls Bereitschaft zur Preisgabe des Decorums in Befolgung der »Ideen« des Spielvogtes. Er weiß den Graf Waldner, Rittmeister a.D., auch ge­sanglich mit wienerischen Note auszustatten, welcher dieser Figur — obschon auf höherer Ebene — von ihren Schöpfern zugedacht ward. Josefstadt, nicht Favoriten. Der Einwand, daß Vertreter früherer Generationen zu größerer stimmlicher Raffinesse fähig waren… Ich weiß.

»Arabella«, 2. Aufzug: Tomasz Konieczny als Mandryka © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Arabella«, 2. Aufzug: Tomasz Konieczny als Mandryka

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

V.
Ebenso gut leben läßt sich’s mit Tomasz Konieczny als Mandryka. Auch, wenn es ihm an jener stimmlichen Noblesse gebricht, welche Interpreten längst entschwundener Tage auszeichnete. Doch zählt Koniezcny zu den Aktiva des Aufzugs, weiß um die Möglichkeiten, das Slawonische mit sehr guten Manieren zu verbinden. Ein Edelmann; während Hofmannsthal die Waldners als »etwas zweifelhafte Existenzen« zeichnet. Wie hintergründig witzig auch von Strauss, Mandrykas »Kommen meine Verwalter: was ist’s mit unserm Herrn?« in E-Dur, der Liebestonart, zu setzen. Solches einem unwissenden Publikum während der Aufführungen zu vermitteln: ’s wär’ lohnende Aufgabe für Spielvogt und Dirigent.

VI.
Ich ging also… Denn auch Axel Kober und das Staatsopernorchester blieben in ihrem Tun unnahbar. Erlaubten nur Beobachterstatus, wo ich doch berührt werden wollte. (»Aber der Rich­tige — wenn’s einen gibt für mich auf dieser Welt — der wir einmal dastehn, da vor mir…« — und sol­che Sachen halt.)

Keine Berührtheiten. Doch ohne daß ich die Gründe dafür anzugeben vermochte: Man war nicht zu laut. An manchen Stellen wäre sogar ein wenig mehr Dynamik wünschenswert gewesen: Wenn Arabella in ihrem Monolog singt: »Ich möchte meinen fremden Mann einmal noch sehen!«, schreibt Strauss für die Worte »ich möchte mei-« über Takte hinweg im Orchester crescendo (aus dem piano) vor, nur um bei der Silbe »nen« subito pianissimo zu verlangen. Dieser abrupte Wechsel der Lautstärke erweckt unsere Aufmerksamkeit. Und bietet der Figur die Gelegenheit zur Offenbarung ihrer Gefühle. Ohne plötzliche, merkliche Zurücknahme der Lautstärke ver­pufft der Effekt.

(Eine plötzliche Eingebung: Mangelte es der Aufführung an innerer Spannung, sodaß sich keine Berührtheit einstellen wollte?)

VII.
Weshalb also mein Weggang? Weil es dem Werk an diesem Abend am Schwesternpaar gebrach. — Da wäre zum ersten die Zdenka der Chen Reiss. Oper ist zuvörderst Spiel mit der Stimme. Alles andere — ist Zuwaag’. (Auch wenn viele anderer Ansicht sind.) Reiss’ Stimme fehlt im tie­fen Register das Volumen. Für das hohe scheint der Sängerin nur mehr eine Stimmfarbe zur Verfügung zu stehen. Vorzugsweise im mezzoforte oder lauter; — und mit sich änderndem Stimmsitz. Solches Tun hinterläßt, nicht zuletzt auf Grund unzureichender Phrasierung, einen unruhigen Eindruck.

VIII.
Zum zweiten: Dieses Werk verlangt die stimmliche Präsenz der Titelheldin wie der Fiakerball nach seiner Königin. Doch Emily Magee als Arabella vermag die Erwartungen nicht zu erfüllen. Sie distoniert laufend. Zumeist geraten die hohen Töne zu tief; erfordern dauerndes Nach­justieren. Dabei klingt Magees Stimme angespannt, die Stimmfarbe ändert sich unwillkürlich. Daß lautere Passagen besser gelingen: Hinweis auf mangelhafte Technik und an­dau­ernde stimmliche Überforderung.

Wie ihre jüngere Schwester vermag diese Arabella keine Bruststimme einzusetzen; behilft sich so­gar einmal mit Sprechgesang. Doch während Reiss stimmliche Unzulänglichkeiten durch enga­giertes Agieren zu überspielen sucht, bleibt Magee auch schauspielerisch uninteressant.

IX.
Ich verließ das Haus zur Pause. Die Gründe dafür tat ich dar.
Der Leser möge entscheiden.

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