»Der Rosenkavalier«, 2. Akt: Louise Alder (Sophie) und Daniela Sindram (Octavian) bei der Überreichung der silbernen Rose Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Der Rosenkavalier«, 2. Akt: Louise Alder (Sophie) und Daniela Sindram (Octavian) bei der Überreichung der silbernen Rose

Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Richard Strauss:
»Der Rosenkavalier«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Man spielt wieder Rosenkavalier. Für’s Publikum. Nicht für die Kameras. Ein Fortschritt. Daß vor allem langgediente Hauskräfte überzeugen, die Vorstellung tragen, ein Lebenszeichen geben: wie schön. Die Ehrenrettung durch’s Ensemble… (So kann’s gehen.)

II.
Marlis Petersen mag vieles sein — eine Marschallin ist sie nicht. Die jüngst im Internet über­tragene Münchner Vorstellung mit dem im Vergleich zum Original anämisch klingenden Orchesterklang in der Fassung von Eberhard Kloke konnte vielleicht über einiges hinweg­täuschen. Die klassischen Wiener Bühnenbilder legten sowohl die schauspielerischen als auch die gesanglichen Mängel offen: Undenkbar, daß eine Frau Fürstin Feldmarschall im Wien des 18. Jahrhundert salopp auf einer Tischkante Platz genommen hätte. Daß sie sich im »gemeinen Beisl« auf einen Stuhl gesetzt hätte angesichts der Armada von Ungeziefer in solchen Lokalitäten... — Kleinigkeiten? Leider nein. Wer wider »Konzerte in Kostümen« die Rede führt, übernimmt damit die Verpflichtung, auch Inszenierungen wie diese wohl zu proben und bestmöglich darstellen zu lassen, soll man ihn nicht des Lippenbekenntnisses zeihen.

Solange Petersen in eine Art Sprechgesang Zuflucht nehmen konnte (wie wohl mehr, viel mehr auszusingen die Möglichkeit gewesen wäre), wahrte sie das Decorum. Einigermaßen. Allerdings schlichen sich schon da willkürliche Vokalfärbungen ein, je nachdem, wohin Strauss die Stimme gerade führt. Das Schlußterzett bestätigte dann jenen, den Abend über unterschwellig gewonnenen Eindruck: Petersens Stimme klang ab der Mittellage unruhig und angestrengt, vermochte die Linie nicht zu halten. Flackerte.
Keine Marschallin.

III.
Daniela Sindrams Octavian offenbart das Dilemma vieler Mezzosopranistinnen: Die Stimme zerfällt in eine dunkel klingende untere und eine hell klingende obere Hälfte ohne jede Beteiligung der Bruststimme. In der Folge leidet die Artikulation. Es wird — zumal ohne Textkenntnis — für das Publikum schwer verständlich, wovon die Rede geht. Zwar besserte sich dies ab dem zweiten Aufzug, doch wirklich glücklich wurde ich mit diesem Octavian nicht.

Im Gegensatz zu Petersen war Sindram in ihrem Spiel erfolgreicher, wovon vor allem die Sophie von Louise Alder bei ihrem Rollen-Debut im Haus am Ring profitierte. Deren Sopran sitzt, zumal in der Tiefe und der unteren Mittellage, gut im Körper. Endlich einmal keine Pieps-Sophie. Resolut im Spiel, zeigte sie sich mit der Inszenierung vertraut. Allerdings schien mir Alder ab der Mittellage plötzlich ohne jede Beteiligung der Bruststimme das Auslangen finden zu wollen. Und in diesen Momenten wurde auch sie schwer verständlich.

»Der Rosenkavalier«, 1. Akt: Marlis Petersen bei ihrem wenig geglückten Wiener Rollen-Debut als Frau Fürstin Feldmarschall Werdenberg Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Der Rosenkavalier«, 1. Akt: Marlis Petersen bei ihrem wenig geglückten Wiener Rollen-Debut als Frau Fürstin Feldmarschall Werdenberg

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IV.
Es war eine Offenbarung: Als der Faninal des Adrian Eröd seine erste Phrase sang, wurde evident, was dem Abend bislang gefehlt hatte: ein Sänger. Ein Stimmbesitzer. Jemand, dessen Organ mühelos, so schien es, das dunkle Rund der Staatsoper beschallte. Wie schön! (Zwei solcher Überraschungen sollten noch folgen.) Eröd spielte den Faninal auch mit der Stimme, setzte, wo notwendig, stimmliche Akzente. Nie stellte sich das Gefühl ein, Eröd müsse forcieren, so ebenmäßig, so ruhig klang das alles.

V.
Leider war solches Albert Pesendorfer, dem Baron Ochs auf Lerchenau des Abends, bei seinem Rollen-Debut im Haus am Ring nicht gegeben: Gewiß, diese Partie ist vertrackt, erfordert sowohl das hohe ›f‹ (bei »muß halt ein Heu in der Nähe dabei sein«) in der großen, in Wien ohnehin immer eingestrichenen Suada des ersten Aufzuges ebenso wie das profunde tiefe ›e‹ (im Finale des zweiten Aufzuges, bei »keine Nacht Dir zu lang«). Pesendorfer absolvierte die Höhe falsetto, die Tiefe kraftlos. Auch dazwischen, vor allem im ersten Aufzug, mangelnde Textverständlichkeit, viel teilweise Verschlucktes. Eintönigkeit. Kennte eines seinen Rosenkavalier nicht, eines wüßte nicht, wovon die Rede geht.

VI.
Dabei hätte man ja einen Baron Ochs im Ensemble: Doch Wolfgang Bankl, wieder aktiv als »Vorstadt­unter­kommissarius«, scheint trotz klarer Diktion und voller, kräftiger Stimme keine Berücksichtigung mehr für solche Aufgaben zu finden. Gestern jedenfalls wies der Polizei­kommissar den Baron Ochs auf Lerchenau auch stimmlich kräftig in die Schranken…

Und die zweite Überraschung? Nun, die Wiener Opernfreunde wissen seit langem, daß auch Jörg Schneider zu den Stimmbesitzern zählt. Daß sein Gesang jenen, die vom Besetzungs­büro der größeren Partien für würdig befunden werden, nicht nur in nichts nachsteht, sondern in vielen Fällen sogar überlegen ist. So auch gestern: Nahm man die sängerische Leistung zum Maßstab, blieb der Wirt gegen den Italienischen Sänger des Freddie De Tommaso siegreich. »Di rigori amato in seno« war zuvor jedenfalls sehr kräftig und uneinheitlich erklungen. Gesangliche Linie hatte sich da keine einstellen wollen. Das erklärt zwar, warum dieser italienische Sänger von adeligem Haushalt zu adeligem Haushalt geschickt wird (quasi als »Morgengabe«), aber so war’s von Richard Strauss dann halt doch nicht gemeint…

Nicht unerwähnt bleiben sollen auch Monika Bohinec als Annina und Thomas Ebenstein als Valzacchi. Sie mit klarer, dunkel grundierter Stimme (auch wenn die Gesangslinie immer wieder brach. Aber: Ich verstand, was sie sang), er mit jenem Spieltenor, der ihn uns lieb und wert macht.

»Der Rosenkavalier«, 2. Akt: Mit Adrian Eröd als ausgezeichnetem Edlen von Faninal an der Spitze gaben die Ensemble-Mitglieder der Wiener Staatsoper ein kräftiges Lebenszeichen Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Der Rosenkavalier«, 2. Akt: Mit Adrian Eröd als ausgezeichnetem Edlen von Faninal an der Spitze gaben die Ensemble-Mitglieder der Wiener Staatsoper ein kräftiges Lebenszeichen

Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

VII.
Im ersten Aufzug klang’s eher rustikal aus dem Orchestergraben; uneinheitlich in den verschiedenen Instrumentengruppen und der Abstimmung. Mehr musikalischer Vorstadtbeischlaf denn Innenstadt-Palais-Affaire. Außerdem ließ sich Philippe Jordan gefühlt viel Zeit, bis all die Monologe vom »aufgeblasnen, schlechten Kerl« und der Zeit endlich unter Dach und Fach gebracht und alle Befindlichkeiten eines jugendlichen Liebhabers mehr oder weniger langatmig abgehandelt worden waren. Zuviel Zeit. Im zweiten und dritten Aufzug lief’s besser, doch hatte man die Walzer schon viel wienerischer, leichter hingetupft, besser abgestimmt gehört (auch abseits der Abende, an denen Carlos Kleiber wirkte). Das Finale des zweiten Aufzuges zum Beispiel: Es verebbte. (Einfach so.)

Daß es in Wien derzeit offenbar nicht möglich ist, die Szene des Kleinen Mohammed so auf die Bühne zu bringen, wie Strauss sie — mit allen Bewegungen, Trippelschritten und Verbeugungen! — komponiert hat, sollte die Verantwortlichen — bis hinauf zum Musikdirektor — nachdenklich stimmen. (Vielleicht liegt es auch daran, daß der Regisseur Otto Schenk und nicht Frank Castorf heißt.) Sieht und hört solches denn niemand?

VIII.
’s könnt’ alles schon noch ein bissel einen anderen Schick haben. Auch im Repertoire.

(Anmerkung: Wie aus der Leserschaft richtig bemerkt wurde, schrieb Strauss dem Baron Ochs auf Lerchenau im Finale des zweiten Aufzuges ein tiefes ›e‹ in die Stimme. Ich danke für den Hinweis, entschuldige mich für den Fehler und gelobe, den Erwerb einer Sehhilfe in Erwägung zu ziehen.)

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