It’s Christmas?
Von Thomas Prochazka
Die Miete will auch in Zeiten rarer Engagements bezahlt werden. Selbst wenn man heute mit CD-Verkäufen nicht mehr reich wird, bleibt man wenigstens im Gespräch; nicht nur bei seinen Anhängern. Die Weihnachts-Tourneé, woran zu verdienen wäre, müsse wegen Sie-wissen-schon um ein Jahr verschoben werden, stand zu lesen. So bleibt, als Trost, für 2020 Sonys Weihnachts-CD mit 42 Titeln. Daß das als »bayerische Volksweise« angepriesene Volkslied »Es wird scho glei dumpa« von den Steirern und Salzburgern mindestens ebenso für sich beansprucht wird — wen stört’s?
Neben traditionellen bairischen Volksliedern interpretiert Jonas Kaufmann auf dieser Doppel-CD auch internationale Hits wie »All I Want for Christmas Is You« und »Winter Wonderland«. So arrangiert allerdings, daß man denn doch über Geschmack streiten will. Man merkt die Absicht, und man ist verstimmt. Denn Kaufmanns Version von »All I Want for Christmas Is You« erreicht in keiner Sekunde das Niveau des von Mariah Carey und Walter Afanassieff im Sommer 1994 in nur 15 Minuten geschriebenen und produzierten Liedes.
Des Münchners Interpretation klingt, als wollte man sich nicht entscheiden, ob der Tenor nun »croonen« oder opernhaft aussingen solle. Das Ergebnis bleibt denn auch unbefriedigend: Manchmal fragt man sich als Zuhörer, ob da und dort nicht doch die Stimme kippt, der eine oder andere falsche höhere Ton seinen Weg auf die CD gefunden hat. — Welche Spritzigkeit, welche Rhythmik, welches Vorwärtsstreben eignen im Vergleich dazu dem Original! Bis 2017 spülte der Titel (in mehreren Aufnahmen Careys) übrigens 60 Mio. USD an Tantiemen in die Kassen von Sony Music Entertainment. In diese Verlegenheit wird Kaufmanns Fassung vermutlich nie kommen…
Ähnlich, nein, schlimmer, verhält es sich mit dem Titel »Winter Wonderland«, den meisten wohl geläufig durch die Interpretation eines gewissen Dino Paul Crocetti, besser bekannt als Dean Martin: Die im Laufe seines Lebens vermutlich mit Hektolitern Bourbon geölte Stimme des U.S.-Amerikaners mit italienischen Wurzeln klingt viel samtener und einschmeichelnder als die ausgebildete Opernstimme Kaufmanns. Das liegt nicht (nur) am Englisch des Münchners, sondern an Martins weichem Verschlucken des letzten Buchstabens bei »glistenin’« oder »listenin’«: des Amerikaners (gesangstechnisch völlig falsche) Versuche eines messa di voce. An Kaufmanns fehlenden rubati. An seinen eingeschobenen hohen Tönen: »Verzierungen«, die im Ende doch nur die Melodie stören. Und auch am schlechten Arrangement des 1934 komponierten Liedes: brav; bieder. Doch gänzlich ohne jenes ironische Zwinkern, das uns bei Dean Martin eine schneebedeckte, im Sonnenlicht glitzernde Winterlandschaft vor’s Auge zaubert.
Viele wissen, daß die back vocals schon deshalb erforderlich waren, damit Martin nach der ersten Strophe und vor dem Refrain der zweiten noch schnell einen Schluck Whisky nehmen konnte… Auf »It’s Christmas!« muß Kaufmann allein ran.
Im Ende wird dieses Album wohl nur eingefleischte Kaufmann-Fans zufriedenstellen. Und das ist nicht primär dem Münchner anzukreiden, sondern jenen, die, wie schon beim Album »Mein Wien«, Verstellung von ihm forderten. (Dös Weanarisch, vastehst?) Hier wie da gilt’s dem Kassenrapport; nicht der Kunst.
Kuriose Idee: Wie wäre es, in diesem Jahr von Sie-wissen-schon, der Ausgangssperren und auferlegten Isolation, in der verbleibenden Adventzeit und zu Weihnachten wieder einmal selbst zu singen? Das wird dann zwar wahrscheinlich nicht wie Jonas Kaufmann klingen. Dafür aber authentisch.