»&#8239;Don Carlo&#8239;«, 3. Akt: René Pape als einsamer, zerrissener Filippo&#8202;<abbr>II</abbr>, hervorragend festgehalten von Michael Pöhn © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

» Don Carlo «, 3. Akt: René Pape als einsamer, zerrissener Filippo II, hervorragend festgehalten von Michael Pöhn

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Giuseppe Verdi:
» Don Carlo «

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Tag zehn von Philippe Jordans Dirigiermarathon, oder: Wenn künstlerisches Tun zur täglichen Routine wird. Abwechslung schaffen die Werke: am Vortag Parsifal, an diesem Abend Don Carlo. Daß die Übung überzeugend gelingt, verdankt das Haus einmal mehr seinem Orchester und dem Chor. Nicht so sehr seinem Leiter.

II.
Die Fähigkeiten des Kollektivs Orchester der Wiener Staatsoper (an diesem Abend mit Volkhard Steude als Erahner und Vermittler des dirigentischen Willens) erstaunen noch nach Jahrzehnten des immer wieder Hörens: Wie sauber klang die Bläsereinleitung zu Beginn, wie akkurat viele, viele Einsätze, wie fein, wie seidig weich die Streicher …

Philippe Jordan schien sich bei Don Carlo viel wohler zu fühlen als Tage zuvor bei Don Giovanni. War es die Kurzfristigkeit der Übernahme, welche erhöhte Wachsamkeit und Konzentration erforderte? Manche binnen kurzer Frist notwendig gewordene Umbesetzung? Denn bis auf Ain Anger (nun in der Partie des Grand Inquisitor) und Boris Pinkhasovich als Rodrigo standen andere Sänger auf der Bühne als in der Jahresvorschau angekündigt.

Jordans Sicht auf Don Carlo ist eine bedächtige. Keine zupackende. Fast gravitätisch. Das reicht für eine gute bis sehr gute Wiedergabe. Für den Olymp — nicht. Zuwenig Italianità. (Das ist es.) — Der Musikdirektor des Institutes gleicht darin vielen seiner Kollegen, wenn diese sich an den Wiener Sträussen, an Lanner, an Ziehrer versuchen. Das zeitigt zuweilen ansprechende Ergebnisse. Und ist doch niemals vergleichbar mit jener Walzerseligkeit, die sich einstellt, wenn das Wiener Idiom atmende Musiker ohne störende gestische Begleitung zu Werke schreiten.

Wenig Mitreißendes also. Doch durchaus nicht langweilig. Auch: immer wieder Lautes, im auto dafé mitunter Großes. Allerdings kennzeichnet Spannungsarmut so manches sängerische Zusammentreffen in dieser Duett-Oper: jenes von Rodrigo mit Filippo II beispielsweise. Da fanden sich René Pape und Boris Pinkhasovich musikalisch auf sich gestellt.

Was noch auffiel: Ungenauigkeiten bei den Choreinsätzen. Schon bei den Hofdamen im zweiten, später auch im auto dafé-Bild. Fand man einmal zusammen, klang der Chor der Wiener Staatsoper durchaus überzeugend. Bleibt die Frage, wem solch mangelnde Koordination anzulasten ist: dem maestro suggeritore (Mario Pasquariello)? Thomas Lang, der die Choreinstudierung besorgte? Marcus Henn und Eric Melear, den Leitern der Bühnenmusik? Oder letzten Endes doch dem musikalischen Leiter des Abends?

III.
Daß sich Maestro Franz Welser-Möst seinerzeit für die vieraktige Mailänder Fassung von 1884 entschied (und nicht für Verdis letztes Wort in der Angelegenheit, die fünfaktige » Modena-Fassung « von 1886), erspart dem Publikum einen Akt szenischer Belanglosigkeit. Damals noch exklusiv für die Wiener Staatsoper ersonnen von Daniele Abbado, in langweiligen Allerweltsbühnenbildern von Angelo Linzalata. (Julian Budden, der große Verdi-Forscher, vertritt die Meinung, nicht nur in Dio che nell’alma indonfere liefe die Betonung entgegen der musikalischen Phrasierung, was die Forderung nach der Aufführung in der französischen Fassung unterstütze.) An Abbados spanischem Hof treten die Hofdamen jedenfalls immer rückwärtsgehend auf; finden Duette statt, in welchen die Sänger fein säuberlich nebeneinander an der Rampe stehen — und solche Albernheiten …

IV.
Ramón Vargas war schon bei der Première im Juni 2012 kein Don Carlo; kein gran tenore, wie vom Komponisten gefordert. Doch Vargas sprang kurzfristig ein, rettete höchstwahrscheinlich die Vorstellungen in einer Zeit, die Besetzungsbüros oftmals an den Rand der Verzweiflung treiben. Er sei dafür bedankt.

Der Grand Inquisitor des Ain Anger überzeugte nur bedingt. Angers Baß fehlt jenes profondo, welches nicht nur den König, sondern im Finale des dritten Aktes auch das Volk in die Knie zwingt. (Daß der Sänger nach Dmitry Ulyanovs Absage Platz für René Pape als Filippo II machte, soll nicht unerwähnt bleiben.)

René Pape: Filippo II. Ella gammai m’amò: die Einsamkeit der Macht. Die Niedergeschlagenheit eines zerissenen Menschen, mit der Stimme gezeichnet: ein Höhepunkt des Abends. Das Gefangensein zwischen persönlichen Wünschen und Staats-Raison offenbart sich in einer einzigen Phrase: Dunque il trono piegar dovrà sempre all’altare! Was sollen mir da einzelne, schwächere Spitzentöne?

Ein anderer Höhepunkt: Boris Pinkhasovich als Rodrigo. Er gab Überzeugendes: vor allem gesanglich. (Schauspielerisch stellt die Produktion in ihrer aktuellen Ausprägung kaum Anforderungen.) Außerdem: Oper ist Theater durch Gesang. Gestaltung durch Gesang. Ab dem forte gesellte sich Pinkhasovichs Ton Metallisches hinzu; nicht störend allerdings. Per me giunto und die nachfolgende Szene: des Sängers Meisterstück.

» Don Carlo «, 2. Akt: La principessa d'Eboli (Ekaterina Gubanova) in der Auseinandersetzung mit Rodrigo (Boris Pinkhasovich) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

» Don Carlo «, 2. Akt: La principessa d'Eboli (Ekaterina Gubanova) in der Auseinandersetzung mit Rodrigo (Boris Pinkhasovich)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

V.
Robert Bartneck stand als Lerma und Herold auf der Bühne. Isabel Signoret war ein leichtstimmiger TebaldoIleana Tonca steuerte aus dem großen Leuchter eine durchaus tröstliche voce dal cielo bei, und Dan Paul Dumitrescu verlieh Un frate jene Stimme, die für einen seit Jahren im Kloster San Giusto Herumgeisternden denkbar scheint.

VI.
In einem Brief an Tito Ricordi im November 1866 benannte Verdi die Sängeranforderungen. Für die Elisabetta di Valois und La principessa d’Eboli forderte er prime donne di gran cartello: zwei Soprane. Wir erkennen, daß der Komponisten für seine Sopranpartien einen im Rahmen einer Vorstellung abrufbaren Stimmumfang vom kleinen ›g‹ bis zum ›c3‹ voraussetzte; — bei der damals üblichen Stimmung von ca. 426 Hz für das ›a‹. Allein darin begründet sich die Forderung nach einer funktionierenden Bruststimme.

Solchen Anforderungen genügte weder Ekaterina Gubanova als Eboli noch Maria José Siri in der Partie der Elisabetta. Gubanovas Stimme verlor mit absteigender Tonhöhe rasch an Volumen, die Höhen klangen durchwegs angestrengt: — nicht nur in der großen Szene der Principessa. Schon im » Schleierlied « machte sich mangelnde Beweglichkeit bemerkbar. Siris Stimme ist anders geartet: Über einem durchaus tragfähigen Fundament fehlt es über dem passaggio an Volumen, ehe die Stimme, zwar mit zunehmender Schärfe im Ton, in der Höhe wieder breiter, größer wird. Kurzum, die beiden Damen vertraten große Teile ihrer Kollegenschaft in jener gesanglichen Qualität, die in den letzten Jahrzehnten immer mehr zur Regel wurde und vom Publikum allerorten akklamiert wird.

Doch was soll’s — in Zeiten, da wir » Kulturverliebten « dankbar sind für jeden Abend, an dem beleuchtete Häuser zu Vorstellungen locken?

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