» Die tote Stadt «: Erica Eloff als Marie/Marietta und Andreas Hermann als Paul © Landestheater Linz/Philip Brunnader

» Die tote Stadt «: Erica Eloff als Marie/Marietta und Andreas Hermann als Paul

© Landestheater Linz/Philip Brunnader

Erich Wolfgang Korngold:
» Die tote Stadt «

Landestheater Linz

Von Thomas Prochazka

Glücklich, wer derzeit sein Opernheil abseits des niveaulosen Hickhacks um den Musikdirektor der Wiener Staatsoper suchen kann. Im Landestheater Linz beispielsweise prüft man nach Großtaten wie Heiner Müllers Sicht auf Wagners Tristan und Isolde und Richard Strauss’ Die Frau ohne Schatten, was Erich Wolfgang Korngolds bekanntester Oper abzulauschen wäre.
Das Ergebnis überrascht; in mancherlei Hinsicht.

II.
Zeit und Ort der Entstehung verlocken zu an Sigmund Freuds Psychoanalyse angelehnter Deutung: in Wien einst Willi Decker, in Linz nun Andreas Baesler mit Tanja Hofmann (Kostüme) und Harald B. Thor (Bühne). Gewählte Zeit: nicht das Ende des 19. Jahrhunderts, sondern die Entstehungszeit des Werkes.

Nicht alle Ideen der Inszenierung überzeugen: Wenn Marietta zu Glück, das mir verblieb eine Grammophonplatte auflegt, Paul derweilen zum Klang aus dem Graben die Laute streichelt, begibt man sich der Gelegenheit, die Sopranistin beim bekanntesten Stück der Oper vokal glänzen zu lassen. Und warum, fragt man sich, leuchten über allen Türen des dargestellten Zimmers Leuchtstoffröhren? Wieso besteigt Marietta Pauls Bett, den Fauteuil, um von dort zu singen? Eignen dieser Tänzerin keine Manieren? (Fragt man sich.) Warum hockt Paul zu Beginn des zweiten Bildes in einer Art Muttergotteswinkel, ehe er Mariettas Komödiantentruppe umschleicht? Was hat es mit dem zweiten Mann an sich, der Pauls Freund Frank begleitet und gekleidet ist wie eine Mischung aus Columbo und Inspektor Clouseau? Warum trägt Brigitta, die Haushälterin, Schwesterntracht? Die Suche nach den Antworten zerrt an der Aufmerksamkeit, welche doch zuvörderst der Musik gelten sollte.

Der Übergang zwischen Traum und Wirklichkeit verschwimmt in Baeslers szenischem Ansatz. Das erschwert es, Korngolds durchaus komplexer Musik zu folgen.
Einerseits.

Andererseits zeigen Philipp Ludwig Stangl (Video) und Stefan Bolliger (Licht-Design) uns Brügges Kanäle, tritt Mariettas Truppe eine an Venedig erinnernde Gondel verlassend auf. Über ein paar Stufen aus dem Ausschnitt im Bühnenhintergrund gewinnen sie die Spielfläche.

Wenn Paul nach Mariettas erstem Besuch in seine Traumwelt hinübergleitet, projizieren die Lichtkünstler die Erscheinung der ihr gleichenden Marie auf den zwischenzeitlich niedergefahrenen Gaze-Vorhang: ein starker Eindruck. Gleiches gilt für weitere Traumsequenzen, wie z.B. den Brüggener Totentanz. Videoprojektionen mischen sich mit Figuren. Auch Marie/Marietta taucht einmal hier, einmal dort auf. Das sendet des versierten Opernfreundes Gedanken auf die Reise, überfordert jedoch gewiß bei der Erstbegegnung.

» Die tote Stadt « Erica Eloff (Marietta), Andreas Hermann (Paul) und die Statisterie des Landestheater Linz im Brüggener Totentanz © Landestheater Linz/Philip Brunnader

» Die tote Stadt « Erica Eloff (Marietta), Andreas Hermann (Paul) und die Statisterie des Landestheater Linz im Brüggener Totentanz

© Landestheater Linz/Philip Brunnader

III.
Musikalisch bot der Abend selbst bei adaptierten Erwartungen Licht und Schatten. Andreas Hermann erinnerte in seiner gesanglichen Gestaltung des Paul ein wenig an Klaus Florian Vogt, mit » weißen «, zumeist angestrengt klingenden Höhen. In der Mittellage entfaltete Hermanns Tenor durchaus genügend Volumen, um über dem Orchester hörbar zu bleiben.

Erica Eloff hatte sich für die Marie/Marietta Wortundeutlichkeit auf die Fahnen geschrieben. Ihr Sopran versank des öfteren in den instrumentalen Wogen. Das Augenmerk dieser Marietta hatten die Produktionsverantwortlichen unzweifelhaft auf das Spiel, weniger auf die Gestaltung durch die Stimme gelegt. Eine überzeugende Idee Hofmanns indes, Marie/Marietta bis auf eine kurze Szene der unschuldigen Reinheit in der Farbe der Liebe zu kleiden.

Adam Kim verströmte als Fritz, der Pierrot, in Mein Sehnen, mein Wähnen, dem zweiten großen » Schlager « der Partitur, seinen Bariton. Flotteres Tempo hätte dabei in größere Stringenz gemündet. So klang der eine oder andere länger zu haltende Ton unruhig, gerieten die Phrasen manchmal an den Rand des Zerbrechens. Die anderen Mitglieder von Mariettas Komödiantentruppe überzeugten vor allem durch ihre Zuschreibungen in der Besetzungsliste: Tänzer und ihr Regisseur. Den besten stimmlichen Eindruck bewahrte ich übrigens von der Brigitta der Manuela Leonhartsberger. Wenngleich ihr tiefes Register durchaus mehr Resonanz vertrüge, sang sie doch mit direktem, geradem Ton und der größten Wortdeutlichkeit von allen. Erfreulich.

Die Meister des Abends: Markus Poschner und das Bruckner Orchester Linz. Gemeinsam brachten sie viele der Schönheiten der Partitur zum Blühen. Eine Korngold-Symphonie. Sie allein lohnt auch weitere Anfahrt und Besuch.

IV.
Doch im Ende verzieh ich dem Frank des Martin Achrainer jede tonale Unstetigkeit; jede gesangliche Schwäche: Als sich der die Bühne im Hintergrunde beschließende Vorhang hob und Paul den Weg durch geöffnete Gittertüren freigab aus jener psychiatrischen Abteilung, in der Baesler seine Produktion angesiedelt hatte. Als Frank der in eine Zimmerecke gedrückten Marietta Geldscheine zusteckte als Dank für ihre Hilfe. Als Marietta diese nur zögernd und nach mehrmaliger Aufforderung entgegennahm. Als sich der Abend als Franks Freundschaftsdienst an Paul erwies, sich die Hoffnung im finalen B-Dur im Raum ausbreitete … Starke Momente.

Es gibt sie noch, die Berührung durch die Oper. Diesfalls in Linz.

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