»Simon Boccanegra«, 2. Akt: Thomas Hampson in der Titelpartie © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Simon Boccanegra«, 2. Akt: Thomas Hampson in der Titelpartie

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Giuseppe Verdi:
»Simon Boccanegra«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Simon Boccanegra an der Staatsoper: Vier Sänger sorgen für eine kurzweilige Aufführung, wissen Verdis Meisterwerk (mit Einschränkungen) vorwiegend stimmlich sehr gut, phasenweise berührend zu gestalten.

II.
Erste Erkenntnis des gestrigen Nachmittags: der Wunsch, das Werk pausenlos aufgeführt zu sehen. Der große Bogen, welchen Evelino Pidò und das Staatsopernorchester im ersten Teil zu spannen in der Lage waren: Er brach zur Pause. Es dauerte bis zum zweiten Bild des zweiten Aktes, bis man sich wieder hineingefunden hatte in den Ablauf. Davor und danach aber: Oper für Connaisseurs.

Immer wieder staunt man über das kompositorische Können des 68-jährigen Verdi, Altes und Neues miteinander zu verbinden. Wer vermochte ohne Konsultation der Partitur zu sagen, welche Teile aus 1857 »gerettet«, welche für die zweite Fassung 1880 ergänzt wurden? Uns Heutigen erscheint es eines.

Gewiß, das Ringen um jede Note, jede Phrase ist Pidòs Sache nicht. So spielen sich die Holz­bläser in der Introduktion des ersten Aktes zu sehr in den Vordergrund, wirft die See hohe Wellen an das Ufer, da Amelia sich einführt. Aber wie das umsichtig geleitete Staatsopern­orchester Fiescos Arie ausklingen läßt, mit welcher dolcezza das Duett AmeliaSimon Boccanegra begleitet wird… Das hört man auch im Haus am Ring nicht alle Tage. In diesen Augenblicken öffnet sich der Opernhimmel.

III.
Zweite Erkenntnis: Für gute Vorstellungen bedarf es Sänger, welche ihre Handwerk verstehen. Leider benötigte Dmitry Belosselskiy bis in den ersten Akt, um seinen Baß strömen zu lassen: »A l’estremo addio« wäre mehr gesangliche Durchdringung gut angestanden. Die Trauer über die dahingegangene Tochter, das kraftlose, finale »Prega, Maria, per me« mit seinem Abstieg bis zum tiefen Fis schien eher einer unaufgewärmten Stimme denn großem Schmerz geschuldet.

Danach allerdings war ein Fiesco aus Fleisch und Blut zu erleben. Ein Fiesco, dessen Trauer in den letzten Bildern auch stimmlich erfahrbar wurde. Und mit einem Male machte Verdis Partitur wieder Sinn. (In einzelnen Phrasen erinnerte mich Belosselskiy an Nicolai Ghiaurov oder Ferruccio Furlanetto. … Es gibt Schlimmeres.)

IV.
Dritte Erkenntnis: Auch Marina Rebeka verfügt als Amelia über das notwendige technische Rüstzeug. Sie läßt dies (wiederholt) in der Rats-Scene hören, wenn ihre Stimme piano solo hervortritt. Allerdings: »Ein bescheidenes, ruhiges, schlankes und zartes Mädchen«, wie Verdi im Dezember 1880 Ricordi im Hinblick auf seine Vorstellungen an die Sängerin der Amelia schrieb, ist sie nicht. Pidòs zu lautes Meeresrauschen verführt Rebeka bereits in »Come in quest’ora bruna« dazu, zuviel zu wollen. Dann jedoch verliert ihre Stimme in der Höhe den Focus, klingt überanstrengt. Besänne Rebeka sich der ihr zur Verfügung stehenden Stimmtechnik: Sie berührte nicht nur im letzten Bild.

»Simon Boccanegra«, 1. Akt: Simones Tochter Amelia Grimaldi (Marina Rebeka) und ihr Geliebter Gabriele Adorno (Francesco Meli) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Simon Boccanegra«, 1. Akt: Simones Tochter Amelia Grimaldi (Marina Rebeka) und ihr Geliebter Gabriele Adorno (Francesco Meli)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

V.
Francesco Meli sang den Gabriele Adorno und tat dies mit kernigem, focussierten, allerdings wenig timbrierten Tenor. Der Schmelz jener vergangenen Generationen: Er kommt heute offen­sichtlich zu kurz im Kampf gegen zu laute Orchester. Dies müßte nicht sein, und Meli — nicht Erkenntnis dies, sondern Erinnerung — regierte als einer der Könige im Tenorreich. So bleibt er uns Prinz: mit gelegentlich angestrengt klingendem oberen Register. Daß der Genueser seine Stimme nach italienischer Manier zu führen versteht: — nährt die Hoffnung auf kommende Abende.

VI.
Die Partie des Paolo, Gabrieles Nebenbuhler in der Gunst um Amelias Hand, ward mit Orhan Yildiz einem jungen Ensemble-Mitglied anvertraut. Erste Erkenntnis diesfalls: Vom Studio auf die große Bühne ist es ein weiter Weg. Yildiz’ Stimme erreicht nur in wenigen Momenten jene Durchschlagskraft, welche für den Rache nehmenden Paolo vonnöten ist. (Darf ich daran erinnern, daß für Abbados Einspielung José van Dam aufgeboten ward?) Zu flach, zu lieblich klingt Yildiz’ Bemühen in den meisten Szenen. Ob man dem jungen Sänger nicht mit Einsätzen in weniger dramatischen Partien und auf kleineren Bühnen ein größerer Dienst erwiese?

VII.
Letzte Erkenntnis: Thomas Hampsons Stimmtechnik und Spielfreude sind ungebrochen. Wie Hampson stimmlich den jungen Simon Boccanegra charakterisiert, den älteren, wie von Verdi verlangt, »ruhig, würdevoll und feierlich in der äußeren Erscheinung« darzustellen weiß: Das sieht, das hört man nicht alle Tage.

Gewiß, Hampsons Stimme verleugnet das Alter ihres Trägers ebensowenig wie manchen Ausflug in »feindliches« Territorium. Dennoch ist er ein überzeugender Doge; — auch wenn das finale »Figlia« am hohen F im Duett mit Amelia falsetto erklingt. Der Amerikaner seine Höhe sparsam und — vor allem — vorsichtig einsetzt, hie und da den einen oder anderen Spitzenton transponiert. Und zu Beginn der Rats-Scene die Stimme im oberen Register ihrem Träger nicht immer den geschuldeten Gehorsam leistet. (Er weiß dies selbst am besten.) Da merkt man die zu leistende Arbeit…

Hampsons Intensität in Stimme und Spiel allerdings — vor allem in den letzen zwei Bildern — berührt wie schon lange kein Simon Boccanegra vor ihm. Daß entschädigt (fast) für den einen oder anderen transponierten Spitzenton. Denn in diesen Momenten öffnet sich der Opernhimmel…

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