Emmerich Kálmán:
» Die Csárdásfürstin «
Bühne Baden
Von Thomas Prochazka
II.
Daß Michael Lakner Ruth Brauer-Kvam die Inszenierung anbot, ist seine Tragödie. Daß die Regisseuse akzeptierte, jene des Publikums.
Denn wie meistens in solchen Fällen » vergaß « man, dem Publikum vor dem Billetten-Erwerb mitzuteilen, daß es Belastungszeuge einer Bearbeitung sein werde. Diesfalls wurde die Handlung aus der Zeit der Donau-Monarchie in das Jahr 1934 verlegt und mit unzähligen textlichen Hinweisen auf das verfolgte Judentum bzw. dessen Leistungen angereichert. Im Programmheft läßt uns die Regisseuse Ruth Brauer-Kvam im pluralis majestatis wissen, daß die gezeigte Fassung als eine Hommage an Emmerich Kálmán und seine Librettisten Leo Stein und Bela Jenbach
aufgefaßt werden müsse. Alle drei waren Juden, und man wolle den jüdischen Humor hochleben
lassen.
III.
Zum ersten ist das Führen von Adelstiteln in Österreich seit der Ausrufung der Ersten Republik im Jahr 1918 verboten. Das Libretto mit seinen unzähligen Anspielungen auf die Verkommenheit des Adels und des Militärs und der Karikierung damaliger Verhältnisse widersetzt sich denn auch erfolgreich der Verlegung in die Zeit des Austrofaschismus. Die Zeitgenossen erkannten — anders als die Verantwortlichen — die Kritik an der bedeutendsten und höchsten Schicht unserer Monarchie
sehr wohl: Der Adelscourier, das konservative Intelligenzblatt für die gebildeten Stände
titelte in seiner Ausgabe vom 18. November 1915 im Bezug auf Die Csárdásfürstin: Das geht zu weit!
IV.
Zum zweiten ersetzt die gezeigte Bearbeitung Sterns und Jenbachs Text mit politisch korrekten Ausdrücken: Aus den Mädis vom Chantant
werden die Schönen vom Chantant
. Der autoritäre Ständestaat wird ebenso bemüht wie an Peinlichkeit schwer zu überbietende Kalauer in einer hinzugeflickten Kabarett-Szene. Was immer jene billigen Witze sein sollten: Eine » Hommage « an den jüdischen Witz sind sie nicht. Und das Publikum wird einmal mehr mit jenem Sendungsbewußtsein nach der vermeintlich notwendigen Erziehung der Gesellschaft konfrontiert, das sich in nicht aufgelösten Widersprüchen zum Libretto und dem gesungenen Text offenbart.
V.
Zum dritten heißt Feri von Kerekes bei Kálmán & Cie. Ferenc Ritter Kerekes (genannt » Feri bácsi «) und ist auch nicht — wie man den Besuchern der Badener Sommerarena weismachen will — Conférencier und Leiter des Budapester Orpheum
, sondern ein wohlhabender adeliger Lebemann, der seinen Leidenschaften frönt. Und als wäre all das nicht schon genug der » Hommage «, besetzt man diese Rolle — nach dem Willen der Schöpfer eine Gesangspartie1 — mit einer Schauspielerin ohne jedes Gesangstalent. Tania Goldens Tun offenbart dieses Ausmaß an Willkür und Respektlosigkeit ebenso wie die Unkenntnis davon, wie Operette funktioniert.
Also, ich will Dir verzählen: Joi, Maman, Bruderherz
isse die letzte große Solonummer vor dem Finale. Sylva, Boni und Feri bácsi treffen einander zufällig in einem Wiener Hotel. Feri bácsi will Sylva aufheitern, also singt er. Weil isse der Feri bácsi echtes Ungar und hat der Kálmán Imre geschrieben Musik mit Feuer und Paprika, Feri reißt die anderen mit. Wenn sich is die Nummer zu Ende, nu, was soll das Publikum machen? Es applaudiert. Und weil sich is Operette und alle noch haben ein biß’l Zeit heute abend, Feri singt a zweites G’stanz’l. Alle drei tanzen wieder, ’s Publikum applaudiert wie verrückt, und weil sich is immer noch Zeit, Feri bácsi singt a dritte Strophe. So geht das weiter, bis allen geht die Luft aus vom Singen, Tanzen und Applaudieren. So, mein Freund, geht Operette. — Da mußte schon sein meschugge, daß Du Dir machst kaputt a so einen Moment mit einem Mann was gespielt wird von eine Frau die was überhaupt nicht kann singen.
VI.
Die Peinlichkeiten der Bearbeitung finden in den von Ursula Gaisböck verantworteten Kostümen ihre Fortsetzung: An die Stelle von Frack und großer Toilette, wie damals auch in Budapest selbstverständlich, kleiden die Verantwortlichen der Bühne Baden die Besucher des Orpheum in jene Art von Kostümen, welche vom letzten Life Ball übrig blieben und die niemand sonst mehr haben wollte.
Nun mag der geneigte Operettenfreund einwenden, daß die finanziellen Möglichkeiten eines Stadttheaters bescheiden sind, Bühnenbilder und Kostüme nicht mit jenen erster Staatsbühnen um die Wette eifern können; — und daß diese Produktion nur einen Sommer lang gespielt wird. Ja. Doch die Sprache kennt einen Unterscheid zwischen geschmacklos und günstig. Als Stein und Jenbach das Libretto verfaßten, wußten sie sehr wohl, daß es die jüdische Mittelschicht war, welche Eigentümer, Direktoren, Darsteller und einen Großteil des Publikums des Budapester Orpheum stellten; die dem Lokal vor dem Ersten Weltkrieg zu einer 40 Jahre währenden Glanzzeit verhalfen. Und daß diese Mittelschicht selbstverständlich gut gekleidet ausging: in Abendkleid und Frack.
Dem Ergebnis nach scheint die Regisseuse solches ebenso wenig zu wissen wie ihre Kostüm- und ihre Bühnenbildnerin (für letzteres zuständig: Monika Rovan). Andernfalls hätte eine behauptete » Hommage « an die jüdischen Schöpfer anders auszusehen.
VII.
Anna Vita schuf eine ansprechende Choreographie für das Ballett der Bühne Baden. Die Damen und Herren wissen, was sie zu tun haben. Auch hochsommerliche Temperaturen können ihnen nichts anhaben. Dafür, daß den Sängern — mit Ausnahme von Ricardo Frenzel Baudisch als Boni Graf Káncsiánu — jene Beweglichkeit versagt scheint, welche vor Jahren als selbstverständliche Anforderung für ein Engagement im Operettenfach galt, kann sie nichts. Auch der Chor der Bühne Baden tut das seine, zu einem möglichen Erfolg des Abends beizutragen.
Alma Sadé sang eine überzeugende Sylva Varescu, ihr Liebhaber Edwin Ronald von und zu Lippert-Weylersheim, Iurie Ciobanu, punktete vor allem mit seiner Mittellage. Gut auch Anna Overbeck als Anastasia » Stasi « Komtesse Eggenberg und der Graf Boni des Ricardo Frenzel Baudisch. Warum die Schauspielerin als Spielvogtin Stasi, des Fürsten von und zu Lippert-Weylersheims Nichte und Edwins Jugendfreundin, eine Berliner Vergangenheit andichtete und der Graf Boni mit einem nach Spanisch klingendem Akzent zu sprechen hatte (Sag, bin ich Dein amigo?
), wußte sie höchstwahrscheinlich schon am Premièren-Abend selbst nicht mehr … — Bleibt die Frage, warum in einer Operette aus der » Silbernen Ära « Wienerisches nicht einfach nur Wienerisches sein darf. Anna Overbeck erfreute jedenfalls mit stimmlicher und schauspielerischer Präsenz.
Das Fürstenpaar Leopold Maria und Anthilte besetzte man vor Jahrzehnten noch mit verdienten Kräften des jeweiligen Hauses. In letzter Zeit begann man, für derartige Partien Kabarettisten und andere lustige Leute zu engagieren — diesfalls Verena Scheitz und Oliver Baier. Erstere mußte zusätzlich als hinzuerfundener » Kabarettist 1 « gemeinsam mit Florian Stohr (» Kabarettist 2 «) im ersten Akt vermeintlich Komisches zum Besten geben. Stohr übernahm auch die — selbstverständlich auf’s Jahr 1934 hingedrechselte — Rolle des Oberleutnant Eugen Baron Rohnsdorff sowie den Hotelportier im dritten Akt. Bei solcher » Hommage « wendet sich die jüdische Gemeinde mit Grausen …
VIII.
Das Orchester der Bühne Baden ließ manche musikalische Erinnerung aufleben an jene Zeiten, da die Operette noch nicht zum Spielball versuchter politisch korrekter Publikumserziehung verkommen war. Christoph Hubers Zugriff am Pult resultierte an manchen Stellen in zu harten Kontrasten und gehetzten Tempi. An anderen Stellen traf man den intendierten Ton genau: Da wurden die antizipierten Steigerungen Wirklichkeit, da stellte sich — wie zum Beispiel im großen Duett Tanzen möcht’ ich
von Sylva und Edwin jene Operettenseligkeit ein, die nach einem da capo verlangte. Und das man dem Publikum am Premièren-Abend — warum eigentlich? — vorenthielt.
Das Unangenehme an der G’schicht’ ist: Der Komponist wußte genau, was er wollte. Beim Chorsatz Doch ohne Weiber geht die Chose nicht
beispielsweise schrieb er Langsames Marschtempo vor und merkte in der Partitur an: Bitte dieses Tema (sic!) in langsamen (sic!) Tempo, sehr süss und diskret vorzutragen. Kálmán.
Respektiert, wird flugs aus einer nach der Überzeugung der Regisseuse sexistischen und vermeintlich abwertenden Aussage eine träumerische Erinnerung an Stunden der Zweisamkeit. Und in dem Unterschied liegt eine Welt.
IX.
Es ist schon eine Kunst, so erfolgreich zu scheitern.
- Von Emmerich Kálmán in den mir zugänglichen Quellen als Tenorpartie notiert, wurde sie in der guten, alten Operettenzeit immer wieder von Baritonen gesungen. An der Wiener Volksoper erfreute über lange Jahre Sándor Németh das Publikum mit seiner Leistung als Feri bácsi; — so z.B. auch auf einer Japan-Tournée des Hauses im Jahr 1985. ↵