»I Puritani«, 1. Akt: Elvira (Venera Gimadieva) mit den Puritanern © Wiener Staatsoper GmbH/Ashley Taylor

»I Puritani«, 1. Akt: Elvira (Venera Gimadieva) mit den Puritanern

© Wiener Staatsoper GmbH/Ashley Taylor

Vincenzo Bellini: »I puritani«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Man traut sich etwas im Haus am Ring: In unserer, jeder Romantik abholden Zeit gibt man I puritani; ein Werk der Hochblüte des bel canto. Das Ergebnis: oberflächlich betrachtet gutes Repertoire-Niveau. Im Detail allerdings: ein zwiespältiges.

II.
Früher … war auch nicht alles besser. Zumindest nicht John Dews’ Inszenierung aus dem Jahr 1994, in den Bühnenbildern Heinz Balthes’ and den Kostümen von José Manuel Vasquez mit den üblichen Regietheater-Einfällen: der unverständlichen Vorstellung der Vorgeschichte (die Hin­richtung König Karl I. Stuart), Einheitskostümen für den Chor und die Ermordung Arturos durch Riccardo während der letzten Takte des Abends. Sonst überwiegen statische Bilder und die in Opern üblichen Gesten.

III.
»Oh! I puritani! La seule musique à mettre aux côtés de celle de Rossini!« (»Oh! I puritani! Die einzige Musik, die der Rossinis gleichkommt!«), äußerte sich Honoré de Balzac 1835 in einem Brief an Madame Hanska.

Also denn — die Musik: Evelino Pidò, in Wien immer wieder mit bel canto-Aufgaben betraut, nimmt die Ouverture überraschend rasch, die Bläser des Staats­opernorchesters (Hörner, Trompeten) quittieren dies mit einigen Gicksern. Pidò wird auch später niemand der Larmoyanz bezichtigen können, im Gegenteil: Sein Dirigat ist zügig — und großzügig, die Lautstärke betreffend. In letzterem Bemühen unterstützt ihn auch der Staatsopernchor nach Kräften. Die Solisten mühen sich des öfteren, in Chorpassagen vernehmbar zu bleiben. Und das hört man.

IV.
Jongmin Park singt Sir Giorgio. Er tut dies mit großem Ton und ebensolcher Emphase. Die Beachtung der dynamischen Abstufungen sind mitunter seine Sache nicht. Außerdem ändert sich Parks Stimmfarbe immer wieder innerhalb einer Phrase, klingt sein Italienisch mitunter gaumig. Aber: Mit dem Südkoreaner besitzt die Staatsoper einen für dieses Repertoire geeigneten Baß; — das zählt viel in einer Zeit, wo Sänger dieser Stimmgattung international rar sind. Sir Giorgios Arie »Cinta di fiori« klingt in jenem Maß »durchgearbeitet«, welches man sich eigentlich auch für die restliche Partie erwartete.

V.
Sir Riccardo Forth ward in Wien zum ersten Mal Adam Plachetka anvertraut… Das Ergebnis: ein zwiespältiges. Keine Frage, Plachetkas Stimme müht sich weder mit dem F in »Suoni la tromba« noch mit dem tiefen Register. Allein: Der Stimme gebricht es an der für dieses Fach (wie auch für einen Figaro-Grafen oder Don Giovanni) erforderlichen Noblesse, der runden Tongebung, kurz: des legato. Der Großteil von Riccardos Arie »Ah! per sempre io ti perdei« wurde von Bellini im pianissimo notiert, nur das Finale in forte. Man hätte es gerne gehört, denn: Ohne Beachtung der dynamischen Vorgaben verliert bel canto seinen Reiz.

»I Puritani«, 1. Akt: Sir Giorgio (Jongmin Park) mit Elvira (Venera Gimadieva) und ihrem Geliebten Lord Arturo Talbot (Dmitry Korchak) © Wiener Staatsoper GmbH/Ashley Taylor

»I Puritani«, 1. Akt: Sir Giorgio (Jongmin Park) mit Elvira (Venera Gimadieva) und ihrem Geliebten Lord Arturo Talbot (Dmitry Korchak)

© Wiener Staatsoper GmbH/Ashley Taylor

VI.
Auch Dmitry Korchak debutierte gestern; in der Partie des Lord Arturo mit ihren, wir wissen es, gefürchteten Spitzentönen. Ursprünglich für Giovanni Battista Rubini (1794-1854) geschrieben, mühen sich (nicht nur der höheren Stimmung wegen) heute alle Tenöre mit den hohen Cis und F — nicht nur — in »Credeasi, misera!«. (Welches so in die Phrase integriert ist, daß ein Wechsel ins Falsett für den Sänger eine enorme technische Herausforderung darstellt.)

Auch »A te, o cara«, im wiegenden 12/8-Takt und von Bellini mit der Tempobezeichnung Largo versehen, stellt ob seiner ausschwingenden Linien den Tenor vor fast unlösbare Aufgaben. (Wann soll, wann darf geatmet werden? Darüber wurde sogar dissertiert.) Korchak machte seine Sache gut, sang mit fokussierter Stimme, mühte sich um die dynamischen Schattierungen. Allerdings klang des Russen Stimme phasenweise angestrengt, ließ jenen Schmelz, jene dolcezza vermissen, derentwegen die Opernfreunde dieses Repertoire lieben. In einer Sängerwelt ohne Alternativen allerdings…

VII.
Venera Gimadieva stellte sich erstmals dem Wiener Publikum vor. Die Russin hinterließ bei ihrem Debut als Elvira einen zwiespältigen Eindruck: Sehr schön modellierten Phrasen folgten Intonationstrübungen in den folgenden, vor allem in der hohen Lage. Gimadievas Stimme läßt die bei osteuropäische Sängerinnen verbreitete Abschattung der Vokale hören. Ihr Italienisch verfügt nicht über jenen freien, hellen und geraden Klang, welcher den Damen aus romanischen Ländern eignet. (Ein Vorteil von Geburt an.) Was schwerer wiegen mag, ist, daß Gimadieva die Partie der Elvira (noch) nicht eignet: »Qui la voca sua soave« beispielsweise, die große Scene im zweiten Akt, bedarf einem Mehr, viel mehr an stimmlicher Gestaltung, als die Sängerin gestern zu zeigen gesonnen war. Der Fluch der ersten Nacht…?

VIII.
Der gestrige Abend — eine Bestandsaufnahme. Es scheint, als besetzten die Häuser bel canto-Opern heutzutage mit zu schweren, sprich: zu unbeweglichen Stimmen. Die Gefahr: Daß uns auf Grund fehlender Weitergabe des notwendigen sängerischen Rüstzeugs und des dadurch schwindenden Publikumszuspruchs dieses Repertoire über kurz oder lang verloren geht.

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