»Aida«, 2. Akt: Elena Guseva (Aida) und Simone Piazzola (Amonasro) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Aida«, 2. Akt: Elena Guseva (Aida) und Simone Piazzola (Amonasro)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Giuseppe Verdi: »Aida«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Der größte Unterschied zwischen der Neuproduktion des Otello und seiner 16 Jahre älteren Schwester: der Dirigent. Wo Myung-Whun Chung bei Otello auf Härte und übergroße Lautstärke setzte, da atmete Marco Armiliato in Aida mit den Sängern. Und: Es hilft, wenn das Staatsopernorchester von einem Konzertmeister (Albena Danailova) mit entsprechender Erfahrung geleitet wird.

II.
Zwar wollte der Staatsopernchor nicht immer wie der Graben (und schleppte vor allem im zwei­ten Akt einige Male), doch will ich dieses nicht Marco Armiliato anlasten. Im Gegenteil. Armiliato war bestrebt, den Sängern zu folgen, gewährte da bereitwillig mehr Zeit, animierte dort zu flotterem Weitergang. Und das Orchester folgte willig. Ebensowenig ist dem Maestro anzulasten, daß ich die Sänger oftmals nicht verstand. Denn was soll ein Dirigent tun, wenn die en­ga­gier­ten Sänger größtenteils stimmtechnisch nicht in der Lage sind, ihre Partien zu bestreiten?
(Im Laufe der Begebenheiten wird das alles klar werden.)

III.
Da wäre zum Beispiel Il Re des Peter Kellner: Wie blaß, wie dünn, wie eng klang dessen Baß doch im Vergleich zum vollen Organ des Jongmin Park. Dessen Ramfis war von größerem Ka­li­ber. Verstünde ich (als Beispiel diene die Gerichtsszene des vierten Aktes) auch, was jenes hinter der Bühne sang: Ich wollte jubeln über diese Stimme. So aber bleiben vor allem die un­kla­re Diktion, die Vokalverschiebungen zum Vokal ›o‹ im Gedächtnis. Ist solches nicht ärgerlich?

IV.
Simone Piazzola schien der Partie des Amonasro nicht jenen Stellenwert zuzumessen, welcher Verdi vorschwebte. Piazzolas Bariton klang über weite Strecken trocken und uninspiriert; in der Tiefe kraftlos. Blaß auch im Spiel. Dieser Amonasro hinterließ wenig Eindruck.

V.
Wie der Vater, so die Tochter. Das Schicksal einer Aida entscheidet sich in der  ersten Szene des Abends: »Ritorna vincitor! … E dal mio labro usci l‘empia parola!« Verdi führt hier die So­pran­stim­me durch das passaggio bis zum tiefen ›e‹. Ohne fortgesetzte Aktivierung des Brust­re­gi­sters ist da kein Staat zu machen. Nämliches gilt für Aidas große Szene »Qui Radamès verrà!« mit ihrem Abschluß »O fresche valli« im dritten Akt. Das sogenannte »Nil-›c‹« (»dolce« notierte Verdi in der Partitur) mit dem darauffolgenden Abstieg bis zum tiefen ›d‹ in derselben Phrase bereitete schon Generationen von — auch großen — Sängerinnen Probleme. Und ist ohne eine in allen Registern sehr gut ausgebildete und durchgehend entwickelte Stimme kaum zu bewältigen.

Elena Guseva bildet da keine Ausnahme. Schon der Aufstieg zum hohen ›c‹ geriet — wie vieles an diesem Abend — scharf. Von pianissimo keine Spur. Ab dem Bereich knapp über dem passaggio bis darunter klang Gusevas Stimme dünn; substanzlos. Als Folge dieses fehlenden Fun­da­ments gerieten denn auch die meisten im Stimmumfang höher angesiedelten Phrasen undeutlich. Und dafür entschädigte auch mancher legato-Versuch nicht.

»Aida«, 2. Akt: Gregory Kunde als Radamès © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Aida«, 2. Akt: Gregory Kunde als Radamès

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

VI.
Auch die Partie der Amneris hält einiges an technischen Schwierigkeiten bereit; reicht vom hohen Sopran- bis zum tiefen -›c‹. Ekaterina Gubanova mühte sich gewiß nach Kräften. Aber als Be­richt­er­stat­ter habe ich keine Wertung des Eifers zu veranstalten, sondern des Ergebnisses: Gubanovas stimmliche Fertigkeiten reichen für diese Partie nicht hin. (Das wurde allen willig Zu­hö­ren­den bereits in der große Szene Amneris’ mit Aida im zweiten Akt offenbar.)

Denn: Wortundeutlichkeit ist immer ein Zeichen gesangstechnischer Mängel. Und Gubanova sang kaum verständlich. Auch von legato keine Spur. Doch ohne ausreichendes technisches Rüstzeug ist Operngesang nicht möglich. Eine Enttäuschung also. Allerdings eine, für die für Juni 2020 eine Wiederholung geplant ist…

VII.
Gregory Kunde war als Radamès aufgeboten. Der U.S.-Amerikaner weiß sich mit der Erfahrung ei­ner Jahrzehnte währenden Karriere die Partie klug einzuteilen. Nach einer sehr gut gesungenen und entsprechend akklamierten »Celeste Aida« verfiel er in den »Sparmodus«. (Und nein, das Schluß-›b‹ sang er nicht morendo; allerdings doch mit einem im piano endenden messa di voce.)

Die Partie des Radamès hält im Laufe des Abends zu diesem Zeitpunkt abgesehen von den drei be­reits absolvierten noch weitere 18 hohe ›b‹ bereit. Ein wenig ließ Kunde sein Können noch im zwei­ten Bild aufblitzen, ehe er die Kräfte für den dritten und vierten Akt sammelte. »Pur ti ri­veggo, mia dolce Aida« krankte denn auch am fehlenden Animo der Angebeteten, nicht an des Tenors Versuch, die Szene mit Italianità zu gestalten. Interessant, daß sich dieser Radamès bei forte-Höhen am sichersten fühlte, in diesen Regionen auch legato zu singen, zu phrasieren ver­moch­te. (Gäbe es einen Wettbewerb, Kunde eroberte die Krone für den besten Sänger des Abends.)

Erst im Finale des vierten Aktes, bei Verdis genialem Abschiedsduett »O terra addio« der zwei Liebenden, mußte dieser Radamès einbekennen, daß seine Stimme im pianissimo in der Höhe nicht mehr anspricht. Da klang sie fahl. Und ich bedauere, daß Kunde nicht früher und öfter den Weg nach Wien gefunden hat.

VIII.
Carlo Tommasis Ausstattung entführt ins alte Ägypten. Pyramiden bleiben Pyramiden, Hohe­priester sind auf den ersten Blick als solche erkennbar. Zwar spielt man »nach einer Regie von« Nicolas Joel, doch stellen sich in dieser Produktion gastierenden Sängern keine Hürden ent­gegen.
Gäbe es heute auch noch Interpreten, welche diese Partien gesangstechnisch einwandfrei be­herr­schen: Das Intendantenleben könnte so schön sein.

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