Giuseppe Verdi: »Aida«
Wiener Staatsoper
Von Thomas Prochazka
II.
Zwar wollte der Staatsopernchor nicht immer wie der Graben (und schleppte vor allem im zweiten Akt einige Male), doch will ich dieses nicht Marco Armiliato anlasten. Im Gegenteil. Armiliato war bestrebt, den Sängern zu folgen, gewährte da bereitwillig mehr Zeit, animierte dort zu flotterem Weitergang. Und das Orchester folgte willig. Ebensowenig ist dem Maestro anzulasten, daß ich die Sänger oftmals nicht verstand. Denn was soll ein Dirigent tun, wenn die engagierten Sänger größtenteils stimmtechnisch nicht in der Lage sind, ihre Partien zu bestreiten?
(Im Laufe der Begebenheiten wird das alles klar werden.)
III.
Da wäre zum Beispiel Il Re des Peter Kellner: Wie blaß, wie dünn, wie eng klang dessen Baß doch im Vergleich zum vollen Organ des Jongmin Park. Dessen Ramfis war von größerem Kaliber. Verstünde ich (als Beispiel diene die Gerichtsszene des vierten Aktes) auch, was jenes hinter der Bühne sang: Ich wollte jubeln über diese Stimme. So aber bleiben vor allem die unklare Diktion, die Vokalverschiebungen zum Vokal ›o‹ im Gedächtnis. Ist solches nicht ärgerlich?
IV.
Simone Piazzola schien der Partie des Amonasro nicht jenen Stellenwert zuzumessen, welcher Verdi vorschwebte. Piazzolas Bariton klang über weite Strecken trocken und uninspiriert; in der Tiefe kraftlos. Blaß auch im Spiel. Dieser Amonasro hinterließ wenig Eindruck.
V.
Wie der Vater, so die Tochter. Das Schicksal einer Aida entscheidet sich in der ersten Szene des Abends: »Ritorna vincitor! … E dal mio labro usci l‘empia parola!« Verdi führt hier die Sopranstimme durch das passaggio bis zum tiefen ›e‹. Ohne fortgesetzte Aktivierung des Brustregisters ist da kein Staat zu machen. Nämliches gilt für Aidas große Szene »Qui Radamès verrà!« mit ihrem Abschluß »O fresche valli« im dritten Akt. Das sogenannte »Nil-›c‹« (»dolce« notierte Verdi in der Partitur) mit dem darauffolgenden Abstieg bis zum tiefen ›d‹ in derselben Phrase bereitete schon Generationen von — auch großen — Sängerinnen Probleme. Und ist ohne eine in allen Registern sehr gut ausgebildete und durchgehend entwickelte Stimme kaum zu bewältigen.
Elena Guseva bildet da keine Ausnahme. Schon der Aufstieg zum hohen ›c‹ geriet — wie vieles an diesem Abend — scharf. Von pianissimo keine Spur. Ab dem Bereich knapp über dem passaggio bis darunter klang Gusevas Stimme dünn; substanzlos. Als Folge dieses fehlenden Fundaments gerieten denn auch die meisten im Stimmumfang höher angesiedelten Phrasen undeutlich. Und dafür entschädigte auch mancher legato-Versuch nicht.
VI.
Auch die Partie der Amneris hält einiges an technischen Schwierigkeiten bereit; reicht vom hohen Sopran- bis zum tiefen -›c‹. Ekaterina Gubanova mühte sich gewiß nach Kräften. Aber als Berichterstatter habe ich keine Wertung des Eifers zu veranstalten, sondern des Ergebnisses: Gubanovas stimmliche Fertigkeiten reichen für diese Partie nicht hin. (Das wurde allen willig Zuhörenden bereits in der große Szene Amneris’ mit Aida im zweiten Akt offenbar.)
Denn: Wortundeutlichkeit ist immer ein Zeichen gesangstechnischer Mängel. Und Gubanova sang kaum verständlich. Auch von legato keine Spur. Doch ohne ausreichendes technisches Rüstzeug ist Operngesang nicht möglich. Eine Enttäuschung also. Allerdings eine, für die für Juni 2020 eine Wiederholung geplant ist…
VII.
Gregory Kunde war als Radamès aufgeboten. Der U.S.-Amerikaner weiß sich mit der Erfahrung einer Jahrzehnte währenden Karriere die Partie klug einzuteilen. Nach einer sehr gut gesungenen und entsprechend akklamierten »Celeste Aida« verfiel er in den »Sparmodus«. (Und nein, das Schluß-›b‹ sang er nicht morendo; allerdings doch mit einem im piano endenden messa di voce.)
Die Partie des Radamès hält im Laufe des Abends zu diesem Zeitpunkt abgesehen von den drei bereits absolvierten noch weitere 18 hohe ›b‹ bereit. Ein wenig ließ Kunde sein Können noch im zweiten Bild aufblitzen, ehe er die Kräfte für den dritten und vierten Akt sammelte. »Pur ti riveggo, mia dolce Aida« krankte denn auch am fehlenden Animo der Angebeteten, nicht an des Tenors Versuch, die Szene mit Italianità zu gestalten. Interessant, daß sich dieser Radamès bei forte-Höhen am sichersten fühlte, in diesen Regionen auch legato zu singen, zu phrasieren vermochte. (Gäbe es einen Wettbewerb, Kunde eroberte die Krone für den besten Sänger des Abends.)
Erst im Finale des vierten Aktes, bei Verdis genialem Abschiedsduett »O terra addio« der zwei Liebenden, mußte dieser Radamès einbekennen, daß seine Stimme im pianissimo in der Höhe nicht mehr anspricht. Da klang sie fahl. Und ich bedauere, daß Kunde nicht früher und öfter den Weg nach Wien gefunden hat.
VIII.
Carlo Tommasis Ausstattung entführt ins alte Ägypten. Pyramiden bleiben Pyramiden, Hohepriester sind auf den ersten Blick als solche erkennbar. Zwar spielt man »nach einer Regie von« Nicolas Joel, doch stellen sich in dieser Produktion gastierenden Sängern keine Hürden entgegen.
Gäbe es heute auch noch Interpreten, welche diese Partien gesangstechnisch einwandfrei beherrschen: Das Intendantenleben könnte so schön sein.