»Così fan tutte«: Lea Desandre (Despina), Marianne Crebassa (Dorabella) und Elsa Dreisig (Fiordiligi) © Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus

»Così fan tutte«: Lea Desandre (Despina), Marianne Crebassa (Dorabella) und Elsa Dreisig (Fiordiligi)

© Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus

Wolfgang Amadeus Mozart:
»Così fan tutte«

Salzburger Festspiele

Von Thomas Prochazka

Joana Mallwitz und Christof Loy geben auf die unglaubwürdigste Weise die Liebesverstrickungen zweier junger, naiver Paare. Mit einem »guten Onkel« als Spielleiter und einer als Kammerzofe verkleideten petite. Mozarts Così fan tutte — geben sie nicht.

II.
Daß man in Salzburg meinte, man müsse das Werk der Corona-Pandemie wegen, die doch niemals eine »Corona-Pandemie«, sondern immer schon eine COVID-19-Pandemie gewesen ist, auf knapp über zwei Stunden Spielzeit kürzen, Despinas erste, Ferrandos und Guglielmos zweite Arien streichen: es sei. — Ob man auch Wagners Rheingold gekürzt hätte? Und wenn nicht, warum sich nicht auf zweieinhalb Stunden Spieldauer für die Così verständigen und sich anstelle einiger Musikstücke Loys szenischem Leerlauf begeben? Die aktuellen Striche sind begründbar; auch wenn der zweite Akt die Erinnerungen an »Integralfassungen« des ORF aufkommen läßt. Aber in diesem ausgezeichneten Jahr geht es ohnehin um etwas anderes: um 100 oder 101 Jahre Salzburger Festspiele — wer weiß das schon so genau? — und ein, wenngleich für den Steuerzahler kostspieliges, Zeichen.

Dennoch: Diese Produktion krankt am Musikalischen wie am Szenischen. Und weckte in mir Argwohn. (Im Lauf der Begebenheiten wird das alles klar werden.)

III.
Joana Mallwitz am Pult hält bereits im Andante der Ouverture zurück, ehe sie im Presto mit zu straff gehaltenen Zügeln dahin galoppiert. Säßen nicht die Wiener Philharmoniker im Graben, gewohnt, auch mit solcher Direktive umzugehen, als Orchester zu glänzen, wenn der Rest des Abends im Dunkel versinkt: Man geriete noch vor der ersten Szene gehörig außer Tritt. Der Tempowechsel zum Presto zu den Akkorden des später wiederkehrenden »Così fan tutte« vollzieht sich schleichend — warum? Hätte Mozart dies gewollt, er hätte gewiß nicht vergessen, accelerando in der Partitur zu notieren.

Mallwitz wird den ganzen Abend über Andante mehr als Adagio interpretieren, Pausen dehnen, den Fortgang der Musik hemmen. Damit begibt sie sich der Spritzigkeit der Komödie im ersten Akt. Lädt mit leichter Hand Skizziertes mit Erdenschwere auf, die ihm nicht zukommt. Stellenweise, vor allem im zweiten Akt, macht sich Langeweile breit. Mallwitz’ Tempowahl mag Christof Loys veröffentlichten Regieansatz unterstützen. Ihren Sängern erweist die Dirigentin damit keinen Dienst.

Die in Così fan tutte ohnehin nicht überbeschäftigte Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor singt in diesem Jahr maßnahmenbedingt noch weniger. Und tut dies in sehr guter Verfassung unsichtbar von der Seitenbühne, tritt nur für den Schlußapplaus vor den Vorhang.

»Così fan tutte«: Lea Desandre (Despina) und Johannes Martin Kränzle (Don Alfonso) © Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus

»Così fan tutte«: Lea Desandre (Despina) und Johannes Martin Kränzle (Don Alfonso)

© Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus

IV.
Nicholas Rimmer spielte das mit Mikrophon verstärkte Hammerklavier. Und jetzt wird es gefährlich: Denn auch die Stimmen der vier Liebenden klangen über weite Strecken einheitlich laut, hin und wieder klirrend bzw. metallisch. So drängen sich zwei Vermutungen auf: Entweder wissen die Engagierten, ausschließlich auf der Vorderbühne agierend, nicht mehr dynamisch abgestuft zu singen; oder ihre Stimmen wurden elektronisch verstärkt. Ersteres werden die Sänger nicht lesen wollen; zweiteres die Salzburger Festspiele in Abrede stellen.
Was die Wahrheit ist, bringt kein Mensch heraus.

V.
Elsa Dreisig, die Fiordiligi des Abends, ließ nicht nur in den Arien einen überforderten Sopran hören. Die Spitzentöne erklangen durchwegs »gestemmt«, abgesetzt und forte. In der tiefen Lage gebrach es dieser Fiordiligi vielfach am nötigen Stimmvolumen. Das merkte, wer zuhören wollte, vor allem in »Per pietà, ben mio, perdona«, aber auch im einen oder anderen Rezitativ. (Doch hören die Leute heute nicht mehr zu.) Dazu gesellten sich Defizite im legato, wie übrigens bei allen Mitwirkenden.

Die Dorabella war bei Marianne Crebassa dennoch in besseren Händen. (Bliebe nur mehr zu klären, wieso es Juliette Gréco nach Neapel verschlug.) Die Sängerin, im Festspielsommer 2017 als Sesto engagiert, profitierte von der höheren Orchesterstimmung. Inwieweit der metallische Klang ihrer Stimme vor allem in den Orchesternummern des ersten Aktes auf das Bühnenbild zurückzuführen ist, muß sich der Beurteilung entziehen. Crebassas unterentwickeltes legato machte sich jedenfalls in »È amore un ladroncello« störend bemerkbar. In den Rezitativen klang die Stimme der Sängerin mitunter überraschend hell. So blieb ein uneinheitlicher Eindruck.

Lea Desandre war als Despina engagiert. Ich bezweifle, daß die hervorragend aussehende, junge Französin ein Mezzosopran ist. (Nicht, daß dies etwas zur Sache täte, schrieb Mozart Così fan tutte doch für drei Soprane, einen Tenor, einen Bariton und einen Baß.) Denn Desandres Stimme fehlte es durchwegs an der notwendigen Durchschlagskraft. Trotz stimmverstärkendem Bühnenbild (oder anderen Hilfsmitteln). Lesandres Despina klingt mehr nach Ida. Und weniger nach zielbewußter, mit 15 Jahren bereits auf einschlägige Erfahrungen zurückblickende Kammerzofe. In »Una donna a quindici anni« war denn auch der Offenbarungseid zu leisten.

VI.
Bogdan Volkov ist ein lyrischer Tenor, der nach seinem Engagement als Salzburger Ferrando schon bald als Lenski an der Wiener Staatsoper debutieren wird. Volkovs Stimme klang in der Höhe eng, angestrengt und unfrei. Nicht nur »Un’aura amorosa« wäre legato zu singen gewesen. Auch die zahlreichen Ensemble-Aufgaben hätten von einer besseren Gesangstechnik profitiert. In Volkovs Stimme manifestiert sich das alte Leiden jener Tenöre, welche für ihre hohen Töne zum alleinigen Einsatz der Kopfstimme greifen; — vor allem, wenn diese Phrasen piano zu singen wären.

Der Guglielmo dieser Produktion, Andrè Schuen, sang Così fan tutte bereits 2014 unter Nikolaus Harnoncourt konzertant im Theater an der Wien. Des großen und von vielen angefeindeten Steirers Vorstellungen davon, wie Rezitative zu interpretieren seien, ist offenbar schon wieder in Vergessenheit geraten: Schuen ordnete sich den Vorstellungen Mallwitz’ unter, sparte auch in den Rezitativen nicht mit Stimmvolumen. Doch ohne, daß es sich kräftezehrend anhörte. »Non siate ritrosi« absolvierte er einnehmend, obzwar mit denselben Mängeln im legato wie seine Kollegen.

Johannes Martin Kränzle gab den Don Alfonso, »un vecchio filosofo«, wie die Partitur vermerkt. Dieser Don Alfonso will seinen jungen Freunden die Augen für die Wirklichkeit öffnen. Daß das Ende dieser Lektion nicht nur zweimal 1000 Zechinen einbringen, sondern auch zwei jungen Neapolitanern ihre Naivität geraubt haben wird, scheint ihm erst im Laufe der Begebenheiten klar zu werden. Kränzle verlieh vielen Ensembles das notwendige stimmliche Fundament, trotz mancher Schwäche in der Höhe und — ebenfalls — mangelndem legato.

»Così fan tutte«: Marianne Crebassa (Dorabella), Lea Desandre (Despina), Johannes Martin Kränzle (Don Alfonso), Andrè Schuen (Guglielmo), Bogdan Volkov (Ferrando) und Elsa Dreisig (Fiordiligi) in der Inszenierung von Christof Loy und den überaus phantasievollen Kostümen von Barbara Drosihn © Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus

»Così fan tutte«: Marianne Crebassa (Dorabella), Lea Desandre (Despina), Johannes Martin Kränzle (Don Alfonso), Andrè Schuen (Guglielmo), Bogdan Volkov (Ferrando) und Elsa Dreisig (Fiordiligi) in der Inszenierung von Christof Loy und den überaus phantasievollen Kostümen von Barbara Drosihn

© Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus

VII.
Die Diskussion darüber, ob Christof Loy diese (oder eine ähnliche) Arbeit bereits 2008 in Frankfurt präsentierte: Sie ist müßig. Die entscheidenden Fragen lauten: Ist die Inszenierung gut? Wird das Stück verhandelt? Wird die Geschichte — auch im Hinblick auf Bühnenbild und Kostüme — glaubwürdig erzählt?

Eher nein.

Loys Figuren sind zu sehr im Hier und Heute verhaftet, als daß sie uns auf eine emotionale Reise mitnähmen. Da Pontes und Mozarts Augenzwinkern, ihre ironischen Randnotizen laufen ins Leere. Loy drängt uns in die Rolle der Beobachter, wo es doch um’s Miterleben ginge. Kehrt den Intellekt hervor, wo Berührung herrschen sollte. (Oder doch zumindest Amusement.) Es ist dies sein Markenzeichen; und ein nun schon Jahre währender Irrtum. Denn längst hat dieser Spielvogt das ancien régime auf dem Misthaufen der Opern­geschichte entsorgt. Daß Così fan tutte darauf fußt — es kümmert Loy ebensowenig wie jene, die in engagieren.

Da sind zum einen die handwerklichen Unzulänglichkeiten: Wenn Ferrando und Guglielmo im ersten Terzett mit Don Alfonso damit drohen, ihre Degen zu ziehen, Barbara Drosihn bei den Kostümen nur leider keine vorgesehen hat. Oder wenn die jungen Liebhaber als »Turchi« oder »Valacchi« verkleidet wiederkehren sollen, ihre Kostüme allerdings mehr nach Wilhelm Busch aussehen. Max und Moritz in Neapel. Zum anderen torpediert Loy im Finale des ersten Aktes all seine Ernsthaftigkeit. Welches halbwegs intelligente Mädel unserer Tage glaubt, daß das Schwingen eines »Mesmerschen Steins« eingenommenes, tödliches Gift neutralisiert? 

Das Bühnenbild von Johannes Leiacker besteht aus einer die Bühnenbreite einnehmenden, weißen Wand mit zwei überdimensionalen Flügeltüren. Geöffnet, geben sie den Blick auf ein weiteres, dahinter aufgebautes Türenpaar frei. Im zweiten Akt wird sich diese Wand teilen und, teilweise zu den Seiten gefahren, für die Verführungsszenen den Blick auf einen im Bühnenschatten eingebetteten Laubbaum freigeben.

Die nicht allzu tiefe, weiße Spielfläche befindet sich fast zur Gänze auf der Vorderbühne. Sie wird durch eine Treppe mit dem Orchestergraben verbunden. Der Triumph des Mini­malismus. Doch Mangel an Phantastischem bedeutet nicht automatisch die Anwesenheit von Gehaltvollem, stetes Hin- und Widerlaufen nicht Ersatz für eine temporeiche Personen­führung. Im Gegenteil, man lagert immer wieder, auf den nächsten Auftritt wartend, auf der Treppe. Oder lehnt an den Bühnenportalen.

VIII.
Der Spielvogt dekretiert den Realismus unserer Tage — einerseits. Und bricht laufend mit ihm — andererseits. Fordert dessen Akzeptanz vom Publikum. Und stößt doch Despina mit einem leeren Behälter und einem Schneebesen krachmachend auf die Bühne, während sie uns, dem Publikum, weiszumachen hat, in dem Topf befinde sich Schokolade. 

Die Kunst jener Zeit, Figuren aus dem Spiel heraustreten zu lassen, sich direkt ans Publikum zu wenden (wie es Despina in ihrer Auftrittsszene tun sollte), ging uns lang schon verloren. Die sotto voce-Kommentare der als Max und Moritz verkleideten »Valacchi« verpuffen, wenn Don Alfonso in zehn Meter Entfernung steht. Und wie glaubhaft ist es, wenn er in anderer Nummer, mit dem Rücken zum Spiel sitzend, dieses kommentiert?

Loy zeigt sich auch konsequent in der Ignoranz der Spielanweisungen von Mozart und Da Ponte: »S’alza di sipario« (»Der Vorhang öffnet sich«) steht über den ersten Takten der ersten Szene. Doch Vorhang gibt es keinen. Dafür zeigt sich die Bühne bereits mit dem ersten Akkord erhellt (Licht: Olaf Winter). Fiordiligi und Dorabella betreten während der Ouverture die Spielfläche. Lagern auf der Treppe zum Orchestergraben. (Regietheater vom feinsten.) Warum? Vielleicht, weil sie erst in der vierten Szene erstmals auftreten und die Wege im Festspielhaus so lang sind?

IX.
Nein, nein, festspielwürdig war wenig an diesem Abend.
Aber darum scheint es in Salzburg ja schon lange nicht mehr zu gehen.

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