»L’Italiana in Algeri«, 1. Akt: Mustafà (Adam Plachetka) wirbt um die Italienerin Isabella (Margarita Gritskova) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»L’Italiana in Algeri«, 1. Akt: Mustafà (Adam Plachetka) wirbt um die Italienerin Isabella (Margarita Gritskova)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Gioachino Rossini:
»L’Italiana in Algeri«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

An der Staatsoper gab man gestern Rossinis 1813 uraufgeführtes Meisterwerk, von dessen Musik Stendhal einmal behauptete, sie vertreibe alle Traurigkeit der Welt. Gedacht als Atemholen vor dem vorösterlichen Paukenschlag der neuen Parsifal-Produktion.
Ich konstatierte schwere Atemnot.

II.
Viel vazierendes Volk zählte man gestern im Haus am Ring. Was es zu hören bekam, war »nach Rossini«, als hätte es niemals einen Alberto Zedda und eine kritische Ausgabe gegeben. Ich vermißte vieles in der Partitur Notiertes und hörte zugleich vieles, das nicht drinnensteht.

Evelino Pidò, in Wien zum ersten Mal am Pult für L’Italiana in Algeri, durchmaß die Partitur teils in atemberaubend gehetzten Tempi, teils mit nicht nachvollziehbaren rubati. Daß ihm das Staatsopernorchester (unter Volkhard Steude) willig folgte, machte die Angelegenheit nicht besser. Daß der Staatsopernchor als Sieger nach Punkten vom Platz ging, ebenfalls nicht.

Der Abstimmungsprobleme mit der Bühne waren zu viele, um einzeln aufgezählt zu werden. Die Unstimmigkeiten im Finale des ersten Aktes und dem Quintett im zweiten waren aber auch für des Werkes Unkundige nicht zu überhören.

III.
Maxim Mironov gab einen quirligen Lindoro mit netter Stimme, ließ den einen oder anderen Spitzenton Spitzenton sein und sang den Abend »nach Hause«. Mironov verfügt über eine nicht allzu große Stimme, weiß diese aber seinem Können gemäß einzusetzen. Daß ein Lindoro auch mit eleganter Linienführung gesungen werden kann… Ich hätte es gerne gehört.

Paolo Rumetz gab mit dem Taddeo den zweiten Liebhaber Isabellas und präsentierte sich in weitaus besserer stimmlichen Verfassung als zuletzt.

Adam Plachetka sang zum zweiten Mal in Wien den Mustafà. Bei seinem Debut war er für Ferruccio Furlanetto eingesprungen. Die Parlando-Passagen bereiteten ihm gestern abend keine Schwierigkeiten. Allerdings wartete auch er mit seiner eigenen Fassung auf. Plachetka nahm dem Mustafà in der Darstellung jede nobilità, welche dieser Figur doch auch innewohnt … Hanswurst. Auch  blieben einige Wünsche betreffend die musikalische Gestaltung offen, der Vortrag uneinheitlich.

Der Haly war erstmals Rafael Fingerlos anvertraut worden. Eine nette Baritonstimme konnte man in seiner aria dell‘ sorbetteria »La femme di Italia« vernehmen. Aber ich will nicht verhehlen, daß allein die Idee, Fingerlos könne im Haus am Ring einen Figaro singen, ein weiteres Mysterium der an Mysterien wahrlich nicht armen Besetzungspolitik der Staatsoper darstellt…

IV.
Hila Fahima verlieh der Elvira Spiel und Stimme und überzeugte vor allem im oberen Register, wenngleich ihre Stimme in den Spitzentönen im Finale des ersten Aktes forciert klang. Rachel Frenkel blieb als Zulma unauffällig.

V.
Leider kann von Margarita Gritskovas Leistung als Isabella nämliches nicht berichtet werden. Mit gutturalem Ton im tiefen und dem Bemühen um Leichtigkeit im hohen Register scheiterte die Russin bei ihrem Wiener Rollen-Debut grandios. Outrage. Unsicherer Stimmsitz, in einer Phrase wechselnde Stimmfarben, mit zu kurzem Atem gesungene Phrasen, unterschlagene Noten: — all das ward gestern im Übermaß geboten. … »You must check what the guy wrote. You can’t take the easy way out«, hätte die große Marilyn Horn schonungslos konstatiert.

Eventuell wäre seitens der Abendspielleitung auch noch das eine oder andere Gespräch betreffend die Rollengestaltung zu führen: — daß eine Isabella Taddeo nach dessen Ernennung zum Kaimakan »thumbs up« zeigt, wäre dem seligen Jean-Pierre Ponnelle in seinen Albträumen nicht eingefallen.

VI.
Die gestrige Vorstellung: eine Leistungsschau des Hauses mit Ensemble-Mitgliedern in führenden Partien. Eine Offenbarung. Eine allerdings, auf welche man lieber verzichtet hätte.

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