Politisch korrekt.

Von Thomas Prochazka

Brief an einen Hofoperndirektor.

Sehr geehrter Herr Hofoperndirektor,
lieber Freund!

Der Herr Staatskanzler hat mich beauftragt, Dich davon in Kenntnis zu setzen, daß die für die nächsten Tage geplanten Aufführungen des Singspiels » Die Entführung aus dem Serail « der aktuellen Ereignisse wegen nicht stattfinden können. (Aus Gründen der Staatsraison muß allerdings jede Diskussion, um welche aktuellen Ereignisse es sich genau handelt, unterbleiben.) Um mit dem über alle Zweifel erhabenen Doderer zu sprechen: Es kommt eben immer etwas vor, sagte der Ober in dem Café in Wien-Ottakring, als eben wieder einer totgestochen am Boden lag.
Du verstehst, mein Lieber; — nicht wahr?

Als zweiten Grund führte der Herr Staatskanzler die Tatsache an, daß in besagtem Singspiel des Herrn Compositeur Mozart der Eindruck erweckt wird, das Serail sei ein Ort, an welchem es sich nicht gut leben ließe. Dieser Eindruck muß — vor allem im Hinblick auf den weiblichen Anteil unserer muslimischen Bevölkerung — in jedem Fall vermieden werden. Andernfalls könnte sich unsere Staatsmacht in vielzähliger Weise mit aufrührerischem Verlangen häuslicher Natur konfrontiert sehen. Weiterhin steht zu befürchten, daß die Darstellung einer Person mit Namen » Blondchen « auf einer staatlichen Bühne das Selbstbewußtsein unserer oftmals sorglos gefärbten, aus den östlichen Ländern zugezogenen Bewohnerinnen, unbeschadet ihrer Haarlänge, in geradezu zerstörerischen Ausmaße herabzusetzen geeignet ist. Eine solche Spaltung der Gesellschaft muß in jedem Fall vermieden werden.

Zu guter Letzt will ich daran erinnern, daß der Name des Compositeurs untrennbar mit einer kugelförmigen Patisserie-Spezialität verbunden ist, deren Genuß, wie mir Koryphäen am Allgemeinen Kranken-Haus zu Wien darlegten, Übergewicht und Zuckerkrankheit hervorzurufen geeignet scheint. Um die leeren Staatskassen nach der mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln meisterhaft bekämpften Pandemie nicht noch weiter zu belasten, muß die Regierung daher darauf bestehen, bis auf weiteres von allen als Animation zum Konsum solcher Genußmittel mißzuverstehenden Aktivitäten abzusehen. Der Volkskörper muß so gesund und schlagkräftig wie möglich erhalten werden!

In einem Kulissengespräch geruhte der Herr Staatskanzler allerdings in seiner niemals versiegender Klugheit anzuregen, anstelle dessen doch » Die Fledermaus « des unsterblichen, unseres unsterblichen Johann Strauß auf den Spielplan zu setzen. Diesem Begehren schließe ich mich uneingeschränkt an. Mitreißende Musik, bekannte Melodien, ein prachtvolles Bühnenbild und ebensolche Kostüme, nicht zu vergessen das glückliche Ende des Abends für alle Beteiligten: Das ist es, wessen unser Volk in diesen Zeiten bedarf!

Auch gebe ich zu bedenken, daß in diesem Stück anschaulich dargestellt wird, wie Vodka rasch und in großen Mengen der Vernichtung zugeführt werden kann. Nach diesem Vorbild wird, dies in die breite Öffentlichkeit tragend, eine nicht zu unterschätzende Schwächung des Feindes eintreten! (Eventuell wären die Herrn Redakteure der diversen Journale noch einmal gesondert auf diesen Punkt hinzuweisen.) Des weiteren riet der Herr Staatskanzler dringend zur Repetition des Finales des zweiten Aktes, um der Notwendigkeit der Unterstützung unserer französischen Brüder gebührend Ausdruck zu verleihen: Der Champagner-Verbrauch muß auch hierzulande deutlich und in allen Gesellschaftsschichten ausgeweitet werden, um den zu erwartenden Einbußen dieses, eine Säule der Wirtschaft unserer französischen Freunde bildenden Wirtschaftszweiges entschieden entgegenzuwirken. Es ist solches in diesen Stunden die patriotische Pflicht eines jeden aufrechten Europäers!

À propos Champagner: Der Herr Staatskanzler ließ durchblicken, daß er in seiner übergroßen Huld und zur Hebung der öffentlichen Moral beabsichtigt, der ersten Vorstellung persönlich beizuwohnen. Er erwartet an diesem Abend selbstverständlich die Besetzung unserer Protégés, der Demoiselles Elßler und Taglioni, in Hauptrollen des Balletts. (Wir beide sind der für Dich schmeichelhaften Meinung, daß Du Dein Handwerk genug verstehst, um solch eine kleine Änderung auf eins, zwei umzusetzen.) Wir werden also die Ehre haben, die Demoiselles nach dem zweiten Akte in den beiden Separées des Direktionstraktes begrüßen zu dürfen. Ich bin zuversichtlich, daß Du Dich darin übertreffen wirst, aus dem Hof-Opern-Etat für die entsprechenden Soupers und ausreichend Champagner Sorge zu tragen.

Ich bedanke mich — auch im Namen des Herrn Staatskanzlers — bereits im voraus für Deine Bemühungen und grüße Dich mit vorzüglicher Hochachtung …
Servus, mein Lieber!

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