»Dantons Tod« © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Dantons Tod«

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Gottfried von Einem: »Dantons Tod«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Der Österreicher begeht gerne Jubiläen. (Der Franzose weniger. Aber er läßt sich überzeugen. So liest man’s zwischen den Zeilen des von Prof. Walter Blovsky verfaßten Vorworts.) Also denn: Zum 100. Geburtstag Gottfried von Einems kehrte uns nach Der Besuch der alten Dame im Theater an der Wien auch Einems erste Oper, Dantons Tod, wieder. Diesfalls im Haus am Ring.

Wiederum: mehr Theater denn Oper. Doch, gerade in unserer Zeit: ein wichtiger Abend, über welchen nachzudenken lohnt. (Eine Aufgabe für das Parkett.)

II.
Boris Blacher, Einems Kompositionslehrer und väterlicher Freund, kürzte Georg Büchners Theaterstück ein und strich vor allem jene Passagen, in welchen der Schriftsteller Philosophisches zum besten gab. (Gibt es etwas Erbaulicheres, als in freudiger Erwartung des Revolutionstribunals als Gefangener im Palais des Luxembourg die Frage zu erörtern, ob es einen Gott gibt?)

III.

In Wien spielt man die Werkfassung von 1955: Mit den fünf wuchtigen Akkorden der Blechbläser (wie in der Tosca) anstelle das Vorspiels, das 1947 anläßlich der Salzburger Uraufführung erklang. Ohne das orchestrale Zwischenspiel nach Dantons Tod. Und mit der überarbeiteten Schlußszene der Lucile (eigentlich Anne Lucile Philippe Laridon Duplessis). Daß Einem Lucile (doch eigentlich eine Nebenpartie) als verständnislosem Opfer der Revolution beide Finali überließ: Zeugnis seines Theaterinstinkts. Daß der historische Maximilien de Robespierre die Hochzeit Luciles mit Camille Desmoulins beurkundete und Pate von Luciles Kind Horace Camille war, lehrt uns mehr über das Wesen von Revolutionen als Büchners Stück und Einems Oper zusammen: Es geht immer nur um die Sache…

Die fünf Schlußakkorde schließlich: Sie fungieren im Zusammenspiel mit jenen des Beginns als musikalische Klammer.

»Dantons Tod«: Camille Desmoulins (Herbert Lippert), Georg Danton (Wolfgang Koch) und Hérault de Séchelles (Jörg Schneider) vor dem Revolutionstribunal © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Dantons Tod«: Camille Desmoulins (Herbert Lippert), Georg Danton (Wolfgang Koch) und Hérault de Séchelles (Jörg Schneider) vor dem Revolutionstribunal

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

IV.
Einems Musiksprache in Dantons Tod ist stärker, überzeugender als jene für Der Besuch der alten Dame. Vor allem die orchestralen Zwischenspiele des zweiten Teils sowie das im Volkston erklingende (und darum umso bösere) Lied der Henkersknechte (Wolfram Igor Derntl und Marcus Pelz) machen Eindruck. Nicht nur in der Tribunalszene türmen sich die Klangmassen, auch schon im ersten Teil gewährte Einem dem Orchester jede Menge Mitspracherecht. Vielleicht sogar zuviel… Oder lag dies an Susanna Mälkkis Leitung? Die Haus-Debutantin versah ihren Pultdienst mit klarer Zeichengebung, untrügliches Zeichen dafür, daß sie gewohnt ist, modernes Repertoire zu dirigieren.

V.
Allerdings: Große Bewegungen bilden nicht nur für das Staatsopernorchester (am Konzertmeisterpult José Maria Blumenschein), sondern auch für den Staatsopernchor Anreiz, die Lautstärke zu erhöhen. Dies Lärmen begab sich einige Male; — es erleichterte den Solisten ihre Aufgaben nicht.

Dennoch: Es reizte, den von Mälkki gewonnen Eindruck einmal bei der Leitung einer Mozart-Oper zu überprüfen.

»Dantons Tod«: Robespierre (Thomas Ebenstein) und das Volk © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Dantons Tod«: Robespierre (Thomas Ebenstein) und das Volk

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

VI.
Wolfgang Koch ließ als Georg Danton auch noch vor dem Revolutionstribunal jene Kraft vermissen, welche sein Überleben zu sichern imstande gewesen wäre. Die Größe seiner Redekunst: geopfert am Altar stimmlicher Zurückhaltung.

Dafür sangen Jörg Schneider als Hérault de Séchelles und Thomas Ebenstein als Robespierre sehr wortdeutlich: Mit der sinnlichen Kraft seiner lyrischen Tenorstimme der eine, mit der Charakterstimme des tugendhaften Revolutionsführer der andere. Robespierres Zweifel, als er an Camille dachte: Ebenstein wußte sie überzeugend zu gestalten.

Ebenso wortdeutlich und gut bei Stimme waren Clemens Unterreiners Herrmann und der Simon Wolfgang Bankls; rollendeckend, nicht mehr, der Saint Just des Ayk Martirossian, die Julie Alexandra Yangels, Ildikó Raimondis Dame und Lydia Rathkolbs Weib.

VII.
Herbert Lippert verlieh dem Camille Desmoulins Spiel und Stimme. Sein Bemühen will ich gerne anerkennen, aber … für diese Partie wünschte man sich eine kräftigere und vor allem dunkel timbrierte Stimme: mit jener »festen, vollen Tongebung« und »sicherer Stimmführung«, von welcher Erich Seitter im Programmheft schreibt. Lucile, seine Frau, war bei Olga Bezsmertna auch stimmlich in guten Händen, sieht man von ihren üblichen technischen Mängeln ab. Die beiden Ariosi gelangen überzeugend. Darüber, daß ihr Wahnsinn im Finale des zweiten Teil völlig ausgeblendet wurde, sollte Josef Ernst Köpplinger, der Spielleiter des Abends, noch einmal nachdenken: Es geht der Partie etwas ab…

»Dantons Tod«: Olga Bezsmertna als Lucile, die Frau Camille Desmoulins, im Finale der Oper © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Dantons Tod«: Olga Bezsmertna als Lucile, die Frau Camille Desmoulins, im Finale der Oper

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

VIII.
Rainer Sinell schuf für das von Köpplinger ersonnene Treiben ein naturalistisches, für das Revolutionsjahr 1794 durchaus denkbares Bühnenbild, Alfred Mayerhofer ebensolche Kostüme. Die Spielleitung erschien insgesamt zurückhaltend, wie um ja nicht zuviel Bewegung der Hauptfiguren zuzulassen. Nun, ein bisserl interessanter hätt’s schon sein dürfen, nicht nur, aber auch in der Tribunalszene. Stark allerdings das Schlußbild mit dem Haufen der Guillotinierten. Mahnmal auch des großen Mordens 150 Jahre später.

IX.
Die Parallelen zum Hier und Heute — die Beeinflußbarkeit der Massen — wurden für alle, die hinsehen wollten, deutlich: Es sind die gedankenlosen »follower« und »likes«, die perfiden Einflüsterer. Und jene, welche heute die Bürgerrechte beschneiden, werden morgen von ihren Nachfolgern mit eben jenen Instrumenten gerichtet, welche sie selbst schufen. Die Revolutionen: Sie fressen ihre Kinder noch immer.

Dies aufzuzeigen: Berechtigung genug, Dantons Tod auf den Spielplan zu setzen. Jetzt müßten wir’s nur noch verstehen…

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