»Elektra«: Elena Pankratova bei ihrem Wiener Rollen-Debut als Elektra © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Elektra«: Elena Pankratova bei ihrem Wiener Rollen-Debut als Elektra

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Richard Strauss: »Elektra«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Man gibt Elektra; — erstmals mit Ingo Metzmacher am Pult des Staatsopernorchesters. Das Ergebnis: »Strauss-Festtage«. Endlich.

II.
Die Zurücknahme ins piano nach dem die Oper fortissimo einleitenden Agamemnon-Akkord — ließ Großes hoffen. Und man wurde nicht enttäuscht: Schon lange nicht waren die Dialoge der Mägde so spannend (weil verständlich) gewesen, machten die unseligen Ideen des Spielvogt Uwe Eric Laufenberg und die häßlichen Kostüme Marianne Glittenbergs vergessen. (Ich schrieb es bereits.)

Ingo Metzmacher und das Staatsopernorchester ließen Strauss’ Partitur in allen Farben schillern und funkeln. Metzmacher forderte dem Orchester immer wieder piani ab, ließ ungezügelte Lautstärke nur an den Instrumentalstellen zu — und erreichte dieserart die Freilegung der musi­kalischen Strukturen. Nebst einer Dynamik, welche Opernfreunde zu oft entbehren müssen.

Die Folge: Die Sänger liefen samt und sonders zu großer Form auf … ohne Angst, forcieren zu müssen. Strauss’ Motive traten stärker hervor, musikalische Zusammenhänge wurden offengelegt: Elektras Tanz-Thema beispielsweise, welches zum Ende ihrer ersten großen Scene in Es-Dur erklingt, der männlichen Tonart des alles beherrschenden Vaters (und Königs von Mykene). In Elektras letzten Scene wird es wiederkehren. Dann allerdings nach E-Dur transformiert, der Liebestonart.

Die Erkennungs-Scene Elektra/Orest — nicht Lärm wie so oft, sondern kunstvolles, durch­hörbares Übereinanderstapeln mehrerer Motive.

III.
Solche Abende, man hörte es, machen auch den Sängern Spaß. Waltraud Meier — sie kehrte uns als Klytämnestra wieder — entwarf das Psychogramm einer unglücklichen, in ihren Zwängen gefangenen Frau. Stimmlich tadellos, mit hervorragender Diktion, wehrte die geborene Würzburgerin den simplen Zuschreibungen ihrer Partie von Gut und Böse.
Und immer wieder: Kammermusik aus dem Graben, so, wie’s in der Partitur geschrieben steht.

IV.
Norbert Ernst, bis zum Ende der letzten Spielzeit Ensemble-Mitglied der Staatsoper, kehrte als Aegisth zurück. Seine Stimme klang rund, gesund, an diesem Abend, in bester Spieltenor-Manier. Ernsts Textdeutlichkeit: ausgezeichnet. Und plötzlich begann Hofmannsthals Text zu leben, eignete dem Dialog zwischen Aegisth und Elektra jene Spannung, welcher man sich zu oft begeben muß. Allein die Doppeldeutigkeiten, welche Hofmannsthal Elektra in den Mund legte…!

V.
ElektraElena Pankratova sang sie, in dieser Serie ebenfalls zum ersten Mal im Haus am Ring. Die Russin profitierte wohl am meisten von Metzmachers Interpretation. Pankratova präsentierte sich (nach einer Turandot, welche doch einige Wünsche offenließ) mit gut geführter Stimme und ebensolcher Diktion. Eine bemerkenswerte Leistung.

Gleiches gilt’s vom Orest des Johan Reuter zu berichten. Die Stimmgewalt eines Falk Struckmann steht dem Dänen nicht zu Gebote — aber mit Metzmachers Unterstützung gelang ein stimmiges Rollen-Portrait, eine spannende Erkennungs-Scene mit Elektra inclusive.
Dazwischen: immer wieder Kammermusik aus dem Graben…

VI.
Gun-Brit Barkmin sang, nein, war Chrysothemis, das dritte der Königskinder. Und welch eine Chrysothemis sie war! Überzeugend im tiefen Register, mit focussierter Stimme im hohen… Die Kindfrau … Elektras alter ego … mit mitreißender stimmlicher und schauspielerischer Präsenz! Diese Eindringlichkeit in Chrysothemis’ erster Scene … diese unmittelbar fühlbare Verzehrung bei ihren Worten »Kinder will ich haben« … dieses schwärmerische Aufblühen in der Stimme … herrlich!

VII.
Diese Elektra: »Strauss-Festtage«. Endlich.

79 ms