
»Schwanensee«, 3. Akt: Das corps de ballet der Opéra national de Paris
© Opéra national de Paris/Julien Benhamou
Piotr Iljitsch Tschaikowski:
» Le Lac des cygnes «
Opéra national de Paris
Von Thomas Prochazka
Mit Valery Ovsyanikov steht ein erfahrener Ballettdirigent am Pult des Orchestre de l’Opéra de Paris. Im dezenten Bühnenbild Ezio Frigerios und den wunderbaren Kostümen von Franca Squarciapino, an Renaissance-Gemälde erinnernd, wird eine der bekanntesten Geschichten der Ballettliteratur erzählt.
Neben der Schwanenkönigin gibt es in dieser Fassung noch eine weitere Doppelrolle. Der Erzieher des Prinzen, Wolfgang, und der Zauberer Rothbart verschmelzen förmlich ineinander. Thomas Docquir, seit 2015 im Ensemble, seit 2017 coryphée, tanzt die anspruchsvolle Partie des manipulierenden Weggefährten Siegfrieds. Hierfür ist neben der Pantomime auch Virtuosität gefragt, da in dieser Fassung Rothbart ein Solo im großen pas de deux im dritten Akt bekommt. Die tänzerische Aufwertung der Partie führt zu einem viel stärkeren Spannungsverhältnis zwischen den Protagonisten. Das Maskuline wird in dieser Fassung sehr viel deutlicher in den Vordergrund gerückt und bietet somit einen Gegenpol zu den dominierendem weißen Akten.
In Hugo Marchand erleben wir einen Prinzen wie aus dem Bilderbuch. Weltfremd, verträumt wirkt er bis in den dritten Akt hinein, bis ihm Rothbart die Konsequenzen seines Tuns, nach dem Verrat an Odette, vor Augen führt.
Tänzerisch auf sehr hohem Niveau, erleben wir eine Feinheit, ja Noblesse im Ausdruck, die die Arbeit und Kraft hinter dieser Arbeit vergessen machen. Selten sah ich diese Soli und Ensembles so schwerelos. Hier gelingen die Touren, die Sprünge und vor allem die Landungen schier mühelos. Da gibt es kein Nachsetzen in den Positionen, Marchand beherrscht seine Technik perfekt, die pliés sind weich und kraftvoll zugleich. Der Boden scheint unter ihm nachzugeben. Nie entsteht ein gehetzter Eindruck. Ganz im Gegenteil, es wird fast mit Verzögerungen gespielt, die dem Tanz eine ganz eigene Dynamik verleihen.

»Schwanensee«, 3. Akt: Hugo Marchand als Prinz Siegfried
© Opéra national de Paris/Julien Benhamou
Ähnliches läßt sich auch von Valentine Colasante, der Odette/Odile des Abends sagen. Fast nonchalant erscheint das erste Auftreten, eher beiläufig. Ihre Odile ist da von ganz anderem Schlag. Fordernd, ja herausfordernd umgarnt sie Siegfried. Daß der pas de deux des schwarzen Schwans hier zum pas de trois wird, verstärkt den Eindruck noch. Im letzten Akt wird sie wieder zum ätherischen Schwan, der dennoch in seiner Verzweiflung sehr energisch ist. Der Versuch, Siegfried vor Rothbart zu retten, scheitert. Sie wird in die Lüfte getragen, während der Prinz in den Nebeln des Tränensees verschwindet.
Einen großen Anteil am Erfolg des Abends hat das Corps de ballet. So exakt, so unisono sind die Schwäne nur ganz selten. Fast scheint es ein großer Körper zu sein. Dies das Ergebnis einer jahrhundertealten Tradition, die hier in Paris praktiziert wird: Kommt doch nahezu die ganze Compagnie aus der eigenen Schule. Da gibt es keine Eigenheiten aus anderen Ausbildungsstilen. Hier wird von Kindesbeinen an einem Stil gearbeitet, der dann zu diesem großartigen Ergebnis führt.
Die kleinen Schwäne sind exakt und virtuos. Und endlich sah ich einmal große Schwäne, die die Eleganz dieser großen Vögel zeigen und nicht die Schwerfälligkeit, die sie kaum vom Boden kommen läßt. In Paris gleiten sie sanft über den See.
Aiuch die drei Tänzer des pas de trois aus dem ersten Akt sollen nicht unerwähnt bleiben: Aubane Philbert, Naïs Duboscq und Axel Magliano tanzen diese wunderbaren Soli. Ein erster Höhepunkt des Abends.
Eine Vorstellung wird es in dieser Serie noch geben. Nachdem seit 1984 immerhin schon etwas über 290 Vorstellungen getanzt wurden, darf man davon ausgehen, das Nurejews Schwanensee auch in den nächsten Jahren immer wieder den Weg auf den Spielplan der Pariser Oper finden wird. Ein Besuch ist unbedingt empfehlenswert.