Eine Produktion geht baden: Alexandra Liedtke versenkt »Samson et Dalila« trotz Elīna Garanča (Dalila) und Roberto Alagna (Samson) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Eine Produktion geht baden: Alexandra Liedtke versenkt »Samson et Dalila« trotz Elīna Garanča (Dalila) und Roberto Alagna (Samson)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

Camille Saint-Saëns:
»Samson et Dalila«

Wiener Staatsoper

Von Thomas Prochazka

Eine Produktion geht baden — im wahrsten Sinne des Wortes. Alexandra Liedtkes Spielleitung offenbart eine so erschreckende Ahnungslosigkeit des Métiers, daß selbst die musikalische Seite keine Rettung bringen kann. Mögen sich da Sänger, Dirigent und Orchester auch noch so anstrengen.

II.
Der Höhepunkt des Abends: Wieder einmal erwies sich das Staatsopernorchester als Atout. Wie fein abgestimmt das Vorspiel erklang, die Chorfuge der Hebräer im ersten Akt begleitet, Dalilas »Mon cœur s’ouvre à ta voix« grundiert ward: Daran kann man ermessen, welchen Schatz dieses Opernhaus birgt. Marco Armiliato am Pult setzte diesmal nicht auf Lautstärke, sondern auf die Durchsichtigkeit des Orchestersatzes. Immer bemüht, den Sängern zu dienen, spannte er die Bögen, daran sich diese halten konnten. Es sollte ihre einzige Hilfe sein an diesem Abend.

Nach ein, zwei wackeligen Einsätzen zu Beginn dankte es auch der Staatsopernchor (Chor­leitung: Thomas Lang). Und entledigte sich der ihm gestellten Aufgaben mit grandezza und jener in vielen Produktionen erworbenen Abgeklärtheit, welche als einzige hilft gegen geforderte scenische Dummheiten.

III.
Es war der Abend des Roberto Alagna. Wie der gebürtige Franzose sich bei seinem inter­nationalen Rollen-Debut mit Stentorstimme der Partie des Samson annahm, mehr oder weniger den Abend trug: Dafür ist ihm uneingeschränkt Respekt zu zollen. Da warf sich einer in die Schlacht ohne Rücksicht auf Verluste.

Ausgefeilte Differenzierung in der Dynamik stand ja nicht zu erwarten. Dafür erzählt Alagnas Stimme stolz von seinen Sängersünden. Allerdings: Wie er den Anführer seines Volkes, den Dalila Begehrenden auch stimmlich zu gestalten weiß, gelingt so mitreißend, daß man ihm die eine oder andere stimmliche Unsauberkeit nachsieht.

»Samson et Dalila«, 1. Akt: Samson (Roberto Alagna) erliegt den Reizen Dalilas (Elīna Garanča) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Samson et Dalila«, 1. Akt: Samson (Roberto Alagna) erliegt den Reizen Dalilas (Elīna Garanča)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

IV.
Es wurde nicht, wie vielleicht erhofft, der Abend der Elīna Garanča: Immer wieder machte ihre Stimme deutlich, daß ihr die Tessitura der Dalila zu tief liegt. Immer wieder wechselte Garančas Stimme beim Abstieg ins tiefe Register die Farbe, verlor an Volumen. Vor allem im ersten Akt mußte oftmals »nachgedrückt« werden. Die Tessitura von »Mon cœur s’ouvre à ta voix« liegt höher, ebenso die große Scene im dritten Akt. In diesen Passagen spielte Garanča auch jene stimmlichen Trümpfe aus, derentwegen wir sie so schätzen: legato gesungene Linien, hervorragende Phrasierung…

Allerdings: Garanča nähert sich der Partie der Dalila bei ihrem Rollen-Debut nur, vermag sie sich nicht zu eigen machen. Sie bleibt reserviert, fast kühl. Das Feuer der Leidenschaft (nicht einmal jenes der Liebe) lodert nicht, im Gegenteil: Fast konnte man den Eindruck gewinnen, Garanča fühlte sich sehr unwohl, erfüllte bloß einen Contract…

Ob und inwieweit das scenische Desaster des Abends dafür verantwortlich zeichnet, bleibt abzuwarten. Starkes Indiz dafür: Garanča trug im ersten Akt Schuhe, welche nicht zum restlichen Kostüm paßten; dafür allerdings zum eisblauen Kleid des zweiten Aktes (Kostüme: Su Bühler). In diesem Akt trug sie allerdings ein Paar flacher Schuhe, als ob sie die Bühne nicht barfuß betreten wollte.

V.
Der Oberpriester des Dagon, Carlos Álvarez, klang wenig ehrfurchtgebietend. Kaum furcht­einflößend. Mehr Sulpice denn Oberpriester. Nur stellenweise drang jene Dämonie durch, kraft derer sich der Oberpriester gegen Dalila durchsetzen, sie zur Mitwirkung an Samsons Gefangennahme überzeugen kann.

»Samson et Dalila«, 1. Akt: Oberpriester des Dagon (Carlos Álvarez) an der Leiche des von Samson getöteten Abimélech (Sorin Coliban) © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

»Samson et Dalila«, 1. Akt: Oberpriester des Dagon (Carlos Álvarez) an der Leiche des von Samson getöteten Abimélech (Sorin Coliban)

© Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn

VI.
Sorin Coliban war als Abimélech aufgeboten. Als der Alte Hebräer des Dan Paul Dumitrescu seine erste Phrase sang, wünschte man, Samson hätte Abimélech früher getötet. Der Unterschied in der stimmlichen Gestaltung: Er könnte größer nicht sein. (Daß alte Hebräer per definitionem blind sein müssen, steht sicher in irgendeinem Scriptum für Spielleitungen, welches an deutschen Kunstuniversitäten als Prüfungsvorbereitung durchzuarbeiten ist.)

VII.
Lukas Gaudernak mag ein hervorragender Wirt und Kitris Vater in Minkus’ Ballett Don Quixote gewesen sein: Choreograph ist er keiner. Anstelle des Tanzes der Priesterinnen des Dagon bietet er mit den Damen und Herren der Ballettakademie der Wiener Staatsoper Tanztheater à la Pina Bausch. Und das Bacchanale verkommt zu einer Folter-Scene Samsons, welche, wäre sie nicht so schlecht gearbeitet, in Steven Spielbergs Film »Schindlers Liste« Aufnahme finden könnte. Nur: Davon steht nichts im Klavierauszug.

VIII.
Das Wunder der Wiener Staatsoper: zum Beispiel, daß Alexandra Liedtke an diesem Haus ihre Kunstfertigkeit zu produzieren die Ehre hatte. Man muß Liedtkes »Konzept« nicht mögen — aber handwerklich so schlecht gearbeitet darf eine Produktion im Haus am Ring nicht sein. Das Volk der Israeliten stammt, glaubt man ihrer Gewandung, aus einer Kolchose, die Wachen der Philister gäben, ersetzte man ihre Gewehre durch Säbel, brauchbare Burschenschafter ab. 

»Samson et Dalila«, 3. Akt: Oberpriester des Dagon (Carlos Álvarez) mit dem geblendeten Samson (Roberto Alagna) © Wiener Staatsopr GmbH/Michael Pöhn

»Samson et Dalila«, 3. Akt: Oberpriester des Dagon (Carlos Álvarez) mit dem geblendeten Samson (Roberto Alagna)

© Wiener Staatsopr GmbH/Michael Pöhn

IX.
Liedtke bedient sich aller Clichés, deren sie habhaft werden konnte: Da gibt es die Plastik­steine als Totengruß, da begeben sich fünf Philister unter die Israeliten, nur damit sie von der Übermacht entwaffnet und Abimélech von Samson erstochen werden kann. Da gehen die Israeliten links ab, um kurz darauf von rechts auf derselben Rampe, welche laut Partitur zum Tempel des Dagon führt, wiederzukehren. Unterdrückung verwechselt die Regisseuse mit Folter, Feierlichkeiten im Tempel mit einer Abendeinladung.

Im zweiten Akt sitzt Dalila in einer offenen Flügeltür anstatt auf einem Felsen vor ihrer Behausung im Tal Sorek. Als Samson endlich eintrifft, dreht sich der auf der Bühne aufgebaute Kubus und gibt den Blick auf ein mit Parkett ausgelegtes Zimmer frei, in dessen Mitte — nur die Regisseuse weiß warum — eine mit Wasser gefüllte Badewanne mit Armaturen steht (Bühnenbild: Raimund Orfeo Voigt). Samson und Dalila dürfen sich gegenseitig bespritzen, und während Dalila Samson verführt, steht sie auf der einen Seite des Raumes, er auf der anderen: »Mon cœur s’ouvre à ta voix…« Die Krönung des Ganzen: Wenn nach erfolgter Verführung das Wasser von der Decke pritschelt und mit der Musik in Concurrenz tritt, als befände man sich beim sommerlichen Freiluftkonzert während eines niedergehenden Gewitters.

Selbstverständlich zeigt das Bühnenbild des dritten Akts keinen Tempel, sondern ein rechteckiges Podest, darum sesselkreisartig die (schlecht gekleidete) Gesellschaft Platz nimmt. Während der geblendete Samson auf dem Podest gedemütigt wird, praktiziert die Abend­gesellschaft die »Welle«. Die Westkurve läßt grüßen…

Kurzum, es paßt hinten und vorne nichts zusammen. Von Modernität keine Spur, nicht einmal von modischen Torheiten. Dafür von handwerklichem Unvermögen.

X.
Auf Bogdan Roščić wartet viel Arbeit.

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